Die Wirklichkeit

Anfang 2016 entdeckte ich, dass man im Internet einen Satsang ( sat = wahr, sanga = Umgang, gemeinsam über die Wahrheit/Lehre durch Zusammentreffen mit einem spirituellen Lehrer/Guru/Meister, der als „erleuchtet“ oder „erwacht“ gilt) anschauen kann. Da ich in der Türkei weder einen Lehrer noch die Möglichkeit der Teilnahme an einem Satsang hatte, erforschte ich dieses Feld genauer. 

Allerdings, das schreibe ich hier schon vorweg, ließ ich mich nicht lange auf diese Art der spirituellen Suche ein, da ich aufgrund meiner eigenen Erfahrungen sehr schnell begriff, dass es nur sehr wenige gute Lehrer gab. Wer die alten Schriften der Weisen studiert hat, der lässt sich nicht mehr blenden. 

Tagebuch 18.02.2016:

„Ich höre mir einen Satsang von N. an und sie sagt, es gibt nichts zu erreichen und es gibt auch kein Ankommen. Weil sie Satsangs gibt, musste sie ihre Arbeit als Therapeutin beenden. Sie musste die Arbeit aufgeben, da die Menschen

zur Therapie kommen, um das Leben schöner zu machen (heißt, den Traum zu verschönern) und damit kommt man in eine Warteschleife;

zum Satsang kommen, um zum Leben zurückzufinden, was ihre Natur und somit die Wirklichkeit ist. 

Wenn es sich einem offenbart, dass alles so wie es ist, richtig und vollständig ist, gibt es nichts zu therapieren. Deshalb gibt sie nur noch Satsangs. 

Ich weiß, dass sie recht hat, denn dies war auch der Grund dafür, dass ich mein Yoga-Studio in Istanbul los lies und seitdem auch keinen Yoga-Unterricht mehr gebe. Ich bin keine Gymnastiklehrerin, sondern Yoga-Lehrerin und nur sehr wenige Menschen begreifen das und sind bereit, sich wirklich auf Yoga einzulassen. 

Dann gibt es also inzwischen so etwas wie Satsang-Lehrer? Ist das eine Art Beruf? Viele lassen einfach den Begriff Gott beiseite. Kann es Erleuchtung ohne Gott geben, also ohne Hingabe, Demut und Liebe zu ihm? Brauche ich womöglich doch keinen Lehrer/Meister, keine Mystik, keinen Gott an meiner Seite? Reicht es aus, wenn nur die linke Gehirnhälfte – der denkende Teil – ausgeschaltet wird und dann ist man erleuchtet? 

Schleichen sich hier etwa bei mir wieder Zweifel am langen und aufwändigen traditionellen Yoga-Weg ein? 

Und dann lese ich einen Erfahrungsbericht einer anderen Satsang-Lehrerin. Sie hat damit aufgehört, Satsangs zu geben. Sie hatte spirituelle Erfahrungen, wahrscheinlich so etwas wie Erleuchtungserfahrungen/Samadhi-Erfahrungen. Dann fing sie als Satsang-Lehrerin an. Stolz stieg auf. Das Ego wurde wieder größer. Es kam der tiefe Fall, und der hat ihr vor Augen geführt, wie wichtig es ist zu erkennen, dass alles nur von IHM gegeben wird. Nichts ist von uns selbst. Nur wenn man das begreift, kann das Ego gebändigt werden. 

Ich erinnere mich daran, dass schon in den Upanischaden stand: Als selbst die Götter vergaßen, von wem sie ihre Kraft und ihre Macht hatten, nahm Gott sie ihnen wieder weg und erst da begriffen sie. 

Also sind Demut und Hingabe an Gott auf dem Weg doch unbedingt notwendig, sonst fallen wir mit unserem Ego von einer Rolle in die nächste und zerstören alles wieder. Dies ist mir sehr wohl auch schon aus den Yoga-Sutras des Patanjali bekannt und ich habe es immer im Hinterkopf.“

In den Yoga-Sutras warnte Patanjali selbst schon weit fortgeschrittene und erhabene Yogis vor der Gefahr des Rückschritts. Unaufmerksamkeit, Achtlosigkeit und Stolz auf das Erreichte können bei der nächsten Gelegenheit das Bewusstsein wieder spalten. Erneut muss der Yogi dann das Ringen um Läuterung aufnehmen. Sehr wohl haben sich diese Hinweise in mein Gehirn eingebrannt und sorgen dafür, dass ich hoffentlich nie vergesse, dass ich ohne Gott gar nichts bin.

Tagebuch 21.02.2016:

„Das Bedürfnis zu meditieren ist stets da. Ich kann nun zwei Stunden ohne Probleme sitzen und meditieren. Selbst wenn ich mich anschließend hinlege, um zu schlafen, meditiere ich irgendwie im Liegen weiter. Es stört mich aber nicht. Es ist schön.

Heute Morgen, noch bevor ich die Augen öffnete, sah ich ganz klar und deutlich einen riesengroßen Kreis vor mir. In ihm gab es verschiedene Formen und Muster. Es gab nur die Farben Schwarz und Weiß und er wurde immer größer und größer, weil er sich scheinbar immer mehr ausdehnte.“

Ich versuchte anschließend den Kreis mit den Formen aufzuzeichnen. Es wollte mir aber nicht gelingen. Beim Aufzeichnen sah es chaotisch, unruhig und unschön aus.

„Ich kann die Muster nicht festhalten. Sie sind meinem Gehirn völlig unbekannt. Die Muster wurden von dünnen Linien geformt und irgendwie war alles durcheinander und doch so harmonisch. Je größer und ausgedehnter der Kreis wurde, desto mehr Details konnte ich erkennen. 

Am Abend sehe ich, dass eine ehemalige Yoga-Schülerin von mir eine Mandala-Zeichnung von sich in Facebook geteilt hatte. Dieses Mandala sah aus wie meine Vision, die ich heute Morgen hatte.“

Ich habe diese junge Frau nur im Yoga-Unterricht gesehen, als ich noch das Studio in Istanbul hatte, und doch spürte ich immer eine sehr große Nähe zu ihr. Wir hatten später keinen Kontakt mehr aber diese Zeichnung zeigt mir, dass uns irgendetwas verbindet, was ich mir bis heute nicht erklären kann. 

Später schaute ich mir noch einen Satsang im Internet von N. an und machte mir Notizen dazu, weil ich auf dieser Suche immer wieder mit Depressionen und totaler Erschöpfung zu tun hatte, die ausschließlich mit dem „Suchen nach der Wahrheit“ zu tun hatten. Anstatt mich zu amüsieren, schwimmen zu gehen, zu lesen oder Filme anzuschauen, zu kochen oder gemütlich essen zu gehen, kurz gesagt, das Leben ohne Arbeit mit meinem Schatz zu genießen, verbrachte ich meine ganze freie Zeit mit der Lektüre von heiligen Schriften, Meditation und Yoga.  

„Die Wahrheit über die dunkle Nacht der Seele. 

Die innere Reise gleicht einer Spirale. Solange Dualität und Polarität existieren und es zeitliche Abläufe und eine Strecke von A nach B in unseren Gedanken gibt, wird es immer wieder zu folgenden Gedanken kommen: 

„Meine Güte, da sind die Depression und diese Traurigkeit ja schon wieder. Ich dachte, das wäre schon vorbei.“ 

Würde man dies jedoch aus der Wirklichkeit heraus erleben, hätte man nicht die Idee, das genau schon einmal erlebt zu haben. Es wäre das erste Mal! Immer im Jetzt! Und da man immer im Jetzt ist, spielt es keine Rolle, wie oft eine Depression auftaucht. Es wird einfach gesehen. So wie es ist. Trauer, Freude, Licht, Dunkelheit. Es ist alles dasselbe. 

Solange ein Bemühen da ist, dem zu entkommen, ist die Arbeit nicht getan.

Gerade dieser letzte Satz war für mich so wichtig! Erst als ich nicht mehr vor meinen Ängsten und Panikattacken davonlief, zeigte sich mir, was Angst wirklich bedeutet und was ich bin. Im Sommer des gleichen Jahres war ich endlich soweit, dass ich ihr direkt ins Antlitz schauen konnte und dann geschah das Unglaubliche, Gott bzw. die Wirklichkeit offenbarte sich mir. 

Im Februar 2016 versuchte ich mit dem Verstand zu begreifen, was die Weisen, die Heiligen Schriften und auch Satsang-Lehrer wie N. mit dem Begriff der „Wirklichkeit“ meinten. Immer wieder schaute ich mich um und stellte mir die Frage, ist das, was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen, nicht die Wirklichkeit?

Erst als ich nach einer Angstattacke wirklich so die Nase voll von diesen Ängsten hatte und absolut bereit war, den Gedanken von der Existenz einer Monika völlig aufzugeben und mich Gott überließ, sagte eine innere Stimme zu mir, bleib jetzt sitzen. Du hast genug darüber gehört und gelesen und es gibt ausreichend Vertrauen. Und ich blieb sitzen. Die Atmung wurde immer feiner, bis sie scheinbar stillstand und ich durfte die Wirklichkeit sehen. 

Bis ich an diesen Punkt kam, dass ich jeglichen Widerstand gegen das, was ist (auch wenn es Angst ist), aufgeben konnte, musste ich jedoch anscheinend noch ein wenig üben, und dazu hatte ich genug Gelegenheit, denn die Angst meldete sich ja immer wieder mal. 

Tagebuch 22.02.2016:

„Ich habe den ganzen Tag über zu wenig gegessen. Abends beim Kochen sackt alles in mir zusammen und die Angst kriecht hoch. Ich bleibe ganz ruhig. Ich beobachte mich genau. Hinterfrage alles, was im Kopf und im Körper passiert. Esse wenig. Mir ist etwas übel. Dann gehe ich zum Sofa und setze mich hin. Horche in mich hinein. Wovor habe ich Angst? In meinen Ohren pfeift es. 

Ich merke, dass ich sofort anfange zu meditieren, sobald ich irgendwo in Ruhe sitze. Ich denke darüber nach, dass alles nur Illusion sein soll und wie sehr ich mich danach sehne, die Wirklichkeit zu sehen. Die Angst ist noch immer da. Ich versuche, sie loszulassen und frage mich, was passiert, wenn ich jetzt sterbe? Der Atem verlangsamt sich. Ich spüre, dass ich die Angst ziehen lasse und der ganze Körper entspannt sich. 

War vorher Hitze da, friere ich nun. Ich fange an zu gähnen. Muss auf die Toilette. Trinke Tee. Esse ein Stück Brot. Der Körper fühlt sich wieder warm an.“ 

Die Angst, die ich unbedingt verlieren wollte, war mein bester Lehrer. Ich beobachtete, was genau im Kopf passiert und welche Reaktionen der Körper daraufhin zeigt. Wie eine Forscherin mit klopfendem Herzen waren mein Körper und mein Geist mein eigenes Forschungsobjekt. 

Am gleichen Tag notierte ich mir noch, was sich in meinem Alltag durch diese immer intensiver werdende Suche veränderte:

„Ich beobachte viel mehr als früher. Die Natur. Die Tiere und Menschen um mich herum. Ich schenke allen Menschen, denen ich begegne, ein Lächeln. Ich bin interessierter an allem. Ich suche die Stille hinter allen Dingen. Versuche so etwas wie ein Selbst/mich in allem zu sehen. Versuche immer ganz bewusst zu sein. Versuche den Begriff Maya zu begreifen. Die Harmonie in allem zu erkennen, was ich wahrnehme. In jeder Bewegung. In jedem Geräusch. Versuche alles zu akzeptieren, weil es so ist, wie es ist. 

Meine Bekannten erscheinen mir plötzlich viel gelöster und friedlicher. Freundlicher.

In der Meditation fällt mir auf, dass ich ganz besonders am Anfang der Meditation immer die Person zu sein scheine, die mir gerade sehr durch den Kopf geht, weil ich mich tagsüber mit ihr irgendwie beschäftigte. Ich sehe die Person dann mit geschlossenen Augen vor mir und fühle mich auch wie dieser Mensch. Selbst meine Mimik scheint die gleiche zu sein.“

Ich hörte mir vor dem Einschlafen immer wieder Vorträge oder Hörbücher von spirituellen Lehrern an, um die Weisheit mit in den Schlaf zu nehmen. Sie sollte sich einprägen und mich von meinem konditionierten Denken und meinen Ängsten befreien.

Tagebuch 25.2.2016:

„In seinem Hörbuch „Über die Menschlichkeit“ sagt der Dalai Lama, dass er ein ganz normaler Mensch sei. Ich mache mir darüber Gedanken, ob er erleuchtet ist oder nicht. Ich vergleiche ihn mit Paramahansa Yogananda, Buddha, Sri Yukteswar Vishwananda usw. Der Dalai Lama beschäftigt sich mit Ethik und sagt, dass diese wichtiger sei, als die Religion. Religionen müsste man abschaffen, denn diese sorgen immer wieder für Krieg.“

Tagebuch 26.02.2016:

„Ich bin mit dem Video von Yolande Duran eingeschlafen und damit auch wieder aufgewacht. 

Ich hatte einen Traum:

Jemand wird getötet. Im Ausland, in einem Hotel. Wir verstecken uns irgendwo im Zimmer des Hotels. Die Täter sind jedoch irgendwie bei und mit mir. Der ganze Raum wird durchsucht. Ich habe Angst und will fliehen. 

Plötzlich gibt es ein Flugzeug. Es kommt von Norwegen und fliegt, wohin? Keine Ahnung. Es gibt nur Gedankenfetzen: Endlich. Weg. Abgehoben. Entwischt. 

Im Traum will ich das Ich/Monika/Ego töten, um zum Selbst zu kommen.“

So bedroht fühlt sich das Ego also durch die spirituelle Praxis. Solche Träume sollten in anderer Form immer wieder mal auftauchen. 

Vor kurzem las ich im „Ein Kurs im Wundern“: „Wenn ich dich an deine wahre Schöpfung erinnere, kann dein Ego nicht anders als mit Angst reagieren.“ (S. 53) 

Hat man jedoch einmal in die Wirklichkeit schauen dürfen, wird klar, dass man vor dieser wahrlich keine Angst haben muss und des Egos Stimme wird kleiner. 

Habt eine schöne Zeit, Monika  


2 Gedanken zu “Die Wirklichkeit

    1. Moin und Danke für deinen Besuch. Da hast du vollkommen recht. Der Schutzmechanismus Angst ist gut und wichtig, damit der Flucht oder Kampfreflex einsetzen kann, wenn Gefahr besteht.

      Wer Angst vor der Angst hat, hat jedoch kein Problem mit der realen Angst, sondern mit irrealen Ängsten zu kämpfen. Diese sorgen dafür, dass du kein freies Leben mehr führen kannst, sondern dich immer mehr isolierst, weil die Todesangst überall und jederzeit auftreten kann. Dein Leben wird zur Hölle.

      So ein Leben habe ich 30 Jahre lang geführt. Die Angst bestimmte mein ganzes Leben, bis ich endlich mit Yoga aus dieser Angstspirale herauskam.
      Es sind ca. 20 % der Menschen weltweit von diesen Ängsten betroffen und es werden immer mehr und sie werden immer jünger. Schon viele Schulkinder leider darunter. Die Menschen sind nicht mehr im Gleichgewicht mit Geist und Körper.

      Leider unterdrücken die meisten Menschen ihre Ängste mit Medikamenten, wie Antidepressiva, anstatt auf die Ängste zu schauen, sie zu verstehen und dann ihr Leben so zu ändern, dass die Ängste verschwinden können. Stattdessen laufen sie nun, Dank der Medikamente, mit einem abgestumpften Geist herum, damit sie das alte Leben weiter führen können, das ihnen nicht gut tat. So merken sie es jedoch nicht.

      Irreale Ängste sind immer ein Hinweis dafür, dass wir nicht in Balance sind und daher eigentlich die besten Alarmsignale für uns. Wer sie mit Medikamenten unterdrückt, hat keine Sensoren mehr und wird nicht mehr herausfinden können, wer er ist und was er eigentlich in diesem Leben möchte.

      Als ich mit Hilfe von Yoga/Meditation den Ablauf meiner Angst in Kopf und Körper begriff und aus ihr herauskam, war das so befreiend und schön, dass ich ein Buch darüber schreiben musste. Die Angst ist unser Freund – auch und gerade die irreale. Wir sollten lernen, sie im Zusammenhang mit unserem Leben ganz genau zu betrachten, dann ist sie wie ein Hinweisschild für ein wunderschönes freies Leben.
      Deiner Frage entnehme ich, dass du kein Problem mit irrealen Ängsten hast und das freut mich.
      Ich wünsche dir einen schönen Sonntag, Monika

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