Anfang Oktober 2014 fuhr ich wieder für ein paar Tage zu meinem Schatz an die Ägäis. Auf dem Weg dorthin brachte ich meine jüngere Tochter bei ihrem Vater vorbei. Sie war nun fast volljährig. Seit über 15 Jahren führten wir nun schon keine Ehe mehr und seit 10 Jahren lebten wir getrennt und ich kümmerte mich ausschließlich alleine um beide Kinder. Eine Freundschaft konnte ich mit dem Kindesvater leider nie aufbauen, da dies der verletzte Stolz eines verlassenen türkischen Mannes nicht zuließ.
Die sowieso sehr selten stattfindende “Übergabe der Tochter” hatte daher auch nach dieser langen Zeit noch immer etwas Dramatisches und sehr Trauriges. Diese immer noch missbilligenden und vorwurfsvollen Blicke des Vaters konnte auch das Kind wahrnehmen. Anstatt sich auf ihren Vater zu freuen, wurde sie sehr traurig. Um ihr zu zeigen, dass ich mich nicht schuldig fühlte und um die Situation an dieser sehr frequentierten Tankstelle aufzulockern, lachte ich auf und winkte ihr fröhlich zu, als ich wegfuhr.
Außerhalb von Istanbul fiel es mir stets leichter, meinen täglichen Übungen, die immer noch aus verschiedenen Meditationsarten, Reiki, Atemübungen und Yoga bestanden, nachzukommen. So kann man zwar einen Ort verlassen, aber seinem eigenen Wesen kann man nicht entfliehen. Das zeigte mir der Traum in der ersten Nacht weit weg von Istanbul.
Tagebuch 06.10.2014:
“Traum: Mein altes zu Hause und mein Ex. Er will eine Gärtnerin für 1.500 TL einstellen. Ich bin völlig ratlos und traurig. Ich denke, das Geld wäre für die Kinder besser angelegt.
Als ich heute Morgen aufwachte, fühlte ich mich krank. Ich fror, die Glieder und der Nacken schmerzten. Es gibt keine zwei Tage hintereinander, an denen ich mich körperlich gut fühle.
Meditation während des Sonnenuntergangs: Es ist, als würde Gott seine Hand schützend auf uns alle legen.“
Tagebuch 07.10.2014:
“Ich erfahre, dass der Vater nach Berlin fliegen will. Wollte er nicht gerade auf unsere Tochter aufpassen und mit ihr Zeit verbringen?”
Ich fuhr am nächsten Tag zurück nach Istanbul, und neben Schwindel und Schmerzen begleiteten mich nachts wieder wilde Träume. Aber mit all diesen Dingen hielt ich mich gedanklich -im Gegensatz zu früher, vor Yoga/Meditation – überhaupt nicht mehr auf. Ich machte nur kurze Notizen ins Tagebuch und als “Wichtig” beschrieb ich eine ganz andere Begebenheit. Während der Meditation tauchten nun vermehrt immer wieder Gesichter vor meinem inneren Auge auf.
Tagebuch 09.10.2010:
“Wichtig: Während der Meditation sehe ich oft Gesichter. Bekannte. Fremde. Erwachsene. Kinder. Alte. Weiße. Schwarze… Das ist wirklich sehr interessant. Ganz plötzlich taucht in meinem Bewusstsein irgendein Gesicht auf. Meistens sind es Gesichter von Menschen, die ich nicht kenne. Heute war es z. B. ein rothaariges Kind.”
Wenn ich Gesichter genauer betrachte, kann ich den Charakter des Menschen ziemlich gut bestimmen. Ich kann die weiche, zärtliche, die fröhliche und auch die harte, strenge und traurige Seite anhand der Linienzeichnungen deutlich im Profil sehen. Bestimmte Vorlieben und Neigungen – auch sexuelle – erkenne ich in der Frontansicht. Dabei offenbart der Blick direkt von vorne auf das Gesicht etwas anderes, als der, wenn das Gegenüber den Kopf etwas nach unten hält oder nach oben.
Ich dachte immer, das wäre ganz normal und jeder würde sein Gegenüber so betrachten und erkennen können. Vor ca. 8 Jahren erzählte ich ganz nebenbei meiner Mutter davon. Daraufhin sagte sie mir, dass sie sich freue, dass ich diese Fähigkeit ebenfalls hätte und dass es eine besondere Gabe sei.
Ich habe noch nie mit irgendjemandem darüber gesprochen und ich habe nicht die geringste Ahnung, ob es tatsächlich eine Fähigkeit ist, die alle Menschen besitzen oder nicht. Vielleicht kennt ihr das ja auch oder wollt etwas dazu schreiben? Das würde mich sehr interessieren.
Seit vielen Wochen meditierte ich nun jeden Tag mindestens zwei Stunden. Am schönsten waren immer die Meditationen in den frühen Morgenstunden gegen 4.00 Uhr, wenn endlich auch mal der Autoverkehr in Istanbul etwas nachließ. Anschließend bereitete ich um 6.00 Uhr meiner Tochter das Frühstück vor, damit sie dann mit dem Bus zur Schule fahren konnte.
Zu dieser Zeit begann ich ein neues Buch zu lesen, das mich – in Ermangelung eines Yoga/Meditationslehreres – auf dem Yoga-Weg eine Zeitlang begleiten sollte. Es war ebenfalls eines von den wenigen Büchern, die ich im November 2012 bei einem Yoga-Retreat im Yoga-Vidya-Haus Bad Meinberg in Deutschland gekauft hatte und es stammte von dem Meister, auf dem sich auch die ganze Yoga-Vidya Linie in Deutschland aufbaut.
Es war ein Buch von Swami Sivananda mit dem Titel: “Konzentration und Meditation”. Dieser indische Arzt und Yoga-Meister lebte von 1887 bis 1963 und man sagt, er hätte sein Wissen aus der Medizin mit dem klassischen Yoga verbunden. Lange führte er ein sehr wohlhabendes Leben als engagierter Arzt und praktizierte täglich Yoga, bis er irgendwann alles in Frage stellte und sich von der Zivilisation zurückzog, um nur noch zu meditieren.
Er soll anschließend gesagt haben: “Während meiner spirituellen Praxis erlebte ich keine besonderen Erfahrungen. Es gab weder äußere noch innere Hindernisse im Fortschreiten meines Sadhana. Das war das einzig Auffallende. Ich meditierte in tiefer Meditation, dem Grundton meines inneren Lebens. So machte ich sanfte, stetige Fortschritte und erreichte bald die höchste spirituelle Erfahrung.“
In seinem Buch führt er in der Einleitung aus, wie wichtig Konzentration und Meditation sind und wie diese zusammenhängen:
„Wer sich zu konzentrieren vermag, wird sich schneller entwickeln als andere. Er wird jede Arbeit richtig anpacken und erfolgreich durchführen. Wofür andere sechs Stunden brauchen, vollbringt der Konzentrierte in einer halben Stunde. Was andere in sechs Stunden lesen, bewältigt der Konzentrierte in einer halben Stunde. Konzentration läutert und besänftigt jede aufkeimende Unruhe, vertieft das Denken und klärt die Gedanken. Konzentration hilft dem Menschen auch in seinem materiellen Fortkommen und bringt seinen geschäftlichen Unternehmungen Erfolg.
Was zuerst dunkel und nebelhaft erschien, wird klar und bestimmt. Was zunächst schwierig war, wird leicht; was umständlich, verwirrend, ungeordnet erschien, ist plötzlich begreifbar. Alles lässt sich durch Konzentration erreichen. Für einen Menschen, der regelmäßig Konzentration übt, ist nichts unmöglich, da er über eine klare geistige Schau verfügt.
Meditation folgt auf der Konzentration.
Meditation tötet alle Leiden, Schmerzen…Meditation vermittelt die Schau der Einheit und entwickelt den Sinn des Einsseins. Meditation hebt den Schüler hinauf in die höchsten Bereiche immerwährender Seligkeit und ewigen Friedens “
Weil ich weder die Autoren noch die ganzen berühmten Yoga-Meister kannte, erstaunt mich die Auswahl aus Tausenden von Büchern und auch die Reihenfolge, in der ich die Bücher las, immer wieder. Es sorgte dafür, dass ich stets völlig unvoreingenommen an die neue Lektüre heranging. Das konnte alles kein Zufall sein.
Am 12.10.2014 schrieb ich auf die erste Seite in das Buch “Konzentration und Meditation” von Swami Sivananda : “Wie schön, dass ich dieses Buch gekauft und erst gelesen habe, nachdem ich meine eigene Samadhi-Erfahrung gemacht habe.”
Ich fand es unheimlich spannend, das erste mal konkret darüber zu lesen, was ich selbst schon erlebt hatte, denn das war für mich ein Beweis dafür, dass es keine Einbildung war. Hätte ich das Buch früher gelesen, dann wäre ich immer unsicher gewesen, ob ich mir das alles in der Meditation aufgrund von Schilderungen in einem Buch eingebildet hätte.
Außerdem, wenn man Berichte über bestimmte Meditationserfahrungen liest, dann besteht die Gefahr, dass man später in der Meditation sitzt und darauf wartet, dass genau diese oder ähnliche Dinge eintreten. Mit dieser Erwartungshaltung des Verstandes wird jede Meditation zunichte gemacht, denn sie prägt die Vorstellung von Zeit, so dass der nonduale Raum nicht erfahren werden kann.
Da ich keinen Austausch mit irgendeinem spirituellen Lehrer oder anderen Meditierenden hatte, bestand auch die Gefahr, dass ich bei einem zu frühen Lesen des Buches womöglich wieder Angst während Meditation bekommen oder diese ganz und gar gelassen hätte. Immer wieder wurde in diesem Buch darauf hingewiesen, wie wichtig ein Lehrer sei und dass man diesen Weg nicht alleine gehen sollte.
Ich möchte aber hier unbedingt Entwarnung geben. Mit der Meditation können wir uns nicht schaden. Wir können höchstens mit Hilfe der Meditation erkennen, wie wir uns im Leben durch unsere Gedanken und unser Verhalten selbst Schaden zufügen.
Meditation ist generell Erholung für den Verstand und hilft dabei, zur Ruhe zu kommen. Wer meditiert, um sich auf der Suche nach Gott/der Wahrheit/Weisheit zu machen, der wird bald erkennen, dass er immer nur auf das treffen kann, wofür er bereit ist.
Meine Erfahrung ist, auch wenn kein äußerer Lehrer da ist, so haben wir unseren inneren Lehrer, der uns führt und davor brauchen wir uns überhaupt nicht zu fürchten. Wir können immer nur auf uns selbst treffen, da es nichts anderes gibt, außer dieses Eine, was du auch bist.
In den folgenden Wochen studierte ich das kleine Buch von Swami Sivananda und machte auch einige der dort vorgeschlagenen Meditationsübungen, um meine Konzentrationsfähigkeit zu erhöhen. Außerdem schloß ich zu dieser Zeit mit meinem Geschäftspartner ganz offiziell auch bei den Behörden unsere Firma, damit das Yoga-Studio anschließend an unsere junge Mitarbeiterin und ihren Mann übertragen werden konnte.
Es tat weh und gleichzeitig war das Loslassen eine Befreiung. Unmengen von Verpflichtungen fielen von einem Tag auf den anderen weg. Wieder war alles offen. Es gab keine berufliche Persepektive und kein Einkommen. Aber das beschäftigte mich nicht so sehr, wie der Umstand, dass es in Istanbul zu laut war zum meditieren und ich mich noch immer nicht vollkommen für die innere Reise zurückziehen konnte.
Tagebuch 16.10.2014
“Um 5.00 Uhr morgens versuchte ich zu meditieren aber ich war viel zu müde. Ab 7.00 Uhr ging der Krach vom Lebensmittelgeschäft unter uns los (tägliche Lieferungen mit LKW und Transport mit Rollwagen über Kopfsteinpflaster mit anschließendem Niederknallen der Stiegen und Kartons auf die Straße direkt unter unserem Fenster). Um 9.30 Uhr fingen die Bauarbeiten hier im Haus aufgrund von Wasserschäden im oberen Stockwerk an.
Das Buch von Swami Sivananda ist sehr hilfreich. Er beschreibt sehr gut meinen eigenen Zwiespalt (obwohl er nur von Männern redet) zwischen dem Wunsch nach Schweigen und Rückzug und der Verpflichtung gegenüber der Familie und der Arbeit.
Ich spüre, wie ich immer aggressiver werde, da mir Familie und Freund wie Störfaktoren auf dem Weg zur Wahrheit vorkommen. Jedes Wort, jeder Anruf, alles scheint mich nur von “meiner Weiterentwicklung” abzulenken. Ich bin so hungrig und voller Freude auf weitere Meditationserfahrungen. Meine Angst, Schüchternheit und die Feigheit müssen ausgetrieben werden, denn diese lassen eine Selbstverwirklichung nicht zu.
Wenn ich morgens um 4 Uhr zur Meditation aufstehen möchte, dann muss ich den Schlaf irgendwie nachholen können. Dafür ist es aber hier zu laut und ich kann mich nirgendwo zurückziehen. Ich bin so müde. “
All diese Gedanken gingen mir morgens durch den Kopf und ich schrieb sie nieder. Fragen, Probleme, Frust. Am gleichen Tag jedoch machte ich später noch meine Atem- und Meditationsübungen. Außerdem war es der Wochentag, an dem ich meine Fragen an Babaji/Universum stellen konnte, und hier änderte sich nicht nur die Quelle, aus der die Fragen auftauchten, sondern die ganz Perspektive.
“Mir ist keine Frage eingefallen, denn ich weiß, alles wird kommen. Es ist nicht nötig, schon jetzt zu wissen, wie es weitergehen wird, weil ich spüre und weiß, dass der Weg sich offenbaren wird. Welche Rolle spielt es, ob das Haus je fertig wird oder ich diesen oder jenen Job bekomme. Das sind alles materielle Dinge. Es wird so kommen, wie es kommen soll.
Auch alle anderen Fragen, ob ich es je schaffen werde, Babaji zu sehen oder noch einmal Samadhi erlebe oder Paramahansas Liebe verinnerlichen und weitergeben kann, wird sich ebenfalls zeigen. Ich vertraue darauf, dass bei kontinuierlicher und harter Arbeit (an mir selbst) und Vertrauen ALLES kommen wird J.“
Wie deutlich kann man hier die Unterschiede der Notizen an ein und dem gleichen Tag erkennen. Während ich morgens wieder mal im Denken festhing und in meiner Geschichte herumirrte und mich im Kreis drehte, führte mich die Meditation weg vom Denken in die Tiefe, zum Wissen und zum Vertrauen. Was ich für die innere Reise brauchte, wird kommen. Das war plötzlich ganz klar. Und dann gab es einfach nichts mehr worüber man klagen oder wovor man Angst haben könnte. Alles ist so richtig, wie es ist.
Es ist so einfach, man braucht nur mal 5 Minuten am Tag nach Innen zu gehen, um diesen Schatz zu sehen.
Sivananda schrieb weiter : Meditation „ist die geheimnisvolle Leiter, die Erde und Himmel miteinander verbindet…“
Habt ein wunderschönes Wochenende, Monika
Liebe Monika,
Ich kann in Gesichtern allerhand lesen, aber ich stelle immer wieder fest, dass ich meiner.Wahrnehmung leider nicht trauen kann. Fotos sind sehr irreführend, in Bewegung ist es vielleicht etwas besser. Gutes Beispiel ist ein Foto von Stalin. Sehr sympathisch, ich sehe nur Großväterchen. Also ich hab es nicht, ich würde sagen, es ist eine Fähigkeit. Hast du überprüfen können, ob du richtig liegst? Liebe Grüße
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Liebe Marianne, vielen Dank, dass du etwas zu diesem Thema schreibst. Ich bin wirklich sehr gespannt, ob es euch auch so geht. Ich weiß nicht, ob ich auch über ein Foto etwas über einen Menschen sagen könnte. Ich muss die Person länger betrachten und es muss ein Interesse da sein von meiner Seite. Dann sehe ich von der Seite direkt die Linien, in denen ich die Mutter, den Vater usw. erkenne. Das ganz sanfte und das harte. Das Kind. Den Mann. Die Frau. Den Liebhaber usw. Von vorne sind es nicht die Linien, sondern manchmal eher Fratzen, die mir alles sagen über diesen Menschen. Den Hass, den er in sich trägt. Den Ekel. Das Herz. Den Intellekt usw. Und geirrt habe ich mich bisher noch nicht :-). Aber das erschien mir wie gesagt immer ganz selbstverständlich :-). Liebe Grüße sende ich Dir, Monika
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Liebe Monika, deine wundervolle Gabe habe ich nicht und ich fand es spannend, darüber zu lesen. Man denkt ja oft, dass das was man selbst kann, auch jeder andere in sich hat. Ich war selbst sehr erstaunt, dass andere Menschen die ich traf, keine Farben sehen wenn sie Wörter oder Namen hören. Der Name Monika zum Beispiel erscheint mir im Kopf immer als blaue Farbe, mein eigener Name gelb. Neles Name erscheint mir im Kopf als grün, Ralf ist orange, …ich könnte noch stundenlang so weiterschreiben. Vielleicht gibt es dafür sogar einen Namen, ich weiß es nicht. Vielen Dank für deinen schönen Beitrag der mich immer mehr dazu verleitet, Meditation für mich und meine Seele in Anspruch zu nehmen. Hab ein erholsames und entspanntes Wochenende. Liebe Grüße Steph
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Guten Morgen liebe Steph, oh wie spannend. Davon habe ich vor kurzem das erste mal gehört. Synästhetiker nennt man diese Menschen. Es gibt ja leider für alles einen Namen und ich stelle es mir viel schöner vor, wenn alles eine Farbe hat :-). Wie schade, dass du diese Erfahrung nicht mit uns teilen kannst. Gerne würde ich mal erleben, wie sich das anfühlt.
Bei deiner empfindsamen Seele wirst du bestimmt in der Meditation bald auf alle Farben gleichzeitig treffen: Weiß. Darin ist alles enthalten, was existiert.
Ich sende dir liebe Grüße, ganz in Rot von Herzen und in Blau mit meinem Namen, Monika
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tolles foto, ich mag dieses seltsame äußere, wenn sie zu grinsen scheinen und fast lieb gucken, sobald sie aufspringen und zuschnappen schlägt das träge um in fresslust.
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