Der Begriff des Kriya-Yoga begegnete mir das erste Mal in der Bhagavad-Gita, dann in den Yoga-Sutras des Patanjali und anschließend in dem Buch von Paramahansa Yogananda “Autobiographie eines Yogi”. Von der Self-Realisation Fellowship erhielt ich damals die kostenlosen Lehrbriefe, in denen ebenfalls erklärt wurde, wie Kriya-Yoga anzuwenden ist.
Ich ging allerdings voller Hoffnung davon aus, dass es etwas ganz anderes sein muss, wenn man einem “autorisiertem” Lehrer gegenübersitzt und nach dessen Anweisungen arbeitet. Deshalb war ich sehr aufgeregt und glücklich, einer Kriya-Yoga Lehrerin zu begegnen. Extra aus Brasilien kam sie angereist, um in unserem Studio mit einer kleinen Gruppe von Interessierten einen Workshop zu Thema Kriya-Yoga zu halten.
Ich war wirklich nervös und voller Erwartungen. Ich dachte, nun würde ich endlich einen großen spirituellen Schritt machen können. Endlich war da jemand, zu dem ich aufschauen konnte und der mir sagen würde, wie ich auf meiner inneren Reise vorzugehen hätte.
Ich wusste, um spirituelles Wachstum zu erlangen, wurde Kriya-Yoga in Indien über Jahrtausende praktiziert. Irgendwann geriet diese Technik jedoch in Vergessenheit und es heißt, Lahiri Mahasaya hätte diese wiederbelebt. Wer zufällig das Buch von Paramahansa Yogananda gelesen hat, der weiß, dass Lahiri Mahasaya der Lehrer von Sri Yukteswar war und dieser wiederum der Lehrer von Paramahansa Yogananda. Die Eltern von Paramahansa Yogananda waren Schüler von Lahiri Mahasaya und ließen ihr Kind von diesem segnen, bevor er dann 1895 starb.
Es heißt weiter, Lahiri hätte die Kriya-Yoga Technik direkt von Babaji erlernt, einem Mahavatar, einem mythologischer Sadhu, der über viele Jahrhunderte immer wieder mal im Himalaya auftaucht.
Hier schon werden die meisten Leser die Augenbrauen anheben oder den Kopf schütteln, so wie ich es tat, als ich all das im Buch von Paramahansa las. Ein Wesen, das 203 nach Christus geboren wurde und bis heute immer wieder auftaucht, um zu lehren, erscheint nicht sehr realistisch. Ich lasse das jetzt hier trotzdem so stehen, ohne es zu bewerten, denn der Begriff “Realität” wurde im Laufe der inneren Yoga-Reise für mich immer schwammiger. Nur kurze Zeit später sollten Worte wie “Zeit”, “Form” und “Wahrheit” immer mehr in Frage gestellt werden, und es ist mir eine große Freude, euch Stück für Stück auf diese Reise mitzunehmen.
Interessant ist noch, dass es weltweit verschiedene Kriya-Yoga Gruppen gibt, die sich alle auf Babaji als Quelle berufen. Auch in Deutschland gibt es einen Guru/Lehrer, der seine Legitimation damit begründet, dass ihm Babaji als Kind immer wieder erschienen sei. Er hat sogar einen großen Ashram in Deutschland, und als ich diesen auf Anfrage von Freunden im Jahr 2015 besuchte, hatte ich die ganzen 5 Tage lang nur Kopfschmerzen. Dazu komme ich aber später noch.
Die Lehrerin, die uns 2014 in Istanbul besuchte, gehörte der Organisation “Babajis-Kriya-Yoga” an, die ihren Hauptsitz in Quebec/Kanada hat. Es wird erzählt, hier hatte Babaji dem Journalisten V.T. Neelakantan in den Jahren 1952 bis 1953 selbst einen Text diktiert, der heute unter dem Namen “The Voice of Babaji” bekannt und Grundlage dieser Organisation ist.
Natürlich gab es nach dem Erscheinen dieses Textes heftigen Streit mit der von Paramahansa gegründeten Self-Realisation Fellowship. Diese Auseinandersetzung konnte nur mit Hilfe des damaligen Indischen Premierministers Pandit Nehru geschlichtet werden.
Aber egal, um welche Organisation es sich auch handelt, Kriya bedeutet übersetzt immer das Gleiche, nämlich “tun”, “handeln” oder “arbeiten”. Ziel des Kriya-Yoga ist es, die Einheit mit dem Göttlichen zu erlangen und so die Schwierigkeiten des Lebens zu überwinden. Dafür wendet man eine bestimmte Technik an, um die Beziehung zwischen Geist und Atem zu vertiefen. Man nennt es auch die Wissenschaft von der Kontrolle des Geistes, da die Kontrolle des Atems die Selbstkontrolle ermöglicht.
Im Prinzip kennen wir diese Kombination von Bewegung und richtiger Atmung ja schon vom Hatha-Yoga (siehe Artikel über Iyengar). Beim Kriya-Yoga nun werden viel einfachere Körperübungen und eine spezielle Atemtechnik angewendet, bei der dem Körper sehr viel Sauerstoff zugeführt und somit gleichzeitig Kohlendioxid entzogen wird. Dieser zusätzliche Sauerstoff wird im Körper in Energie umgewandelt, damit Gehirn und Rückenmark neu belebt werden können. Außerdem soll der Zerfall der Zellen damit reduziert werden. Man sagt, fortgeschrittene Yogis können durch Umwandlung ihrer Zellen pure Energie erzeugen.
Was beim Kriya-Yoga willentlich herbeigeführt wird, kennen alle, die mit Ängsten und Panikattacken zu tun haben sehr gut unter dem Namen Hyperventilation, und wir sind daher erst einmal froh, wenn wir genau diese Situation nicht haben, weil wir mit dieser Energie normalerweise nicht umgehen können. Der Unterschied zwischen Kriya-Yoga und einer Panikattacke ist also, dass die dabei freigesetzte Energie beim Kriya-Yoga sinnvoll umgesetzt wird, während sie bei Menschen mit Ängsten nur Panik auslöst, weil wir sie nicht loswerden bzw. kontrollieren können. Die Angst ist da, aber es gibt keine Gefahr und so übernimmt diese überschüssige Energie die totale Kontrolle über uns, anstatt umgekehrt.
Deshalb ist es für Menschen mit Ängsten extrem wichtig zu lernen, wie man den Atem kontrolliert.
Die Kriya-Yoga Lehrerin S. traf ich am 23.04.2014 das erste Mal und wir besprachen den Workshop, der zwei Tage später starten sollte. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie ich im Studio wartete. Ich hatte Tränen in den Augen. Was für ein Glück, dachte ich. Ich suchte einen Kriya-Yoga Lehrer und nun kommt S. direkt vom anderen Ende der Welt hierher. Wie verrückt ist das alles?
Ich wartete auch auf Schüler, die an dem Workshop teilnehmen wollten, aber es kamen nur die zwei, die sich vorher angemeldet hatten. Ich war vor allen Dingen sehr verwundert darüber, dass die Yoga-Lehrer selbst kein Interesse zeigten. Egal, ob es nun die eigene Yoga-Richtung ist oder nicht, es war eine einmalige Gelegenheit, eine andere Erfahrung zu machen und sich weiterzubilden. Wer kann es sich als armer Yoga-Lehrer schon leisten nach Kanada, Brasilien oder nach Indien zu fliegen, um andere Lehrer und Techniken kennenzulernen?
Oder hatten sie, wie ich selbst auch, Berührungsängste?
Tagebuch 26.04.2014:
“Mit Migräne aufgewacht. Gestern war die Vorbesprechung für den Kriya-Yoga Workshop im Studio. Niemand ist gekommen außer N. und C. und eine fremde Frau. Ich habe das Gefühl, die meisten sind noch nicht so weit und deshalb wollen sie nicht daran teilnehmen. Auch ich bin irgendwie etwas ängstlich.
Ist das alles Blödsinn oder ist es wahr, was in den Schriften (Bhagavad Gita, Yoga-Sutras usw.) steht? Sind die Yogis deshalb still, weil sie sonst als völlig verrückt abgestempelt werden? So wie es aussieht, sind wir nur wenige Personen beim Workshop. Mein lieber Schatz will auch mitmachen. Wahrscheinlich nur, um mich zu unterstützen.”
Mein damaliger Partner und heutiger Ehemann, der ungefährt zur gleichen Zeit in mein Leben trat wie das Yoga-Studio, unterstützte mich wo er konnte. Wie ich, lehnte er jegliche Religion ab und als Naturwissenschaftler war er weit davon entfernt ein Yogi zu werden. Und doch hatte er immer ein offenes Ohr für meine Gedanken, Gefühle und meine Suche und tatsächlich nahm er an diesem Workshop teil, damit dieser überhaupt stattfinden konnte. Gott segne alle gelassenen und humorvollen Ehemänner J.
Obwohl er den größten Respekt vor der sehr autoritären, erfahrenen und sympathischen Kriya-Yoga Lehrerin hatte, nahm er wohl mit den Gedanken, “lassen wir das alles mal ganz in Ruhe über uns ergehen”oder “alles hat ein Ende” teil, während ich mit offenem Herzen aber mit kritischem Verstand alles mitmachte aber genauestens beobachtete.
Ich kann nicht verhehlen, dass ich ziemlich enttäuscht war von diesem ersten Workshop und nicht wusste, ob ich auch am zweiten teilnehmen würde. Ich hatte kein Verständnis für Riten, heilige Texte in Sanskrit, Gesang oder Tänze. Auf die Frage von S., was ich mir hier erhoffte, sagte ich : Weisheit. Sie lachte auf und ich lauschte auf.
Tagebuch 28.04.2014:
“Ich bin mir nicht sicher, ob ich auch den zweiten WS mitmachen möchte. Auch finanziell ist es schwer möglich. Die letzte Meditationstechnik sollte zu Babaji führen. Das hat aber bei uns allen nicht geklappt. Die meisten anderen Meditations- und Atemtechniken waren mir nicht fremd. “
Tagebuch 29.04.2014:
“Ich bin verwirrt. Reiki, Kriya, Krishnamurti? Welcher Weg ist der richtige für mich? Reiki- mache ich jeden Tag. Mit Kriya-Yoga Übungen (jeden Tag eine andere Atemtechnik und Mediation, die alle 7 Tage wiederholt wird) habe ich noch nicht angefangen. Soll ich denn zum zweiten WS gehen? Ich fühle mich völlig orientierungslos und bin in einer merkwürdig depressiven Stimmung. Zu viele Fragen, zu viele Probleme und keine Antworten.”
Der zweite WS fand außerhalb von Istanbul an einem See in einem gemieteten Haus statt und ich entschied mich dazu, daran teilzunehmen. Ich wollte dem Kriya-Yoga noch eine zweite Chance geben.
Tagebuch 03.05.2014:
“Um 5.30 Uhr aufstehen. Um 6.00 Uhr Zusammenkunft. Nach verschiedenen Pranayama-Übungen (Atemübungen) wurde für 24 Stunden das Schweigen eingeläutet. Anschließend acht Kriya-Yoga Körperübungen (Asanas). Um 9.00 Uhr Frühstück. Immer wieder taucht die Frage auf, was mache ich mit diesen fremden Menschen in diesem Haus? Warum tanze ich um meine eigene Achse oder singe dieses Mantra? Auf der Suche und auf den Spuren von Paramahansa Yogananda, Krishnamurti oder Iyengar? Ab nächste Woche möchte ich zu Hause wieder früher aufstehen. Ich habe keinen Rythmus mehr. Brauche mehr Selbstpraxis. Mittwochs werde ich schweigen. Ich muss Reiki und Kriya bis Ende Mai unter einem Hut bringen.
Das Schweigen tut so gut. Auch beim Essen. Ich esse weniger, weil ich bewusster esse. Herrlich diese Ruhe hier. Nachts war es so leise. Nicht so laut, wie in Istanbul. Wahrscheinlich konnte ich deshalb nicht schlafen.”
Die folgenden zwei Tage waren sehr intensiv. Viel Meditation und interessante Gespräche. Das erste Mal habe ich erklärt und auch gezeigt bekommen, wo sich die Chakren im Körper befinden und welche Rolle sie spielen. Gemeinsam sprachen wir über die Yoga-Sutras des Patanjali, was mir so viel Freude machte, da ich zuvor niemanden hatte, mit dem ich darüber sprechen konnte. Leider war alles wieder in Englisch.
Wir sprachen viel über die Sutra I,30 und I,31. Die Sutra I,30 setzt sich mit den Hindernissen auseinander, die eine spirituelle Entwicklung verhindern können. Krankheit, Trägheit, lähmender Zweifel, Untätigkeit, Achtlosigkeit, Zügellosigkeit, mangelnde Ausdauer oder Stagnation und Rückfall, weil man zu stolz ist oder nicht weitermacht. Immer wieder muss man sich beobachten und erkennen, bei welchem Hindernis man gerade festhängt und es überwinden. Der Mensch braucht die Energie und Anstrengung, wenn er etwas erreichen will.
Ich würde dem heute noch immer zustimmen. Wenn ich meinen Eintrag im Tagebuch vom 03.05. lese, dann fehlte es mir nicht an Motivation, Ausdauer oder Aktion, da ich schon während des WS plane, was ich bei meiner Rückkehr noch alles für Yoga machen kann.
Ich persönlich würde sagen, dass die Ausrichtung extrem wichtig ist. Ist einem die Suche nach Gott/Weisheit am wichtigsten, dann muss alles darauf ausgerichtet sein. Man kann diese Suche unmöglich mal so nebenbei als Hobby betreiben. Aber noch war ich voller Zweifel. Hatte ich doch noch immer nicht ein einziges “bewusstes” Erlebnis, was darauf rückschließen lässt, dass so etwas wie göttliche Weisheit tatsächlich existiert. Vielleicht ist es doch nur Philosphie oder Religion?
Die Sutra I,31 behandelt noch weitere Hindernisse, die ihre Ursache in der Ablenkung haben. Hierzu zählen der Kummer, Verzweiflung, körperliche Schwäche und unregelmäßige Atmung. Früher hätte ich gefragt, sucht man sich denn Kummer oder Verzweiflung aus? Hatte ich mir denn z.B. ausgesucht, dass ich Panikattacken habe und deshalb oft traurig und verzweifelt bin?
Meine Antwort heute ist, nein, die Konditionierung meiner Ängste habe ich mir nicht ausgesucht, aber ja, ich kann darüber entscheiden, ob ich deshalb traurig bin und ob ich etwas dagegen unternehme. Alles spielt sich in meinem Kopf ab und ich kann frei entscheiden, ob ich diesen Gedanken folge oder nicht. Gegen körperliche Schwäche und falsche Atmung kann man in der Regel auch etwas tun, es sei denn man ist schon zu krank. Dann sollte man sehr gut auf sich achten und seine Energie nicht abgeben. Hierzu hatte ich mir im Tagebuch folgenden Satz unterstrichten:
Lehre fischen und verteile nicht deine Fische. Diesen Satz schrieb ich mir hinter die Ohren, denn hierin lag die Ursache für meine permanente Erschöpfung. Unsere Lehrerin sagte auch, dass die Menschen unsere Energie spüren und einen aussaugen. Ja, so fühlte es sich für mich im Yoga-Studio an.
Am Ende des WS gab es eine sogannte Initiation (Einweihung) und jeder erhielt ein persönliches Mantra. Außerdem gab es eine Anleitung für die zukünftigen täglichen Meditations- und Atemübungen. Meine Zimmermitbewohnerin sagte, in der letzten Nacht hätte ich im Schlaf gesungen oder gesummt. Musste wohl daran liegen, dass wir die Nacht davor 5 Stunden lang immer wieder nur ein Mantra gesungen hatten.
Ich wünsche euch ein schönes Wochenende, Monika
Lehre fischen und verteile nicht deine Fische. Diesen tollen satz schreibe ich mir auf und hänge ihn mir an die Pinnwand. Danke für deine wunderbaren Zeilen liebe Monika. ❤
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