Die innere Yoga-Reise geht weiter und ich verstehe heute, dass sie nie ein Ende nehmen wird. Der kleine innere Kern, den wir auf dieser Reise in uns suchen, ist tatsächlich unendlich. Wir sind unendlich.
Und genau das wurde auch von Patanjali in seinen Yoga-Sutras festgehalten. In meinem letzten Beitrag ging es u. a. um seine Meditationsmethoden. Sie sollen uns dabei helfen, unser Bewusstsein zu läutern und zu erweitern. Ab der 40. Yoga-Sutra wird beschrieben, was dann mit unserem Geist geschieht.
Ende November 2015 machte ich mir in meinem Yoga-Tagebuch wieder Notizen, immer in der Hoffnung, ich würde es dann besser verstehen. Aber es sind keine Sätze, die man mit dem Verstand begreifen und dann wie eine mathematische Formel oder eine schöne Geschichte verstehen kann.
Wenn ich sie heute lese, um hier zu schreiben, ist da ein ganz anderes Verständnis als vor sechs Jahren. Ich kann jetzt sagen, dass durch meinen starken Wunsch und die jahrelange, disziplinierte Yoga- und Meditationspraxis genau das eingetreten ist, worüber Patanjali vor so vielen Hundert Jahren geschrieben hat. Und es ist ein Wunder und eine so unbeschreiblich große Freude, diese Veränderung in mir selbst zu erkennen. Meine Dankbarkeit hierfür ist grenzenlos.
Tagebuch 30.11.2015:
„40. Sutra: Dann (wenn diese beschriebenen Meditationsmethoden eingehalten werden) wird es ihm (dem Sadhaka/Suchenden) möglich, vom allerkleinsten Teilchen bis zur Unendlichkeit vorzudringen. Sein Bewusstsein ist so rein, dass er alle Dinge erfasst, vom Atom bis zum Kosmos in seiner Gesamtheit.“
Wie sollte ich mir das damals vorstellen können? Das war nicht möglich. Aber ich war soweit, dass ich vertraute und wusste, dass es wahr sein muss. Daher ging ich Tag für Tag auf meine Yoga-Matte, bis das Unbeschreibliche endlich eintrat. Ja, es hat Jahre gedauert, aber gibt es etwas, was wichtiger ist, als sich selbst zu erkennen? Geist und Körper brauchten bei mir eben genau so viel Zeit und Übung, bis ich zum Universum und selbst für Augenblicke zu Buddha werden durfte.
Auch die nächste Sutra beschreibt, was im Bewusstsein eines Yogis passiert, wenn er übt und ich notierte mir:
„41. Sutra: Wenn die Bewegungen des Bewusstseins aufhören, wird es durchsichtig, wie ein Edelstein, der die Einheit des Erkennenden, des Instruments des Erkennens und des Erkannten makellos widerspiegelt. Das Verweilen in diesem Zustand des Leuchtens wird Samapatti genannt.“
Das bedeutet, dass das Wechselspiel zwischen äußerer Wahrnehmung und unserem Geist, der subjektiv darüber nachdenkt, entfällt. Es bleibt eine direkte objektive Wahrnehmung des Betrachters, ohne Denken, ohne Intellekt, ohne Vrittis. So kann die Wirklichkeit unmittelbar wahrgenommen werden, weil das Bewusstsein alles klar widerspiegelt wie ein Kristall. Nach Patanjali sind also Yoga und Samadhi Übungen, die zu Samapatti führen können.
Auch das waren damals für mich nur schöne Worte, die nicht wirklich einen Sinn ergaben. Heute würde ich diesen Zustand wie folgt beschreiben:
Während ich sitze und meditiere, wird der Atem ganz ruhig und tief. Der ganze Körper ist entspannt. Der Geist wird ruhiger und irgendwann ganz still. Denken hört auf. Das Bewusstsein wird ganz weit. Geht über die Grenzen des Bekannten hinaus. Nicht Monika betrachtet und erfährt. Man ist mit etwas viel Größerem verbunden. Die meditierende Person wird zum Instrument des Erkennens und verschmilzt mit dem Erkannten. In diesem Zustand öffnete ich meine Augen, und alles was gesehen wurde, war ich selbst. Mein Blick fiel auf den Teppich vor mir und ich war der Teppich selbst. Ich lebte den Teppich.
„Nach Patanjali erfolgt dieser Samapatti Zustand in vier Stufen. Im ersten Zustand ist noch Denken vorhanden und daher ist der Betrachter noch mit seinem analytischen Denken verbunden (42. Sutra) Es gibt noch Worte und eine Bedeutung.
Im zweiten Zustand ist das Gedächtnis vollkommen geläutert und es kommt zu der Erfahrung des Nicht-Denkens. (43. Sutra).
Im dritten Zustand ist der Sadhaka (Suchende) vollkommen frei von Erinnerungen, früheren Erfahrungen und Eindrücken der Vergangenheit. Es gibt daher weder Ursache noch Wirkung, weder Ort noch Zeit. Unbeschreibliche Glückseligkeit wird erfahren (44. Sutra).
Im vierten Zustand wird das individuelle Ich eins mit dem Selbst und von hier aus gelangt man zur Selbstverwirklichung (45. Sutra).“
Ich weiß nicht, ob ich diese Stufen so für mich klar definieren könnte. Es scheint so, als wäre das bei mir eher alles durcheinander gewesen. Aber wie soll ich das schon verstehen? Fakt ist jedenfalls, in diesen heiligen Augenblicken gab es keine Zeit und keinen Ort. Es gab nur dieses Eine und diesen einzigen Augenblick, in dem alles geschieht. Immer jetzt. Die Person selbst war nicht mehr vorhanden.
Wer das erleben möchte, muss es selbst erforschen. Es ist gedanklich nicht zu verstehen, weil es über das Denken und somit alle gemachten Erfahrungen und Vorstellungen hinausgeht. Es ist daher nicht wichtig, diese einzelnen vier Stufen hier weiter zu vertiefen. Sicher ist jedoch, dass alles hier Aufgeschriebene erlebt werden kann, wenn man es möchte und an sich arbeitet.
„In der nächsten Sutra (46) erklärt Patanjali, dass diese vier Samapatti-Zustände jeweils noch eines Samens bedürfen und daher noch von einem Objekt abhängig sind. Da ist also noch jemand, ein Ich, der sich für die Meditation in einen Gegenstand/Objekt versenkt (siehe die Aufzählung in den Sutras 35 bis 39).
In der 47. Sutra sagt er, dass aus der Übung/Meisterschaft dann die vollkommene Gemütsruhe erwächst. Es entsteht tiefe Einsicht in die wahre Natur der Seele.
Dort befindet sich die wahrheitsvolle Weisheit, wie es in der 48. Sutra heißt. Wenn das Bewusstsein in dieser Weisheit weilt, hat es spirituelle Erleuchtung erlangt. Ein Zustand, der vom Suchenden stets angestrebt wird: gereifte Intelligenz und Weisheit, gepaart mit tiefer Einsicht.
Diese Weisheit ist von einer anderen und höheren Art als das Wissen, das man aus Büchern, durch Autoritäten oder durch eigenes Schlussfolgern gewinnt (49. Sutra).
Es wird als unmittelbares intuitives Wissen beschrieben.“
Und auch wenn erfasst werden kann, dass es tatsächlich keine Zeit und keine getrennte Person gibt, so braucht der scheinbar Suchende Zeit, um genau das zu erkennen. Alles an uns, was zuvor nach Außen gerichtet war, muss nun nach innen gekehrt werden. Das ist harte Arbeit.
Hinzu kommt, wer die Wahrheit auch nur für einen winzigen Augenblick schaut, muss anschließend damit klarkommen können. Die Wahrheit sollte daher wichtiger sein als alles andere im Leben, denn alles was man je gelernt hat, wird entblößt und davon verschlungen.
In weniger als einer Sekunde – so kam es mir jedenfalls vor – wusste ich, dass keine Zeit existiert. Dass ich in Wahrheit unendlich bin. Dass Dualität nur ein Konzept meines Verstandes ist und mein ganzes über die Jahrzehnte angehäufte Wissen nichts taugt und mir deshalb nie geholfen hat, mich und das Wunder Leben zu verstehen. Kein Mensch und kein Buch konnten mir je zuvor all die wirklich wichtigen Fragen über das Leben beantworten.
Wenn der Wunsch stark ist, Übung ihren Platz im Alltag findet und Vertrauen wächst, halten wir nicht mehr an alten Konzepten fest, und auf einmal ist alles offen. Dann endlich kann Freiheit in unser Leben treten.
„Auch die 50. Sutra geht darauf ein, denn sie spricht davon, dass für den Suchenden nun ein neues Leben beginnt, das von diesem wahrheitstragenden Licht begleitet wird. Diese neuen Eindrücke werden verhindern, dass neue Eindrücke entstehen können. Alte Wünsche und Neigungen sowie Eindrücke aus dem Unterbewusstsein werden klar erkannt und durch die neue Intelligenz ausgelöscht.“
Nur so lösen sich alte Konditionierungen auf. Alte, tiefsitzende Wünsche, die schon in meiner Mutter und in meinem Vater vorhanden waren, wurden für mich unwichtig, und meine Ängste durften endlich gehen. Das notierte ich auch so in meinem Yoga-Tagebuch.
Da ich dieser Intelligenz immer mehr vertraute, wurde die innere Stimme/Führung deutlicher und erkennbar. Jeder Mensch trägt diese Stimme Gottes in sich, aber nur sehr wenige wollen sie hören.
„Mit der letzten Sutra (51) des ersten Teils der Yoga-Sutras des Patanjali endet seine Darlegung des Samadhi. Danach muss letztendlich auch das neue Licht der Weisheit aufgegeben werden, damit alles zur Ruhe kommt und der keimlose Samadhi eintreten kann.“
Der Suchende darf also auch nicht an diesen neuen Erfahrungen des wahrheitserfüllten Lichts festhalten. Alle Eindrücke müssen unterbunden werden. Erst wenn alte und neue Eindrücke gelöscht sind, stellt sich ein Zustand samenloser Erleuchtung ein (Nirbaija-Samadhi).
Es darf keinen Rückhalt mehr geben in Ideen oder Symbolen. Das Ich-Gefühl und alle Eindrücke des Denkvermögens verschwinden endgültig. Gehen im Universalen auf.
Du musst zum Fluss werden, der sich ins Meer ergießt. Alle Willensregungen und Eindrücke des Unbewussten, Unterbewussten, Bewussten und Überbewussten erlöschen.
„Dann hat der Suchende die Vollendung im Yoga (Kayvalya = Freiheit) erreicht, wie er in der 56. Sutra des III. Teils der Yoga-Sutra beschrieben wird. Die Hüllen der Seele sind dann so rein, wie die Seele selbst. Die Seele leuchtet in ihrer ursprünglichen Gestalt, in ihrem reinen Glanz. Ein unteilbarer Seinszustand.“
Ich notierte mir noch am gleichen Tag im Yoga-Tagebuch, „dass der Weg nicht leichter wird, je weiter wir fortschreiten. Wer auf den ersten Sprossen der Leiter herunterfällt, hat keinen großen Schaden. Ist man jedoch weiter oben auf einer langen Leiter, dann schmerzt der Sturz. Die Versuchungen werden größer und auch die Aufgaben. Aber auch die Wonne nimmt zu.“
Ich wünsche euch ein wunderschönes Wochenende, Monika
Ich hatte lange Zeit sowas wie höhen Angst. Dachte, hm, Ängste sollte ich keine mehr haben und trotzdem… So, hatte ich eine höhere Perspektive. In ein unendliches Blau war da ein kleines Lichtfleck. Da war mein kleines Verstand, ein im Blau verlorenes Etwas, ohne Anker, ohne Bezugspunkte, hilflos.
Für de Verstand, die neugewonene Freiheit ist unheimlich, beängstigend.
Später habe ich auch erfahren dass die Conditionierungen tiefe Spuren hinterlassen die sich sehr langsam wieder glätten lassen. Man oder Frau muss viel geduld mittbringen. 🙂
LikeGefällt 2 Personen
Ich finde, das hast du sehr schön beschrieben. Ohne Bezugspunkt zu sein, so hilflos. Freiheit und doch ist es erst einmal unheimlich. Ich kann das sehr gut verstehen. Vielen Dank für deinen Kommentar und liebe Grüße, Monika
LikeGefällt 1 Person