Harmonie

Wenn ich in meinem Yoga-Tagebuch die Zeilen von Ende 2014 lese, dann spüre ich, wie groß die Freude und der Drang meiner Suche war. Egal, was um mich herum im Alltag geschah, ich nahm es wahr, tat, was nötig war, um dann wieder schnurstracks den Kurs nach innen aufzunehmen und die Reise fortzuführen. 

Es gab in den Jahren 2012 bis 2014 nur vereinzelte kleine und kurze Einblicke in das “Wunder” und es wäre ein Leichtes gewesen, diese als Einbildung abzutun und das ganze Thema “Gott/Weisheit/Erleuchtung“ abzuhaken. Und obwohl ich mich natürlich nach spirituellen Erlebnissen sehnte, wurde mir doch langsam bewusst, dass es am Ende gar nicht darum ging. 

Ich sollte mich nicht von dem entfernen, was sich mir hier vor Ort bot, und in eine andere spirituelle Welt flüchten, sondern begreifen, was hier um mich herum und in mir selbst vor sich ging. War es denn nicht genau das, was ich mir eigentlich immer wünschte? Was antwortete ich auf die Frage der Kriya-Yoga-Lehrerin, was ich mir von Kriya-Yoga erhoffe? Meine Antwort lautete: Ich erhoffe mir Weisheit. Sie lachte damals auf. Es ging mir immer um Weisheit und nicht um Erleuchtung, denn darunter konnte ich mir sowieso nichts vorstellen. 

Meine Ängste konnte ich erstaunlicherweise immer mehr ziehen lassen, weil ich mit jedem Tag fester im Sattel des Lebens saß. Endlich gab es Vertrauen in meinem Leben. Dabei war es gar nicht definierbar. Es gab kein Geld oder eine Person, die mir irgendetwas garantieren konnte, wie Sicherheit oder Gesundheit. Es wuchs einfach immer weiter irgendwo in meinem Herzen und ich konnte nicht aufhören, weiter zu forschen. 

Tauchten Bedenken auf, stieß ich in der Literatur auf Zeilen, die mich ermutigten und alles war wieder gut. Anfang Dezember 2014 schrieb ich mir z. B. einen Teil der Kena-Upanischad ins Yoga-Tagebuch, da hier selbst der Zweifel zum Sinn der Suche wurde. “Kena” heißt übersetzt “durch wen” und bedeutet, durch wen angetrieben regen sich all die Bewegungen des Lebens? 

Im Vorwort dieser Upanischad (S. 96 der Upanischaden von Eknath Easwaran) steht: Ein Sufi der jahrelang tagein und tagaus Allah anruft und sich schließlich niederwirft und schluchzend klagt: “Wie lange rufe ich nun schon, und du antwortest nicht!” Da hört er eine Stimme: “Wer glaubst du wohl, bringt dich denn dazu, mich zu rufen?”

Der erste Teil der Kena-Upanischad erklärt, dass alles, was die Welt bewegt, Bewusstsein ist. Wunderschön beschrieben und doch nur dann verständlich, wenn man es selbst realisiet hat. Ich konnte da noch nicht begreifen, dass das, was wir wirklich sind 

“die Zunge sprechen lässt, aber von der Zunge nicht gesprochen werden kann…

den Geist denken lässt, aber vom Geist nicht gedacht werden kann…

das Auge sehen lässt, aber vom Auge nicht gesehen werden kann…

das Ohr hören lässt, aber vom Ohr nicht gehört werden kann…

dich Atem schöpfen lässt, aber von deiner Atmung nicht geschöpft werden kann –

das ist wahrhaftig das Selbst. Dieses Selbst ist niemand anderes als du.”

Vielmehr war ich 2014 noch als Suchende und Forschende mit dem zweiten Teil der Kena-Upanischad beschäftigt, den ich daher auch ins Tagebuch notierte. 

Tagebuch 04.12.2014:

„Dieser zweite Teil der Kena-Upanischad gefällt mir gerade besonders, da er mich heute direkt anspricht:

„Es gibt nur einen einzigen Weg, das Selbst zu kennen, 

und der besteht darin, dass du es selbst realisierst. 

Die Unwissenden meinen, dass das Selbst vom 

            Verstand

erkannt werden kann, aber die Erleuchteten 

wissen, dass es jenseits der Dualität

von Erkenner und Erkanntem ist.

Das Selbst wird in einem höheren Zustand

des Bewusstseins realisiert, wenn du die irrige 

Identifikation durchbrochen hast, 

du seist der Körper, seist Geburt und Tod

            unterworfen.

Das Selbst zu sein bedeutet, über den Tod 

            hinauszugehen.

Realisiere das Selbst, das leuchtende Ziel des Lebens!

Tust du dies nicht, dann herrscht Dunkelheit. 

Sieh das Selbst in allem, und geh über den Tod

            hinaus. “

Und was könnte für einen Menschen, der 30 Jahre lang mit Ängsten leben musste, noch schöner und wichtiger sein, als sich wieder in den Sattel zu schwingen und nicht nur sicher und geborgen in diesem Leben, sondern noch über den Tod und somit über die Angst vor dem Tod hinaus zu reiten? 

Die Suche ging also immer weiter. Ich machte fleißig jeden Tag meine Atemübungen, die Kriya-Übungen, Reiki und meine Meditationen. Ich las nur Literatur, die mich auf dieser Reise unterstützte und machte mir Notizen, wenn sie gerade wichtig für mich waren. 

Tagebuch 17.12.2014:

“Ich lese das Buch “Musik und Kosmische Harmonie” von Hazrat Inayat Khan und denke zum ersten Mal über meinen eigenen Namen nach, denn die Bedeutung eines Namens soll großen Einfluss sowohl auf seinen Träger als auch auf andere haben. 

Während die Veden den Laut – Nada Brahma, das erste Wort – als den Schöpfer ansehen, heißt es im alten Testament, dass „Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht.“ Und im Neuen Testament heißt es: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.“

Hazrat Inayat Khan, ein großer Sufi-Meister, Musiker und Mystiker, der Anfang des 20. Jahrhunderts der bekannteste Musiker Indiens war, knüpfte daran an und erklärte in seinen Vorträgen, dass die Grundlage der Schöpfung Klang ist. Der Rhythmus und die Stimmen der Natur helfen uns zu entdecken, wie alles auf Erden zur Harmonie beiträgt. Er sagte: „Die Schöpfung ist die Musik Gottes“. 

Hazrat Inayat Khan soll mit seiner Musik Kranke geheilt haben und doch legte er eines Tages sein Instrument, die Vina, zur Seite, um es nie wieder anzurühren:

„Ich gab meine Musik auf, weil ich von ihr alles empfangen hatte, was ich empfangen sollte. Wer Gott dienen will, muss das opfern, was ihm am liebsten ist; und so opferte ich meine Musik. Ich hatte Lieder komponiert, ich sang und spielte die Vina, und in Ausübung dieser Musik erreichte ich eine Stufe, auf der ich die Musik der Sphären berührte. Da wurde jede Seele für mich eine Musiknote, und alles Leben wurde Musik. Von ihr inspiriert, sprach ich zu den Menschen, und diejenigen, die sich durch meine Worte angezogen fühlten, lauschten jetzt meinen Worten statt meiner Musik. Und wenn ich nun etwas tue, dann ist es dies, dass ich statt der Instrumente die Seelen stimme, statt der Noten Menschen harmonisiere. Wenn irgend etwas in meiner Philosophie ist, dann das Gesetz der Harmonie, wonach man sich in Harmonie mit sich selbst und mit anderen bringen muss. Ich habe in jedem Wort einen bestimmten musikalischen Gehalt gefunden, in jedem Gedanken eine Melodie, Harmonie in jedem Gefühl. Und ich habe versucht, eben dies jenen, die sonst meiner Musik lauschten, mit klaren und einfachen Worten darzulegen. Ich spielte die Vina, bis mein eigenes Herz zu diesem Instrument wurde; dann brachte ich dieses Instrument dem Göttlichen Musiker dar, dem einzigen Musiker, den es gibt. Seither wurde ich Seine Flöte; und wenn Er will, spielt Er Seine Musik. Die Leute achten mich wegen meiner Musik, aber in Wahrheit gebührt das nicht mir, sondern Dem Musiker, der auf dem Instrument spielt, das Ihm zu Eigen ist.“

Und mit diesen schönen Worten eines selbstverwirklichten Mystikers, wünsche ich euch einen schönen Sonntag-Abend, Monika 

Und mit diesen schönen Worten eines selbstverwirklichten Mystikers, wünsche ich euch einen schönen Sonntag-Abend, Monika 


2 Gedanken zu “Harmonie

  1. Liebe Monika, wie berühren mich diese Worte, da ich ja selbst Musikerin bin und die Musik für mich eines der größten Geschenke und mein persönlicher Gottesbeweis ist.
    Danke, dass du diese schwer in Worte zu fassenden Erfahrungen und Einsichten mit uns teilst!

    Gefällt 2 Personen

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