Anfang 2015 gab es drei Kriya-Yoga-Gruppen, mit denen ich mich beschäftigte. Da war die von Paramahansa Yogananda gegründete Self-Realization-Fellowship, die ihren Sitz in Kalifornien hat und von der ich immer noch die Lehrbriefe bekam. Dann gab es die Organisation Babajis Kriya-Yoga, deren Mutterzentrum sich in Kanada befand und die 2014 eine Lehrerin S. aus Brasilien zu uns nach Istanbul schickte. Hier nahm ich auch an zwei Initiationen teil. Wir waren nur eine Hand voll Menschen in der ganzen Türkei. Meistens Frauen aus anderen Ländern.
Organisiert wurden die Termine für ein Zusammentreffen in Istanbul von einer Frau Y., die selbst aus Südamerika kam und ebenfalls ein Yoga-Studio in Istanbul betrieb. Sie war diesbezüglich sehr aktiv und machte nun eine dritte Kriya-Yoga-Organisation (Bhakti Marga) ausfindig, die ihren Sitz und einen Ashram in Deutschland hat. Gegründet wurde diese Kriya-Yoga-Organisation von Paramahamsa Vishwananda, der ursprünglich von Mauritius nach Deutschland kam.
Sie erzählte mir, dass sie sich dort persönlich besser betreut fühlte und sicher sei, dass Vishwananda selbst erleuchtet ist. Dies wäre für sie eine ganz andere Ebene und nach Aufenthalten in seiner Nähe in Deutschland wäre spirituell sehr viel mir ihr passiert. Die Gruppe um Babajis Kriya-Yoga, bei der wir gemeinsam zuvor initiiert wurden, sei ihr zu kopflastig und es gäbe dort interne Differenzen, die sich nicht gut auf die Schüler und deren Weg auswirken würden.
Wie ihr den letzten Beiträgen entnehmen könnt, war ich selbst zu dieser Zeit nicht nur mit Kriya-Yoga, sondern mit Hilfe von Büchern aus Deutschland auch mit einigen anderen Lehren und Lehrern beschäftigt. Was ich den Erzählungen von Y. und dem Internet über Vishvananda entnehmen konnte war, dass es hier um Bhakti-Yoga (Yoga der Higabe) ging. Dies wiederum war nicht unbedingt das, was mich ansprach, denn ich war hinter der Weisheit her und nicht der Typ, der mit anderen Menschen im Kreis sitzt und aus vollem Herzen Hari-Krishna-Lieder singt.
Als uns Y. in Istanbul zu einer Healing-Meditation in ihr Yoga-Studio einlud, die sie im Ashram von Vishvananda gelernt hatte, war ich daher erst einmal sehr skeptisch. Ich wollte aber nicht wie früher gleich blockieren, sondern lernen, offen zu bleiben. Also nahm ich diese Einladung an und war sehr gespannt. Was ich in dieser Runde dann erlebte, will ich nun hier mit euch teilen.
Tagebuch 20.01.2015:
“Mittags ging ich mit Y. ins Yoga-Studio, um an einer OM-Healing-Meditation teilzunehmen. Menschen sitzen in einem inneren und in einem äußeren Kreis, während sie in einem bestimmten Abstand und Rhythmus die Silbe “OM” singen. Als ich im inneren Kreis saß, spürte ich schmerzhaft meinen Nacken auf der rechten Seite und den rechten Hinterkopf. Es brannte an diesen Stellen wie Feuer. Das sind genau meine ständigen Schmerzpunkte. Ich hoffe, sie haben durch diese Meditation ein wenig Heilung erfahren.
Während des OM-Gesangs konnte ich viele veschiedene andere Töne hören. Ich dachte, Y. würde irgendwo eine Klangschale einsetzen und öffnete zwischendurch meine Augen, um das zu kontrollieren. Aber nein, sie saß mit uns zusammen im Kreis. Dann hörte ich, wie jemand eine Arie sang. Ich öffnete wieder meine Augen. Nichts zu sehen. Alle saßen in diesen zwei Kreisen und sangen nur OM.
Als wir nach ca. 20 Minuten fertig waren und Stille eintrat, hörte ich die Glöckchen. Sie läuteten so süß und zart. Noch nie hatte ich feinere Tön wahrgenommen als diese. Unsicher schaute ich mich um und suchte nach der Quelle dieser himmlichen Klänge. Hatte da jemand diesen Klingelton auf seinem Handy? Den möchte ich dann unbedingt auch hochladen. Gab es ein Windspiel irgendwo? Ich war völlig verzaubert. Es ging weg. Dann war es wieder da. Mehr auf der linken Seite.
Irgendwann fiel Y. auf, dass ich etwas suchte und dann erzählte ich ihr von den Klängen. Sie sagte, das wäre ganz normal und es käme nicht von außen, sondern wäre in mir selbst enthalten. Andere Menschen hätten das auch schon erlebt, sagte sie weiter. Daraufhin hielt ich mir die Ohren zu und tatsächlich, die Glöckchen läuteten weiter. So fein, so himmlich. Ich war überglücklich.
Noch nie hatte ich so etwas erlebt. Gelesen hatte ich darüber schon, dass bei einer Meditation Klänge auftreten können. Wie wunderschön das ist. Wir leben in einem Wunder und wissen es gar nicht.”
Nun verstand ich auch das Buch von Hazrat Inaya Khan (Musik und kosmische Harmonie, siehe den Beitrag Nr. 48) viel besser. Kein menschlicher Gesang und kein Instrument auf dieser Welt könnte je solche feinen Töne hervorbringen. Schweigen ist die einzige Konsequenz, um diesen himmlichen Tönen besser lauschen zu können.
Wieder zu Hause angekommen, wollte mein Verstand unbedingt verstehen, was dort während der Meditation passierte, und ich las weiter im Buch von Frawley (Die spirituelle Praxis des Vedanta). Aus dem Abschnitt “Die Praxis der Meditation” machte ich mir wieder Notizen ins Yoga-Tagebuch, welche Rolle die Visualisierung oder das Mantra für die Meditation spielt. Was passiert durch das Aufsagen oder den Gesang eines Mantras? Kann es tatsächlich sein, dass durch das ständige Wiederholen bestimmter Worte neben der Steigerung der eigenen Konzentration auch bestimmte Schwingungen im Raum entstehen? Ich lese, dass ein Mantra uns von der Außenwelt fort und in eine höhere Bewusstseinsebene führen kann.
Warum wissen wir nichts darüber?
Am nächsten Tag unterrichtete ich wieder in meinem alten Yoga-Studio. Ich fühlte mich dort fremd und sehr unwohl. Vor allen Dingen verstand ich nicht, warum es keine Atmosphäre des Friedens dort gab. Das Studio entwickelte sich immer mehr einfach nur zu einem Geschäft. Es hatte keine Seele mehr.
Tagebuch 21.01.2015:
“Warum erreiche ich die anderen Lehrer nicht? Wieso möchte sich niemand austauschen? Warum erscheint mir alles so oberflächlich? Ich möchte mich von dort zurückziehen. Es ist nicht schön für mich, dort zu unterrichten.
Ich sollte Kontakt zu Y. oder meiner eigenen Yogalehrerin aufnehmen, aber ich bin selbst irgendwie viel verschlossener als früher. Und die anderen scheinen alle so sehr beschäftigt und im Stress zu sein, so wie ich früher auch. Es zieht mich immer wieder zu den Studien der Bücher. Mehr Meditation statt Asanas.“
Diese OM-Healing-Meditation hat einen sehr starken Eindruck bei mir hinterlassen, und die nächsten Tage meditierte ich viel und dachte darüber nach, ob ich mich selbst der Babaji-Kriya-Yoga-Gruppe überhaupt verbunden fühlte? Obwohl ich nun ca. ein Jahr lang deren tägliche Meditationsübungen machte, gab es nicht wirklich ein Lehrer-Schüler-Verhältnis. Ein Besuch der S. aus Brasilien und zwei Seminare und Initiationen. Neben den üblichen Rundschreiben per E-Mail gab es eine einzige geschriebene und beantwortete Mail an und von S. Das war alles.
Tagebuch 22.01.2015:
“Auf Anraten von Y. habe ich mir in der Meditation die Frage gestellt, ob ich mit S. weitermachen soll oder nicht. Ob ich das Gefühl habe, dass ich hier spirituell wachse. Die Antwort war, dass ich auf jeden Fall mehr geführt und motiviert werden möchte und mir hierfür einen Lehrer wünsche, damit ich tiefere Erfahrungen machen kann.”
Am nächsten Tag hatte ich Migräne und in der darauffolgenden Nacht einen merkwürdigen Traum.
Tagebuch 24.01.2015:
“Traum: Ich bin in unserem alten Familienhaus in Istanbul auf der Terrasse. Die Kinder spielen in meiner Nähe. Schock. Ich sehe eine Schlange. Eine Kobra. Die Situation ist sehr gefährlich und angespannt. Ich rufe meinen Ex, dass er diese Schlange entfernen soll, weil die Kinder hier sind. Er kommt und mit ihm unser Hund, der direkt auf die Schlange zuläuft. Ich habe Angst, sie könnte ihn beißen. Mit einem Stock packt mein Ex das Tier und ich rufe, er solle sie unbedingt über die Gartenmauer werfen und nicht in den Garten fallen lassen, da wir sie sonst nicht mehr finden würden.
Mit Schwung versucht er das Tier in hohem Bogen über die Gartenmauer zu werfen aber leider landet sie direkt in unserem Komposthaufen im Garten. Ich bin wütend und enttäuscht. Als die Schlange in die Gartenreste abtaucht, fliehen viele andere Tiere aus dem mit Brettern zusammengehaltenen Haufen. Selbst ein Krokodil kommt zum Vorschein. Ich denke, wie sollen wir je wieder in den Garten gehen können?
Diesen Traum zu deuten fällt mir schwer. Eigentlich spiegelt er meine Vergangenheit in unserem gemeinsamen Familienhaus wieder. Am Ende war es ein goldener Käfig, in dem ich saß. Um den Kontakt mit meinen Schwiegereltern oder sonstigen Verwandten zu vermeiden, ging ich nicht mehr aus dem Haus. Selbst unsere Terrasse betrat ich nicht, geschweige denn den Garten.
Aber das ist eine andere Geschichte. Ein Familiendrama. Ein Zusammenstoß zweier Kulturen. Zwar hatte ich meine Ängste, aber die dominierten zu dieser Zeit nicht. Die irrealen Ängste wurden von realen Sorgen verdrängt. Missverständnisse, Einsamkeit, Abhängigkeit und damit ausgelöste Depressionen sowie ein starkes Erdbeben (7.9 auf der Richterskala) waren genug für meine Seele. Da brauchte ich die im Kopf kreierten Ängste erst einmal nicht mehr. Nur selten noch tauchten Erinnerungen aus diesem Leben in meinen Träumen auf.
Mir fällt auf, dass ich keine Traumdeutung in mein Yoga-Tagebuch geschrieben hatte. Dafür notierte ich, dass ich in der Meditation am Abend wieder das Licht über mir sah. Einen Tag darauf kam der 62. Brief der Self-Realization-Fellowship ins Haus geflattert und ich schrieb mir wieder Zeilen daraus ins Tagebuch, die mich gerade besonders ansprachen.
Tagebuch 25.01.2015:
Ich lese im 62. Brief von Paramahansa Yogananda: “Zweck des Yoga ist es, den abwärts fließenden Bewusstseinsstrom umzuschalten und ihn wieder zum kosmischen Bewusstsein zurückzuleiten. Solange ihr euch nur um eure eigene Familie sorgt und andere Menschen außer Acht lasst, lebt ihr im Körperbewusstsein. Doch wenn ihr die ganze Welt als eure Familie und den Kosmos als eure Heimat betrachet, habt ihr das Bewusstsein auf die Allgegenwart eingestellt. Erstes Anzeichen dafür, dass man das kosmische Bewusstsein erreicht hat sind: unbewegliche Augäpfel, ein bewusst herbeigeführtes Stillstehen des Herzens und Aussetzen des Atems.”
Noch vor einigen Jahren hätte ich bei so einem Inhalt den Brief genommen und ihn mit den Gedanken, was für ein Blödsinn, direkt in den Papierkorb geworfen. Wer kann denn den Atem oder den Herzschlag anhalten? Was bitte soll kosmisches Bewusstsein sein?
Aber wenn man einmal dieses liebende Licht und diese Einheit erlebt hat und wenn man diese süßen Klänge hören durfte, dann will man eigentlich nur noch wissen, wie man dieses kosmische Bewusstseins erreichen kann.
Egal, wie hart man arbeitet oder wieviel Geld man auch auf seinem Konto hat, egal wieviele Partner oder Freunde wir haben, nichts davon kann uns diese göttlichen Erfahrungen bringen. Da zeigte sich etwas in mir, das gehört und gesehen werden wollte, und der Wunsch, endlich Istanbul zu verlassen, wurde immer stärker. Weg von diesem Lärm und weg von diesen Rollen, die man zu spielen hat, um auf das lauschen zu können, was in uns ist und von diesen süßen Klängen angekündigt wurde.
Ich wünsche euch ein wunderschönes Wochenende, Monika