Fragen auf dem Weg

Ich weiß nicht, ob du dir das vorstellen kannst. Du liest eine Zeile in einem Buch und auf einmal steht die Zeit still. In allen Einzelheiten taucht eine nie vorher dagewesene Erinnerung auf von einem Erlebnis, das vor langer Zeit stattgefunden hat.

Im August 2014 ist mir genau das passiert, als ich das Vorwort von Fritjof Capra in seinem Buch “Das Thao der Physik”las. Es tauchte plötzlich eine Erinnerung von einem Meditationserlebnis im Herbst 2012 auf, die mir bis zu diesem Augenblick des Lesens völlig verborgen geblieben war.

Die Auswirkungen dieser Meditation selbst konnte ich 2012 deutlich spüren, denn ich hatte unwahrscheinlich viel Kraft und Liebe in mir. Menschen blieben auf der Straße stehen, um mich anzuschauen oder lächelten mir zu. Es war, als ginge ich in den Strahlen eines Lichts spazieren. Passanten kamen ins Yoga-Studio, wo sie doch zuvor über Monate vorbeiliefen. Ich liebte jede einzelne Person, der ich begegnete und strahlte über das ganze Gesicht, sobald mich der Blick eines anderen Menschen traf. Aber warum ich auf einmal die ganze Welt umarmen und so voller Glück und Zufriedenheit war, wusste ich nicht. Das Meditationserlebnis war zunächst nicht als Erinnerung in meinem Verstand geblieben.

Erst die folgenden Sätze in Capras Werk holten es im Augenblick des Lesens wieder an die Oberfläche: “Eines Nachmittags im Spätsommer saß ich am Meer und sah, wie die Wellen anrollten, und fühlte den Rhythmus meines Atems, als ich mir plötzlich meiner Umgebung als Teil eines gigantischen kosmischen Tanzes bewußt wurde. Ich „sah“ die Atome der Elemente und die meines Körpers als Teil dieses kosmischen Energie-Tanzes”.

Ich war anschließend extrem aufgeregt und versuchte mit meinem Mann darüber zu sprechen. Der hatte zwar so ein Buch im Regal stehen, aber er war weit davon entfernt zu verstehen, was Capra damit meinte und was da gerade in mir vorging. Aber ich konnte einfach nicht darüber hinwegsehen und so stiegen mit der auftauchenden Erinnerung Fragen über Fragen auf.

Tagebuch 13.08.2014:

Genau wie mein Meditationserlebnis (vor zwei Jahren). Ich war ein Teil eines großen Ganzen und auch nur aus vielen kleinen Teilchen bestehend. Alles war in Bewegung. Alles war hell und warm und voller Liebe.“

Kann es sein, dass man dieses Erlebnis hat, wenn alle Atome unseres Körpers im rythmischen Einklang mit den Atomen des Universums sind? Ist es das, was wir mit der Meditation und dem ruhigen Atem erreichen? Während Fritjof Capra mit offenen Augen aufs Meer schaute und sich ihm alles als ein einheitliches tanzendes Energiebild darstellte, erlebte ich das gleiche Phänomen mit geschlossenen Augen. Ich „sah” 2012 mit geschlossenen Augen das ganze Universum.

Können Tiere das Gleiche erleben? Fühlen? Verstehen? Leben sie womöglich permanent in diesem Zustand, während wir Menschen das alles schon verloren haben und deshalb alles um uns herum zerstören?

Können wir ganz bewusst in diesen Zustand hineintreten oder bedarf es der Gnade? Ist es diese in der Yoga-Sutra erwähnte “Stille”, die zum Einklang mit allem führt?

Und wenn wir in der Lage sind, immer wieder in diesen Zustand zu gelangen, ist es dann auch möglich von einem Ort zum anderen zu gelangen, ohne sich zu bewegen oder gar in eine andere Zeit zu reisen?

Ist es womöglich doch nicht so abwegig, wenn Paramahansa Yogananda in seiner Biographie davon berichtet, dass sein Guru zur gleichen Zeit an zwei verschiedenen Orten war?

Ich verstehe nun auch, warum die rein wissenschaftlichen oder auf einer Religion aufgebauten Ansichten und überhaupt alle philosophischen Schriften mich nicht befriedigen konnten. Sie waren nur Theorie. Sie enthielten keine Erfahrung. Es sind entweder nur durch Denken verursachte Schlussfolgerungen, Formeln, Zahlen oder Glauben. Glauben aus Büchern oder Erzählungen. Aber wo ist die eigene Erfahrung?

Und hier unterscheidet sich die östliche Philosophie von der westlichen. Die Zweifel an allem, was erzählt und gelesen wird, gehören dazu, genauso wie die eigene Erfahrung.

Ich habe das Gefühl, dass sich meine Suche allein schon für diese eine Erfahrung gelohnt hat. Ich muss unbedingt die Upanishaden lesen.

Irgendwie erinnert mich das alles an den Blick in diese damals so modernen 3 D Bilder. Wenn man lange und konzentriert auf ein scheinbar ganz chaotisches Bild schaute, drang man irgendwann in die Tiefe vor, alles bekam eine Ordnung, und es zeigten sich dreidimensionale Bilder.”

Ich konnte mit niemandem darüber sprechen. Ich hatte keinen Lehrer. Man stelle sich vor, ich hatte ein Yoga-Studio, einen Partner und etliche Yoga-Lehrer um mich herum aber ich wusste, niemand würde es verstehen oder darüber sprechen wollen.

Wenn ich mit meinen Erlebnissen alleine war, waren es Wunder, und sie hatten etwas so Zartes und Heiliges. Sobald ich jedoch versuchte mit anderen darüber zu sprechen, wurde es eine banale Geschichte. Denn tatsächlich fehlten mir die richtigen Worte, um es zu beschreiben, und bei meinem Gegenüber gab es keinen Platz, wo das Gesagte sich hätte niedersetzen und zum Verstehen führen konnte. Denn da war nur ein Hören mit dem Verstand und dieser konnte das nicht nachvollziehen.

Schrieb ich es auf, dann wurde aus diesem Wunder etwas Flaches, wie das Papier, auf dem es steht und all seine Schönheit ging verloren.

Während sich also der Boden unter der Matte langsam immer weiter zum Universum hin öffnete, wurde es um mich herum im Alltag immer enger und einsamer, weil ich niemanden mitnehmen konnte. Auf einmal war da etwas, was mich von fast allen anderen Menschen um mich herum trennte, dabei sollte es doch vereinen.

Solche mystischen Erfahrungen lassen uns nicht immer in den Himmel fliegen, sondern sie können auch unser ganzes Wesen ins Wanken bringen. Vorher gab es, auch im Unglück oder im Schmerz, immerhin eine gewisse Ordnung. Es gab eine von der eigenen Person (Subjekt) getrennte Welt (Objekt). Und auf einmal, für nur einen winzigen Augenblick erkannte ich, dass ich gleichzeitig das ganze Universum und mit allem verbunden bin. Jegliche Trennung war aufgehoben. Hinzu kam, dass ich das im Jahr 2012 in der Meditation erlebte aber erst zwei Jahre später durch den Blick in ein Buch als Erinnerung erkannte.

Das erzeugt auch neben der Euphorie und vielen Fragen gewisse Ängste. Vor allen Dingen dann, wenn kein Lehrer da ist, der diese Unsicherheiten auffängt.

Deshalb ist es auch verständlich, dass ich in der darauffolgenden Nacht sehr unruhig schlief und einen Albtraum hatte.

Tagebuch 14.08.2014:

“Ich schlief schwer ein. Der Kopf stand nicht still. Ich hatte einen Albtraum. Mein Kind fällt herunter, weil der Mann neben mir nicht aufpasst. Ich steh an einem Abhang. Ein furchbares Gefühl. Steil geht es nach unten und es gibt keine Chance irgendwo sanft aufzukommen. Warum träume ich so etwas?”

Heute verstehe ich diesen Traum. Um zu begreifen, was in der Meditation erlebt und später erinnert wurde, muss – so brutal es sich jetzt auch anhört – die Person Monika erst einmal sterben. Um zu „sehen” wer wir wirklich sind, müssen wir alle Konzepte, die wir jemals über uns und diese Welt hatten, hinter uns lassen und in eine uns völlig unbekannte Tiefe springen. Wer an einem Konzept, wie Zeit oder an Objekten oder gar an seiner eigenen Geschichte festhält, der kann niemals frei (erleuchtet) sein.

Noch etwas verwirrt und ohne Erklärungen für all das, was da gerade mit mir passierte, machte ich in den folgenden Tagen fleißig meine Meditations-und Atemübungen weiter. Ich spürte, dass mein Atem wieder tiefer und länger wurde, seitdem ich Istanbul verlassen hatte. Ich beschäftigte mich viel mit Paramahansa Yogananda und Krishnamurti. Mein Verstand versuchte zu verstehen. Ich wollte wissen, wie ich eine Person und gleichzeitig das Universum sein konnte, ohne da schon zu begreifen, dass gerade mein Verstand nicht der beste Ratgeber ist und deshalb dieses Rätsel niemals lösen wird. Bei meiner Suche im Internet stieß ich irgendwie auf einen Text von einem Buddhisten namens Lama Anagarika Govinda, der mir half, das alles besser zu verarbeiten.

Tagebuch 18.08.2014:

„Laut Lama Anagarika Govinda bin ich womöglich in meine innere Welt getreten. Die innere und die äußere Welt sind zwei Seiten desselben Gewebes, indem die Fäden aller Kräfte, Ereignisse, aller Formen des Bewusstseins in ihren Objekten zu einem unauflöslichen Netz endlos, sich gegenseitig beeinflussend zusammenhängend verwoben sind.”

Das schien mich irgendwie zu beruhigen, denn in den darauffolgenden Nächten schlief ich besser, wurde aber nachts stets um drei Uhr wach, um dann zu meditieren. Zurück in Istanbul fuhr ich mit meinen Übungen und Meditationen fort. Außerdem fing ich an, meine ganzen Tagebücher und sonstige Notizen zu durchwühlen. Es konnte doch nicht sein, dass ich über dieses Meditationserlebnis 2012 gar nichts aufgeschrieben hatte. Wie konnte das zwei Jahre einfach untergehen? Ich konnte nichts finden und das gab mir so viele Rätsel auf, die mich nun in allen folgenden Meditationen immer unsicherer machten.

Tagebuch 20.08.2014:

„Meditation. Ich höre vorbeifahrende Autos und einen kläffenden Hund. Kein Denken. Plötzlich absolute Stille. Dunkelheit. Es kribbelt in meinem Körper. Alles scheint stillzustehen. Dann setzt das Denken wieder ein. Atme ich noch? Werde ich jetzt ohnmächtig? Ich kontrolliere meinen Atem. Ist er noch normal? Er ist ruhig. Ich begreife, dass ich aus Angst vor dieser Stille aus diesem Zustand herausgetreten bin. Es gab kein Vertrauen mehr.”

Es war ganz klar, es fehlte mir ein klärendes Gespräch. In vielen Schriften wurde auch davor gewarnt, dass man Probleme bekommen könnte, wenn man sich ohne Hilfe eines Meisters/Lehrers/Gurus auf die Suche nach Gott macht. Man könnte in der Meditation auf gefährliche Gestalten, ja sogar Geister und ähnliches treffen, seinen eigenen Schatten begegnen usw. Ich wurde immer unsicherer.

Dann fiel mir ein, dass ich unsere Kriya-Yoga Lehrerin in Brasilien anschreiben könnte. Lange hatten wir keinen Kontakt mehr aber sie schien mir die einzige Person zu sein, die vielleicht verstehen und mir einen Rat geben könnte. So schrieb ich ihr eine Mail, in der ich ihr in allen Einzelheiten mein Meditationserlebnis schilderte…

In diesem Sinne wünsche euch WUNDERbare Osterfeiertage, Monika

 

 


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