Yoga und Samadhi

Am 3.9.2014 öffnete ich morgens das Yoga-Studio für die Lehrerin, die als erste unterrichten sollte. Sie erzählte mir, dass sie wieder schwanger sei. Ich umarmte sie voller Liebe. Ich sagte nichts, denn ich schwieg an diesem Tag, aber endlich konnten nun bei mir Schmerz und Trauer in Form von einem schluchzenden Heulanfall ausbrechen. Vor einem Jahr hatte sie ihren 25jährigen Sohn verloren und seit dieser Zeit hielt ich mich tapfer zurück wenn sie kam, um für sie stark zu sein. Ein Jahr lang saß das nun in meinem Nacken fest und trug neben vielen anderen alten Geschichten dazu bei, dass ich immer wieder Kopfschmerzen hatte.

Sie hat diesen schweren Verlust mit Hilfe von Yoga und sicher vielen lieben Menschen gut, ohne Medikamente oder psychische Zusammenbrüche überwunden. Sie hat den Schmerz angenommen und ist ganz bewusst durch diese schwere Zeit gegangen.

Eine andere liebe Freundin, die den gleichen Verlust erlitten hatte, konnte den Schmerz nicht annehmen und somit auch nicht verarbeiten. Psychologen verschrieben ihr Tabletten. Schmerz und Trauer wurden unterdrückt. Werden die Tabletten nicht genommen, bricht der Schmerz mit der gleichen heftigen Wucht aus, als wäre ihr geliebter Sohn gerade erst heute von uns gegangen.

Die Empfindungen, die die Begegnungen heute mit diesen beiden Menschen in mir auslösen sind daher auch sehr unterschiedlich. Bei der Yoga-Lehrerin treffe ich auf strahlende Augen, auf eine Frau, die im Leben steht und einen glücklichen und zufriedenen Alltag mit ihrer kleinen Familie hat. Es gibt eine ganz freie Konversation, die nicht mit unterdrückter Trauer belastet ist.

Bei meiner anderen, mit mir sehr eng verbundenen Freundin jedoch schwingt in allem, was sie sagt und tut, der Kummer mit, ohne dass es ihr bewusst ist. Das ist für mich spürbar und auch sehr belastend. Oft habe ich daher Kopfschmerzen, wenn wir zusammen sind. Selbst wenn ich sie anrufe, erscheint auf dem Telefon das Bild ihres verstorbenen Sohnes und nicht das von ihr selbst. All die Jahre habe ich selber nicht über ihren schweren Verlust weinen können, weil ich für sie stark sein wollte und auch sein musste, da ich damals nicht nur ihre Freundin, sondern auch ihre Kollegin und Chefin war.

Ich gaube, ich kann erst weinen, wenn sie endlich mal durch diesen Schmerz geht. Dann wird sich auch ein weiterer Knoten in meinem Rücken lösen und Verspannungen werden nachlassen. Immer wieder biete ich ihr an, dass ich sie gerne begleite, wenn sie soweit ist, damit sie die Möglichkeit hat zu erkennen, dass Schmerz nichts anderes als Liebe ist.

Wir haben leider überhaupt nie gelernt, mit Trauer umzugehen. Weder mit der eigenen, noch mit der unserer Mitmenschen. Der Tod macht uns Angst, wird gut versteckt und wenn er näher kommt, dann sind wir so hilflos.

Nach allem, was ich auf diesem scheinbaren Yogaweg noch erfahren durfte, bin ich mir heute nicht mehr sicher, ob so etwas wie meine eigene Person existiert und ob es somit einen Tod überhaupt geben kann. Aber dazu kommen wir erst später.

Als ich an diesem Morgen vom Yoga-Studio wieder nach Hause kam, war ich trotz der guten Nachricht über den Nachwuchs total erschöpft. Aber es blieb keine Zeit zum Erholen. Das Leben hatte schon gleich eine neue Überraschung parat.

Tagebuch 3.9.2014:

“Mir ist schwindlig. Die Augen tun weh. Die Schultern sind verspannt. Zu Hause kann ich kaum etwas essen. Ich fühle mich völlig instabil. Ich breche mein Schweigen und rufe meinen Schatz an und erfahre, dass er einen Leistenbruch hat.“

Am Abend führte ich meine eigene Yoga-Praxis mit den Atem- und Meditationsübungen durch, wobei ich immer mehr Wert auf die freie Meditation legte. Ich hatte immer mehr das Gefühl, dass diese ganzen anderen Yoga-Mantras und Reiki-Rituale mich vom Wesentlichen nur ablenkten.

Die Yoga-Sutra des Patanjali ist wiederholt meine Nachtlektüre. Über die Jahre lese ich nun immer die gleichen Sätze, und doch scheint es so, als würde sich bei jedem weiteren Lesen eine andere Dimension zwischen den Zeilen öffnen. Da es jedoch immer die gleichen Worte sind, kann es nur daran liegen, dass sich etwas in mir verändert hat.

Kurz zusammengefasst beschäftigt sich das erste Kapitel (Pada 1-51) der Yoga-Sutra des Patanjali damit, was Yoga ist, wie man den Bewusstseinszustand von Samadhi erreicht und die Hindernisse auf dem Weg beseitigt. Da mir nun bewusst war, dass ich 2012 so etwas wie Samadhi erlebt hatte, beschäftigte ich mich ganz besonders mit den letzten Sutras dieses 1. Kapitels. Ich verstand, dass ich jetzt besonders aufpassen musste, damit ich nicht in die typische Falle einer Suchenden tappte.

So eine Samadhi-Erfahrung kann zwar dazu beitragen, dass Zweifel (an Weisheit/Gott/Erleuchtung) beseitigt werden, aber selbst wenn diese Zweifel bereinigt wurden, muss der Suchende sogar noch dieses unterscheidene Erkennen ablegen ( I, 50).

Es wäre fatal, in diesem dualen Zustand steckenzubleiben, denn wo jemand auf eine Erfahrung ausgerichtet ist, gibt es immer noch ein Objekt der Wahrnehmung. Das höchste Ziel jedoch ist die Einheit von Subjekt und Objekt, so wie es Patanjali in seiner Sutra I, 41 erklärt.

Der Wahrnehmende, der Prozess der Wahrnehmung und das Objekt der Wahrnehmung müssen zu einer Einheit verschmelzen. Erst dann können wir sehen, wie die Welt wirklich ist.

Deshalb muss der Suchende begreifen, dass auch die Samadhi-Erfahrungen nur neue Eindrücke sind, die es ebenfalls aufzulösen gilt (I,51). Also auch hieran darf man nicht anhaften, egal, wie schön diese Erlebnisse waren.

Diese letzte Sutra (I,51) war für mich sehr wichtig und ich nahm sie extrem ernst. Niemand (ausser meinem Mann und der verstand nicht viel davon) wusste von meiner tiefen inneren Reise. Ich versuchte daher meine Meditationserfahrungen, auch wenn sie phantastischer waren, als der verrückteste Science-Fiction-Film, stets als unwichtige Erscheinungen auf dem Weg zur Wahrheit oder wahren Freiheit abzulegen. Wen sollte ich damit auch beeindrucken, ohne dass man mich für eine völlig durchgeknallte Irre hielt?

Wenn ich meditierte, erhoffte ich nichts und lehnte alles ab, was kein nonduales Erleben war, wobei ich keine Ahnung hatte, was das eigentlich bedeutete. Ich wusste nur, solange da noch ein Ich auftaucht, kann es nicht das Ende der Leiter sein.

Immer wieder schrieben die Weisen darüber, dass es sehr leicht passieren kann, sich von diesen Erlebnissen verführen zu lassen. Sie immer wieder heraufzubeschwören und daran zu haften, ohne zu erkennen, dass alles, was erscheint und wieder verschwindet, nicht die Wahrheit sein kann. Sich darauf etwas einzubilden und sich womöglich noch über andere Menschen zu erheben. Sich als Lehrer aufzuspielen und so wieder Trennung zwischen sich und angeblichen Schülern zu schaffen. Dies führt zu einer anderen Form der Arroganz und kann dafür sorgen, dass man hier stecken und einem somit der restliche Weg versperrt bleibt.

Tagebuch 3.9.2014:

“Ich verstehe die Sutra I, 51 heute anders als früher. Durch die erlebte Verschmelzung mit dem ganzen Universum. Noch immer bin ich ganz aufgeregt, wenn ich daran denke. Habe ich doch etwas Wunderbares entdeckt. Etwas, das über allem steht. Etwas, was dem Leben Sinn und Kraft gibt. Freude, Glück, Zufriedenheit und Liebe ohne Ende. Weisheit? Manchmal weine ich einfach so, vor Freude. Erkennen. Und doch bin ich noch so sehr am Anfang. Ein Nichts. Ein Niemand.“

 Ich wusste, das, was ich erleben durfte, war nur ein Hauch von dem, was da wirklich auf uns alle wartet. Yoga und Zustände des Samadhi können als Übung angesehen werden, die zum Zustand der Erleuchtung/Wahrheit/Weisheit führen können.

Und ich wollte nun erst recht unbedingt wissen, was diese Wahrheit/Weisheit bedeutet.

Ich wünsche euch ein wunderschönes Wochenende, Monika


3 Gedanken zu “Yoga und Samadhi

  1. Als Ralf und ich unsere Tochter Nele begraben lassen mussten, sagte der Pfarrer, der später zu einem unserer besten Freunde wurde, dass der Begriff des Verarbeitens für ihn nicht richtig sei. Nicht verarbeitet sollte dieser unfassbare Schmerz werden sondern angenommen. Ich fand mich darin sehr gut wieder und bin sehr glücklich, dass Ralf und ich dieses schlimme Erlebnis für uns akzeptiert und angenommen haben. Vor zwei Jahren hat sich mein Bruder suizidiert, während ich selbst in einer Rehaklinik war um meine Depressionen behandeln zu lassen. Ich war sehr froh, einen Psychologen an meiner Seite zu haben der mir bis heute hilft mit diesem Schmerz klar zu kommen. Meine Energie habe ich, bei Nele und meinem Bruder darauf gelegt, anderen Menschen in ähnlichen Situationen ehrenamtlich zu helfen und zu unterstützen. Manchmal mag ich meinen Kunmmer aufrufen, aber das bestimme ich selbst und wenn ich es tue dann weil ich es für den Moment möchte und es mir gut tut. Ansonsten bin ich sehr froh ein Mensch zu sein der anderen auch zeigt, dass das Leben auf eine andere Art und Weise weitergeht. Als gläubige evangelisch- lutheranische Christen bin ich mir eh sicher, dass ich meine Lieben im himmel wieder sehe und bis dahin schicke ich an Sonnentagen wie dem heutigen 09.Mai 2020 eine Menge Seifenblasen hoch zum Himmel, als liebevollen Gruß. ❤ Ganz liebe Grüße Steph

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    1. Vielen Dank für diese offenen Zeilen liebe Steph. Das sind harte Schicksalsschläge, die du da erlebt hast und wenn man deine liebevollen und sehr lustigen Geschichten liest, vermutet man das nicht. Das eigene Kind zu verlieren ist wohl der schlimmste Schmerz, den man haben kann. Ich bin bald verrückt geworden, als meine Kleine damals krank und ständig im Krankenhaus war. Dass du anderen Menschen jetzt hilfst, zeigt, wie stark du bist. Und ja, ich bin auch sicher, dass sich alles fügen und wieder zusammenkommen wird. Ich freue mich, dich hier gefunden zu haben. Alles Liebe und herzlich, Monika

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