Tagebuch 24.11.2014
“Heute hat mir C. die bestellten Bücher aus Deutschland mitgebracht. Die Upanishaden, Zen in der Kunst des Bogenschießens, IGing und eine weitere Biographie des Paramahansa Yogananda, welches ich an A. weitergeben möchte (sie schenkte es mir damals und ich wollte, dass sie es ebenfalls liest in der Hoffnung, dass sie damit ihre Trauer besser bewältigen kann). Voller Vorfreude fange ich sofort mit den Upanishaden an. Der Winter kann kommen.”
Und tatsächlich stürzte ich mich auf dieses Meisterwerk gesammelter Schriften und versuchte nicht nur mit den Augen zu lesen und mit dem Verstand zu begreifen, sondern ich saugte es mit allem, was mir zur Verfügung stand, auf. Ich war mir vollkommen bewusst, dass ich hier eine ganz besondere und außerordentlich seltene Perle aus meiner Yoga-Schatztruhe gehoben hatte.
Hier wurde versucht in Worten auszudrücken, was eigentlich unbeschreibbar ist: GOTT.
Übersetzt heißt das Wort Upanishad, dass man “zu Füßen sitzt”, und zwar zu Füßen eines erleuchteten Lehrers, weil man die Botschaft ansonsten nicht verstehen konnte. Die Upanishaden galten daher auch als Geheimlehre. Da ich keinen Lehrer hatte, begriff ich diese Zeilen selbst als meinen Lehrer und versuchte mich ihnen voller Respekt und mit größter Aufmerksamkeit zu widmen.
Die Upanishaden sind ein Auszug aus den Veden, den heiligen Schriften und der Grundlage der Religion der Hindus, die 1000 bis 1500 vor Chr. entstanden sein sollen. Aber sicher ist man sich nicht. Womöglich sind sie noch viel älter. Die zusammengefassten Schriften in den Upanishaden bilden hier den letzten und jüngsten Teil der Veden und erklären die Vedanta = das Nichtwissen. Also all das, was hinter dem Wissen und somit hinter dem Verstand liegt.
Während sich also der große vorherige Teil der Veden mit seiner Perspektive generell nach außen richtet, indem er in Verehrung und voller Ehrfurcht gegenüber der Erscheinungswelt auf alles blickt, schauen die Upanishaden nach innen – und sehen in den Kräften der Natur nur einen Ausdruck der noch ehrfurchtgebietenderen Kräfte des menschlichen Bewusstseins (S. 18 der Ausgabe Goldmann-Verlag, siehe Foto).
Und somit handelt es sich bei den Upanishaden nicht um eine Vermittlung einer Religion. Vielmehr sagen die Texte uns, dass es eine dem Leben zugrundeliegende Wirklichkeit gibt, die Rituale nicht erreichen können, neben der die Dinge, die wir im Alltag sehen und berühren, bloße Schatten sind. Die Upanishaden unterrichten uns, dass diese Wirklichkeit die Essenz jedes erschaffenen Dings oder Wesens und unser wahres Selbst ist, sodass jeder/jede von uns eins ist mit der Kraft, die das Universum erschuf und es erhält.
Und schließlich bezeugen sie, dass dieses Einssein unmittelbar realisert werden kann, ohne die Vermittlung von Priestern oder Ritualen oder organisierter Religion, und zwar nicht nach dem Tode, sondern in diesem Leben, und dass dies der Zweck ist, zu dem jeder/jede Einzelne von uns geboren wurde – und das Ziel, auf das sich die Evolution zubewegt. (S. 19).
Ich könnte hier noch endlos nur schon aus der Einleitung zitieren, da diese selbst so weise und verständlich von Eknath Easwaran gefasst wurde. Aber kurz und knapp kann man sagen, dass die Upanishaden nichts erklären und auch keine Beweisführung entwickeln, und deshalb kann man diese nicht wie andere Schriften lesen. Sie benötigen ein offenes Herz und einen ebenso offenen Verstand.
Manchmal konnte ich nur einen Absatz lesen und dann war Stille in meinem Kopf. Es sprach ein Wissen an, welches hinter dem meines Verstandes lag. Er konnte nicht mithalten.
Es gab dann so etwas wie eine Ahnung – aber ein Verstehen gab es erst, als ich selbst weitere Erfahrungen gemacht hatte.
Bis dahin jedoch unterstützten sie mich und gaben mir noch mehr Vertrauen und die Kraft, nicht im Alltag stecken zu bleiben. Weiter zu meditieren und immer wieder zu hinterfragen, was mir der Verstand erzählen wollte. Neugierig zu bleiben. Nicht zu verzweifeln an Umständen oder eigenen Gedanken. Ja selbst der Angst zu vertrauen. In allem einen Sinn zu sehen und das Leben als eine tiefe innere Reise zu begreifen.
Ich möchte hier eine der kürzesten Upanishaden für euch aufschreiben, die Isha-Upanishad. Isha ist ein persönlicher Name für Gott und bezeichnet hier den inneren Herrscher. Der Text richtet sich also nicht an einen Gott da draußen, sondern immer, wenn hier von Gott/Herr die Rede ist, richtet sich die Upanishad direkt an dein inneres Selbst (Atman), dort wo Gott wirklich ruht. Und wenn die Texte so gelesen werden, dann kann es passieren, dass es ein Wiedererkennen gibt.
Wenn also in jedem von uns Gott schlummert und nur darauf wartet, wachgeküsst zu werden, so kann es bei dem Begriff “Verzicht”, der hier im Text auftauchen wird, nicht darum gehen, dieses Selbst durch Geißelung schlecht zu behandeln oder gar in die Finsternis zu treiben. Vielmehr geht es darum zu erkennen, dass wir aufhören sollten, die materielle Welt für die eigene Befriedigung zu traktieren, die uns ja genaugenommen nichts zu geben vermag. Sobald ein Bedürfnis befriedigt wurde, taucht das nächste auf.
Gandhi sagte: “Es ist genug da auf der Welt für das Bedürfnis eines jeden; es ist nicht genug da für die Gier eines jeden.”
Auch fallen mir hier die Worte eines Weisen ein, der später mein Lehrer werden sollte, obwohl ich ihm nie begegnet bin : „Solange du einen Wunsch hast, bist du ein Bettler. Warum betteln? Warum willst du nicht erkennen, dass du der König selbst bist. Sobald du nichts mehr möchtest, wartet der Thron auf dich.“
Und meine eigene Erfahrung ist, dass alles kam, sobald ich losgelassen/verzichtet hatte.
Die Isha-Upanishad (der innere Herrscher)
All dies ist voll. All das ist voll.
Aus Fülle geht Fülle hervor.
Wird der Fülle Fülle entnommen,
So verbleibt nach wie vor Fülle.
OM Shanti Shanti Shanti
Der Herr der Liebe weilt im Herzensschrein aller
Wesen.
Der Herr ist die Höchste Wirklichkeit.
Erfreu dich an ihm durch Verzicht.
Begehre nichts. Alles gehört dem Herrn.
So agierend, magst du hundert Jahre leben.
Allein so agierst du gewiss in wahrer Freiheit.
Jene, die das Selbst leugnen, werden wieder geboren,
blind gegenüber dem Selbst, von Finsternis
umfangen,
ganz und gar ohne Liebe zum Herrn.
Das Selbst ist eines. Stets unbewegt, ist das Selbst
geschwinder als der Gedanke, geschwinder als die
Sinne.
Obwohl regungslos, entkommt es flink aller
Verfolgung.
Ohne das Selbst könnte niemals Leben existieren.
Das Selbst scheint sich zu bewegen, ist aber stets
unbewegt.
Es scheint weit weg zu sein, ist aber stets nah.
Es ist in allem, und es transzendiert alles.
Jene, die alle Kreaturen in sich sehen
und sich in allen Kreaturen, kennen keinen Gram.
Wie soll die Vielfalt des Lebens
den täuschen, der dessen Einheit sieht?
Das Selbst, der Atman, ist überall. Strahlend ist er,
unteilbar, unberührt von Sünde, weise,
immanent und transzendent. Er ist es,
der den Kosmos zusammenhält.
In dunkler Nacht leben jene, für die
allein die Welt draußen real ist; in noch dunklerer
Nacht jene, für die allein die Welt drinnen
real ist. Das erste führt zu einem Leben
der Tat, das zweite zu einem Leben der Meditation.
Aber jene, die tätiges Handeln mit Meditation
verbinden,
überqueren das Meer des Todes durch tätiges
Handeln
und gehen in die Unsterblichkeit ein
durch die Ausübung der Meditation.
So haben wir es von den Weisen vernommen.
In dunkler Nacht leben jene, für die der Herr
ausschließlich transzendent ist; in noch dunklerer
Nacht
jene, für die er ausschließlich immanent ist.
Aber jene, für die er transzendent
und immanent ist, überqueren das Meer des Todes
mithilfe des Immanenten und gehen in die
Unsterblichkeit ein mithilfe des Transzendenten.
So haben wir es von den Weisen vernommen.
Das Antlitz der Wahrheit ist von deiner Scheibe
aus Gold verdeckt, o Sonne. Mögest du deine Scheibe
entfernen,
damit ich, der ich das Wahre verehre, die Herrlichkeit
der Wahrheit sehen kann.
O nährende Sonne,
einsamer Reisender, Beherrscher,
Lebensquell für alle Kreaturen, verteile dein Licht
und dämpfe deinen blendenden Glanz,
damit ich dein gesegnetes Selbst sehen kann.
Auch ebendieses Selbst bin ich!
Möge mein Leben aufgehen im Unsterblichen,
wenn mein Körper in Asche verwandelt wird.
O Geist, meditiere über das ewige Brahman.
Erinnere dich an die Taten der Vergangenheit.
Erinnere dich, o Geist, erinnere dich.
O Gott des Feuers, führe uns den guten Weg entlang
zur ewigen Freude. Du kennst all unsere Taten.
Erlöse uns vom Bösen, die wir uns verneigen
und immer wieder und wieder beten.
OM Shanti Shanti Shanti
Ich hoffe, dass ich einige von euch mit diesem Beitrag neugierig auf diese alten Schriften machen konnte und wünsche euch ein schönes Wochenende, Monika
Du hast definitiv meine Neugier geweckt und ich kenne meine nächste Lektüre ☺️ LG Rini
LikeGefällt 1 Person
Das freut mich :-), liebe Grüße
LikeLike