Wer eine “innere Reise” macht, erlebt nicht nur Veränderungen im Alltag, sondern auch die Welt der Träume wird eine andere. Während ich in früheren Nächten meine Probleme des Tages zähneknirschend noch einmal durchlebte, tauchten mit der Yoga-Reise in meinen Träumen plötzlich immer wieder Tiere auf.
Tagebuch 19.12.2014:
“Traum: Zu Hause haben wir plötzlich viele Vögel. Sie sind in Käfigen und ich entdecke immer mehr von ihnen. Ich stelle fest, dass sie gar kein Futter haben. Sofort begebe ich mich auf die Suche nach irgendetwas, was sie essen könnten.
Dann taucht eine Schildkröte auf. Ganz klein und ohne Panzer. Ich schmuse mit ihr und suche auch für sie etwas, was sie essen könnte. Sie küsst mich.
Ich sehe einen kleinen Alligator und dann noch zwei weitere sehr kleine Exemplare. Sie sitzen in einem Raum ganz nah am Hauseingang. Ich kann sie durch ein Fenster beobachten und sehe nun, wie sehr viele winzige Schildkröten in diesen Raum kommen und direkt in die offenen Mäuler der Alligatoren laufen. Damit sind die auch versorgt, denke ich.
Ein Vogel entflieht und kommt zurück.
Ich wache glücklich auf nach diesem Traum mit Tieren und stelle fest, dass ich Tiere um mich herum sehr vermisse.”
Wenn auf der spirituellen Ebene der Vogel im Traum die Seele darstellt, dann gab es bei mir noch sehr viele Elemente, die gefangen gehalten und befreit werden wollten. Vorher mussten sie aber gefüttert werden. Nur ein einziger dieser Vögel konnte schon fliegen, und auch der kam zurück und war noch nicht wirklich frei. Ähnliche Träume kamen später noch öfter vor und ich kann mich gut daran erinnern, wie entsetzt und traurig ich jedesmal war, als ich diese armen Wesen dort fast verhungert in ihren Käfigen vorgefunden hatte. Ich hatte unheimliche Schuldgefühle.
Wie konnte ich vergessen, meine Seele zu füttern? Das fiel mir nun erst nach 50 Lebensjahren auf?
Die Schildkröte hat auch eine sehr interessante Bedeutung. Psychologisch könnte man meinen, dass sie für Unsicherheit steht, da sie sich in ihren Panzer zurückzieht, sobald Gefahr auftaucht. Aber meine winzige Schildkröte hatte gar keinen Panzer. Sie war nackt.
Spirituell ist die Schildkröte die Verkörperung der Weisheit und Klugheit. Alle Lebensweisheit sei auf ihrem Panzer geschrieben. Da meine kleine Schildkröte völlig panzerlos war, konnte das nur bedeuten, dass ich von Weisheit noch weit entfernt war. Aber da war etwas, was wachsen konnte. Sie symbolisiert auch die Schöpfung.
Wenn man morgens mit solchen Träumen wach wird, fragt man sich, wo kommen diese Traumideen her? Wer träumt da? Ich hatte mein ganzes Leben lang nie irgendetwas mit Schildkröten oder deren Symbolik/Bedeutung zu tun.
Der Alligator wirkt normalerweise bedrohlich und soll daher ein Ausdruck der Angst sein. Aber warum träume ich jetzt davon, wo ich die Ängste so gut wie überwunden hatte? Und bedrohlich wirkte er im Traum nicht gerade. Steht er für die Angst, die Reise ins Innere könnte eine Krise auslösen? Was fressen sie da? Die Weisheit in Massen? Ja, das scheint mir heute richtig zu sein. Alles muss vernichtet werden, auch der Gedanke an Weisheit, dann kann die Wahrheit auftauchen.
Anschließend malte ich wie ein kleines Kind mit Buntstiften den Yoga-Baum in mein Tagebuch, so wie B. K. S. Iyengar die acht Stufen des Yoga erklärte, um mich immer wieder daran zu erinnern, dass
- die Wurzeln (Yama) die moralischen Gebote nach außen darstellen, wie Gewaltlosigkeit, Wahrhaftigkeit, Begierdelosigkeit, nicht stehlen und rechtes Maß halten;
- der Stamm (Niyama) für die Selbstreinigung steht und darauf hinweist, auf seine innere Welt zu achten. Statt Gier, Verblendung, Stolz, Bosheit, Neid und Ärger zu fördern, sollte man Zufriedenheit, Enthaltsamkeit (keine Askese), Studium wichtiger Schriften und Hingabe an Gott üben;
- die körperlichen Übungen (Asanas) die Äste des Baumes sind, die in alle Richtungen wachsen und Körper und Seele kräftigen und reinigen;
- die Rinde (Prathyahara) verhindert, dass innere Fäulnis auftritt und dass die Sinne nach außen strömen, damit sie diszipliniert werden können;
- die Blätter (Pranayama) den Baum beatmen, so wie wir durch unsere Atemübungen ebenfalls mit mehr Energie versorgt werden;
- der Saft des Baumes (Dharana) dem Körper und dem Verstand innere Festigkeit zur Konzentration verleiht;
- die Blüte des Baumes (Dhyana), der Zustand der Meditation erreicht werden kann;
- dann aus dieser Blüte die Frucht der wahren Selbsterkenntnis (Samadhi) hervorgehen kann.
Besser kann man die Vielfältigkeit und Tiefe des Yoga einfach nicht darstellen.
Und alle Arten des Yoga, egal ob Bhakti-Yoga (Yoga der Hingabe), Jnana-Yoga (Yoga des Wissens) oder Karma-Yoga (Yoga der Tat) münden in diesen Strom.
Ich notierte mir weiter fleißig alle Begriffe aus den heiligen Schriften und versuchte diese und deren universelles Weltbild zu verstehen, welches aus den 25 Grundelementen (Tattvas) besteht und unserem europäischen Denkapparat so fremd ist.
Diese Zusammenhänge und die Wichtigkeit der Harmonie dieser Elemente finden sich auch in der ältesten Heilkunst der Welt, im Ayurveda, wieder. Deshalb ist ein Ayurveda-Arzt auch nicht nur auf die erkrankte Stelle im Körper fokussiert, sondern betrachtet die Krankheit im Zusammenhang von Körper, Geist und Seele des Menschen. Ayurveda bedeutet übersetzt die “Wissenschaft vom Leben”, während Yoga tatsächlich die “Wissenschaft vom Tod” ist.
Aufgrund meiner Natur bin ich immer auf der Hut und generell sehr skeptisch veranlagt, deshalb beließ ich es nicht dabei, nur den alten Weisen und deren Worten zu folgen, sondern befasste mich auch mit der modernen Forschung unseres Gehirns. Schon Krishnamurti wies immer wieder darauf hin, dass unser Gehirn konditioniert sei, aber wie sollte mein konditioniertes Gehirn das begreifen und akzeptieren? Deshalb nahm ich den Hinweis unserer Yoga-Lehrerin während der erweiterten Yoga-Lehrer-Ausbildung auf und fing an, Gerald Hüther zu lesen. Er ist ein sehr bekannter Neurobiologe und Hirnforscher, und an Wissenschaft konnte sich mein Verstand noch immer gut festhalten. Die für mich wichtigsten Punkte im Zusammenhang mit meiner inneren Selbsterforschung schrieb ich über mehrere Tage auf.
Tagebuch 28.12.2014:
“Ich lese das Buch von Gerald Hüther: Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn. Und ich erfahre nun auch von einem Wissenschaftler, dass unser menschliches Gehirn seit ca. 100.000 Jahren, also ca. 4.000 Generationen immer das gleiche ist. Genetisch hat sich an diesem Gehirn nichts geändert. Sinneseingänge werden verarbeitet, um dann zu handeln.
Ein festsitzender Zellhaufen braucht kein Gehirn. Zellen vermehren sich, weil sie keine Feinde haben, so wie die Parasiten (z. B. die Bandwürmer).
Dann gibt es Spezialisten, wie die Maulwürfe. Sie nutzen ihr Gehirn erst, um eine Nische zu finden, in der es sich gut leben lässt. Anschließend kommen die Anpassung und die Unfähigkeit, bei einem Wandel der Umstände damit klarzukommen. Sie sind nicht mehr flexibel.
Wer keine Nische mehr finden konnte, der musste alle Disziplinen beherrschen, um zu überleben und lernte riechen, sehen, hören, laufen …. Das Gehirn musste sich alle Optionen offen halten. Das Gehirn durfte nicht schon von Geburt an ausgereift sein, sondern bedurfte der Flexibilität, wie der Mensch, ein Alles-und-doch-nicht-richtig-Könner.
Aufgabe des Nervensystems ist es, die innere Ordnung des Körpers aufrecht zu erhalten und Störungen von Außen abzuwenden oder auszugleichen. Dies hat seinen Ursprung in der Zellkugel, die stets reagieren muss, wenn etwas von außen einwirkt.
Je unfertiger ein Gehirn zum Zeitpunkt der Geburt ist, je langsamer es sich anschließend entwickelt, je länger es dauert, bis alle Verschaltungen geknüpft sind, umso umfangreicher sind die Möglichkeiten, eigene Erfahrungen einzubauen. Man muss sich nicht nur auf genetische Veranlagungen verlassen, was ein großer Vorteil ist.”
Tagebuch 06.01.2015:
“Hüther: Somit wird unser Gehirn so, wie wir es benutzen. Wird es besonders häufig benutzt, wird es dementsprechend ausgebaut. Ansonsten verkümmert es. Deshalb sollten wir immer das machen, was wir nicht so gut können!
Frei können wir also nur bleiben, wenn wir uns als Menschen so früh wie möglich und mit soviel Umsicht wie möglich entscheiden, wie und wofür wir unser Gehirn benutzen wollen.”
Tagebuch 07.01.2015:
“Gestern Nacht Hüthers Buch ausgelesen. Einfach genial und komisch oder wahr und traurig? Der Unterschied zwischen einem Menschen und einem Tier besteht also darin, dass Menschen Wahrnehmungen bewerten können und ihnen somit einen größeren oder geringeren Bedeutungsgehalt zuschreiben. Veränderungen der äußeren und der inneren Welt werden als wichtig oder unwichtig bewertet. Wenn wir also Aufnahme, Verarbeitung und Abspeicherung intensiv benutzen, werden entsprechende neuronale Verschaltungen besonders oft benutzt und gut herausgeformt und sind dann leichter aktivierbar. Wir können dann bestimmte Phänomene besser und rascher wahrnehmen und erfassen, als andere. Die Sinne für innen und außen werden geschärft.
Das passt auch zur Konditionierung meiner Ängste.
Immer wenn eine Veränderung in der Harmonie der Innenwelt auftritt, dann entsteht ein Gefühl: Angst, Freude, Überraschung usw. Auch unsere Mimik drückt diese Gefühle aus. Kommunikation durch Gefühle spielt eine wichtige Rolle in der Entwicklung der Menschheitsgeschichte. Werden diese bei einem Kind unterdrückt, kann es keine Empathie entwickeln.
Bewusstsein ist die Fähigkeit, uns unserer eigenen Empfindungen und Wahrnehmungen, unseres ”In-der-Welt-Seins” gewahr zu werden. Um das Bewusstsein zu entwickeln, muss sich das Gehirn gewissermaßen selbst beobachten können. Warum sollte man das tun? Weil man sich mit der Frage, wie und warum man sein Gehirn nutzen will, auch immer darüber entscheidet, was für ein Gehirn man bekommt.
Das setzt also den Willen und die Fähigkeit voraus, sich selbst (Verstand/Gehirn) immer wieder in Frage zu stellen. Diese Fähigkeit erlangt man entweder:
- indem man immer wieder mit allen “Fehlern” so weiter macht, bis man im Gestrüpp der Probleme hängen bleibt, die man sich selbst mit seiner Beschränktheit geschaffen hat oder
- indem man seine Haltungen und seine Einstellungen gegenüber sich selbst und all dem, was einen umgibt, immer wieder überprüft. Ist das, was man für wichtig hält, wirklich wichtig? Achtsamkeit, Behutsamkeit, Sinnhaftigkeit, Aufrichtigkeit, Bescheidenheit, Umsicht, Wahrhaftigkeit, Verlässlichkeit und Verbindlichkeit sind hierfür nötig.”
Ich würde hier zum zweiten Punkt noch hinzufügen:
Ist das, was ich für richtig halte, wirklich richtig?
Hüthers Buch war eine Bestätigung für mich, mit der Meditation fortzufahren. Denn diese ermöglichte es mir, meinem Verstand auf die Schliche zu kommen und die unter 2. aufgezählten Eigenschaften immer mehr zu entwicklen. Die eigene Konditionierung und die unserer Mitmenschen wird dann offensichtlich.
Wenn etwas offensichtlich ist, ergibt es keinen Sinn, dagegen anzukämpfen. Weder bei sich selbst noch bei anderen. Konditionierung trifft auf Konditionierung. Jeder geht immer davon aus, dass er auf der richtigen Seite steht, und wenn er sich nicht, wie unter 1. beschrieben, darin verzettelt und leidet, dann wird er auch mit dieser Vorstellung ins Grab gehen.
Das spielt aber keine Rolle, denn wichtig ist, was wir für uns daraus verstehen und machen. Es geht immer um die eigene Entwicklung und nicht darum im Recht zu sein, da es mindestens 7 Milliarden Menschen gibt, die davon ausgehen, dass sie ebenfalls richtig liegen, und nur die allerwenigsten hören überhaupt noch zu und/oder hinterfragen ihre eigenen Gedanken und Wahrnehmungen.
Also ein völlig hoffnungsloses Unterfangen, irgendjemand ändern zu wollen. Deshalb ist es gut, dass wir demokratische Gesetze und Regelungen haben, die dafür sorgen, dass trotz alledem ein Miteinander möglich ist. Ansonsten würden wir uns noch genauso verhalten, wie vor 100.000 Jahren, als der Mensch erfolgreich den afrikanischen Kontinent verlassen hat.
Wer sich jedoch statt der äußeren Rechthaberei der inneren Reise widmet, wird seine Wahrnehmung so schärfen können, dass er alles aufnehmen, spüren und beobachten kann, was in ihm passiert, ohne dass er sich zu alten Verhaltensmustern des Gehirns hinreißen lässt. Wir können über unser Gehirn und seine Konditionierungen hinausgehen. Es ist sogar möglich zu erkennen, dass wir nicht unser Gehirn sind und unser Bewusstsein auch nicht in diesem seinen Sitz hat. Kein Mensch hat je ein Bewusstsein in einem menschlichen Körper oder Gehirn gefunden.
Bewusstsein ist etwas, was immer da ist, und in diesem immerwährenden Bewusstsein existiert die Vorstellung eines Körpers und einer Welt 7 Milliarden mal. Aber soweit bin ich hier im Jahre 2014/15 noch nicht. Es gab noch zu viele Vögel im Käfig, die befreit werden wollten.
Ich wünsche euch ein schönes Wochenende, Monika