Eigentlich müsste die Überschrift lauten: was ein Kartenspiel mit dem Leben gemeinsam hat.
In bestimmten Situationen fällt mir ganz besonders auf, wie sehr ich mich mit Yoga verändert habe und was für ein Geschenk es ist, gelassener geworden zu sein und zu begreifen, dass die Begebenheiten und Umstände sich nicht persönlich gegen mich oder irgendjemanden auf dieser Welt richten.
In diesen “Corona-Zeiten” haben wir es uns angewöhnt, zu Hause ab und zu Karten zu spielen. Dabei ist mir aufgefallen, dass mein Spielpartner fast jede neugezogene Karte kommentiert: och wieder eine Doppelte, die passt jetzt gar nicht, dieses Spiel kann ich nicht gewinnen, ich kann die Karten bald nicht mehr halten, wie hast du denn gemischt …
Ich weiß, dass ich früher genauso geredet habe. Weil ich aber jetzt mehr lausche und viel stiller geworden bin, fällt es mir so extrem auf, wenn andere jeder Spielkarte einen Kommentar widmen. Jedem Talonzug wird ein Makel oder ein Lob angeheftet. Das zu beobachten, ist für mich heute sehr lustig. War die PIK Vier meines Partners gerade noch eine gute Karte, ist sie jetzt eine schlechte Karte, weil er sie nun doppelt auf der Hand hält.
Selbst wenn diese Karte gerade nicht zum Gesamtbild der anderen Karten passt, so wird übersehen, dass sich die Situation auf dem Tisch und in der Hand permanent ändert, und das ist es ja gerade, was den Reiz des Spieles ausmacht.
Heute bewerte ich keine Karte mehr, die ich ziehe. Jede Karte ist willkommen und eine Herausforderung. Wie im Leben kann man auch beim Kartenspiel nie wissen, welche Aufgabe diese Karte haben wird. Und ich konnte feststellen, dass ich immer dann gewonnen hatte, wenn ich flexibel blieb und alle Möglichkeiten offen ließ. Jede noch so scheinbar “schlechte” Karte fand ihren Weg beim Auslegen auf dem Tisch und verhalf mir am Ende irgendwie zum Sieg.
Die negativen oder positiven Gedanken über eine gezogene Karte beeinflussen oder beeindrucken die Karte selbst in keiner Weise. Karte bleibt Karte. Aber die Stimmung des Spiels wird dadurch sehr beeinflusst. Auch die Konzentration des Klagenden nimmt ab. Der Spieler ist jetzt so mit seinen “schlechten” Karten und dieser Ungerechtigkeit beschäftigt, dass er die ihm gegebenen Chancen gar nicht mehr sieht.
Mir fällt auch auf, dass es mir persönlich total egal ist, ob ich gewinne oder verliere. Ich spiele, weil ich Lust habe zu spielen und nicht, weil ich damit irgendetwas erreichen, nämlich am Ende gewinnen will. Ich sage auch spontan, komm wir tauschen die Karten einfach. Aber das will er dann auch nicht.
Somit bin ich während des Spieles absolut entspannt. Auch wenn das Spiel sehr lange dauert, freue ich mich. Je komplizierter und länger es geht, desto besser. Aber mein Gegenüber wird immer ungeduldiger und bittet schon darum, ich möge endlich ausmachen, damit diese Quälerei ein Ende hätte, denn er könne eh nicht gewinnen. Sieht er das gute Ende für sich selbst nicht, will er also lieber gar nicht spielen. Es geht nicht ums Spielen, sondern ums Gewinnen.
Es ist aber nicht so, dass ich im Falle des Sieges völlig emotionslos bin. Im Gegenteil. Ich kann mich unheimlich darüber freuen. Ich kann aber auch über mich und andere lachen, wenn es nicht so gut läuft, während die anderen das überhaupt nicht lustig finden. Besonders ein Mitglied unserer Familie kann regelrecht böse werden, wenn es nicht so gut läuft und rastet völlig aus oder schmeisst alles hin, wenn wir dann auch noch darüber lachen.
Erinnert euch das Verhalten während eines Spieles irgendwie an das Leben?
Letzte Woche fragte mich mein Mann, ob morgen Mittwoch sei. Ich wurde ganz still und hing dem Gedanken nach, wie ein Tag überhaupt einen Namen haben kann und musste plötzlich lachen. Es erschien mir zu komisch, den Augenblick zu verlassen, das Leben in Tage einzuteilen und diesen dann auch noch einen Namen zu geben. Wie ist der Mensch nur auf diese Idee gekommen? Wie eng das Leben dadurch wird!
Eine Freundin sagte, heute haben wir aber schlechtes Wetter. Ich schaute sie an und konnte nicht verstehen, was sie damit meinte. Wie kann Wetter schlecht sein? Wetter ist einfach Wetter. Und ich war eigentlich total happy, dass sich endlich mal Wolken vor diese sengende Sonne schoben. Für sie schlecht. Für mich gut. Wenn etwas positiv oder negativ ist, hat das alles immer nur mit uns und unseren Gedanken und Wünschen zu tun. Das Leben selbst kann nicht schlecht oder gut sein.
Und wenn wir schon bei diesem Thema sind, können wir diese Betrachtung auch auf die Corona-Zeit anwenden.
Corona verhinderte, dass wir nach Deutschland reisen konnten. Ich konnte auch meine Kinder dieses Jahr nicht sehen (2 Tage im Frühjahr ausgenommen) und keine Zeit mit ihnen verbringen. Das ist für mich eigentlich der größte Verzicht. Ich vermisse sie so sehr und ich mache mir Sorgen um sie, weil sie beide trotz der Pandemie berufstätig sind.
Auf der anderen Seite haben wir jedoch das erste Mal selber Obst und Gemüse im Garten angebaut. Nicht sehr erfolgreich, aber wir haben viel gelernt und waren im Frühjahr so beschäftigt, dass wir überhaupt nichts vermissten. Durch den Ausfall der Reisen und den Fokus auf ein engeres Umfeld fanden wir einen Biobauernhof in der unmittelbaren Nähe. Jahrelang blieb er uns zuvor verborgen.
Mein Mann hat in den letzten Monaten gelernt ganz wunderbares Brot zu backen. Insgesamt kann man sagen, dass wir uns seit Jahrzehnten nicht so gut ernährt haben, wie wir es jetzt tun. Ich jedenfalls habe endlich wieder ein gutes Gefühl, wenn ich etwas esse. Oft wird davon geschwärmt, wie toll die Obst- und Gemüsestände in der Türkei seien. Wer das heute sagt, weiß nicht oder will es nicht wissen, dass hier alles hochgradig mit Pestiziden versetzt und gesundheitsschädlich ist.
Jeden Einzelnen trifft die Pandemie dort, wo er am verletztlichsten ist, und deshalb muss jeder für sich schauen, was das mit ihm macht. Die Pandemie und die Auswirkungen auf das Leben einfach als etwas Schlechtes, wie eine PIK Vier im Kartenspiel abzutun, weil es gerade nicht ins Bild passt, wäre ein Fehler, da es die neuen Möglichkeiten ausblendet und deshalb nur zu absoluter Unzufriedenheit und Frust führt.
Wer Yoga macht oder aus anderen Gründen sehr achtsam und bewusst ist, der wird diese Zeit als eine Chance zum Wachsen begreifen. Es geht nicht darum, endlich Corona auszumerzen, zu bekriegen und am Ende irgendetwas zu gewinnen. Was denn eigentlich? Die alte Freiheit? Das alte gewohnte Leben? Um dann alles wieder genauso weiterzumachen wie zuvor? Bis zur nächsten Pandemie? Bis zur nächsten Klimakatastrophe?
Corona ist nicht unser Feind, genausowenig, wie Ärzte oder Regierungen, die wirklich Verantwortung übernehmen. Der einzige Feind sind unsere eigenen Gedanken, die wir hierzu entwickeln und in andere hineinprojizieren.
Wir alle sind Teil dieses Spiels und die Zukunft existiert nur jetzt. Also wie können wir jetzt das Beste für uns und alle anderen daraus machen? Vielleicht, indem wir fair spielen? Was nützt es, jetzt den Joker aus dem Ärmel zu ziehen und zu schummeln? Regeln nicht einzuhalten? Andere zu gefährden? Sich selbst und andere zu betrügen, nur um was zu erreichen?
Wo ist da der Spaß und was hat man gelernt? Wie kann man denn so daran wachsen?
Man kann doch das Leben nicht gewinnen. Das Leben ist doch kein Kampf. Man kann es nur leben, also spielen. Wer sich und seine Bedürfnisse in den Vordergrund stellt, wird jetzt noch scheller, als vor der Pandemie, an Grenzen stoßen. So können wir dann nicht verstehen, dass wir alle miteinander verbunden sind. Wir alle haben gerade die PIK Vier gezogen.
Ich gehe schon mal die Karten mischen. Liebe Grüße an alle, Monika