Immer wieder lese und höre ich gerne Krishnamurti und ich möchte heute mit euch teilen, was Krishnamurti zu Ängsten und der Analyse sagt. In meinem Buch behandele ich dieses Thema aus meiner eigenen Erfahrung ebenfalls, aber hier wird es noch einmal aus seiner Sicht ganz klar auf den Punkt gebracht, warum Analyse bei Ängsten nicht helfen kann.
“Wenn ich Angst analysiere, wie weiß ich überhaupt, dass es Angst ist? Nur deshalb, weil ich mich an eine frühere Erfahrung der Angst erinnere. Diese Erinnerung ist in meinem Gehirn gespeichert und wenn dann eine Reaktion stattfindet, dann sage ich, es ist Angst.”
Heute lässt sich diese Aussage von Krishnamurti aufgrund neuester wissenschaftlicher Untersuchungen nachweisen. Für die Angst ist im Gehirn die Amygdala zuständig. Diese löst die Angst automatisch aus, wenn sie durch die Sinne an etwas erinnert wird, was schon einmal Angst ausgelöst hat. Unser rationales Gehirn hat zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch nicht begriffen, dass dieser Vorgang aktiv ist, und daher ist bis hier noch alles in vollkommener Ordnung.
Da ist eine Situation, gefährlich oder ungefährlich (und damit irrational) und der Körper schlägt Alarm. Alles super. Denken und Körper sind in Harmonie zum Selbstschutz.
Das Problem fängt erst dann an, wenn der Denker einsetzt. Die Person, die sich in dieser Situation befindet, muss nun handeln und deshalb wird der rationale Teil des Gehirns aktiv. Flucht oder Kampf ist angesagt, wenn eine Gefahrenlage vorliegt. Denken und Handeln sind synchron aufeinander abgestimmt. Es gibt keinen Widerspruch zwischen dem Alarm, den körperlichen Reaktionen, wie z. B. Adrenalinausschüttung und dem anschließenden Handeln, wie Flucht oder Kampf. Alles geschieht automatisch. Es gibt kein weiteres Denken, was die Sache verkomplizieren würde.
Liegt jedoch gar keine Gefahr vor, findet eine Spaltung statt zwischen dem Denker und den Gedanken. Es taucht ein Denker auf, der sagt, ich hatte Angst und diese Angst ist jetzt hier nicht angebracht, da keine Gefahr vorliegt, und dann entspannt sich das Nervensystem wieder.
Taucht jetzt hier jedoch ein ängstlicher Denker auf, der mit irrationalen Ängsten zu kämpfen hat, dann sagt sich dieser, es liegt keine Gefahr vor und ich will diese Angst nicht haben. Er hat Angst vor der Angst. Er ist nicht entspannt und lässt die Angst nicht vorübergehen, sondern kämpft gegen diese Angst an und gibt ihr somit Futter und Macht.
Krishnamurti nennt diese Teilung zwischen dem Denker und den tatsächlich vorliegenden Gedanken den immer wiederkehrenden Konflikt des Menschen, da wir diese Teilung in allen Bereichen des Lebens haben und nicht nur bei der Angst. Das gilt auch für die Wut und überhaupt für alle Emotionen, da diese auch ihren Ursprung in Gedanken haben.
Auf der psychologischen Ebene versuchen wir etwas zu sein (nämlich nicht ängstlich), was man aber gerade nicht ist. Er nennt es das “Leben in der Schablone/Muster” des Gehirns.
Warum hilft es nun nicht, wenn ich dies alles genau analysiere? Warum kann mir in den meisten Fällen kein Psychologe helfen, wo er doch mit mir gemeinsam mein ganzes Leben und die Reaktionen des Körpers und des Geistes analysiert hat? Warum können mir beim Flugkurs die Psychologin und der Pilot nicht helfen, wenn sie mich zwei Tage lang darüber aufklären, wie irrational meine Ängste sind und wie sicher ein Flugzeug ist?
Ich finde es wunderbar, bei Krishnamurti genau das zu lesen und zu hören, was ich selbst erfahren und erlebt habe und ich möchte es euch daher hier mit seinen Worten noch einmal aufzeigen. Er beschreibt den Unterschied zwischen Analyse und Beobachten, und ich versuche es mal hier zusammenzufassen.
Unser Gehirn ist das Gehirn, das bei allen Menschen auf der Welt gleich ist. Es hat sich in Millionen von Jahren, also im Laufe der Evolution zu dem entwickelt, was es heute ist. Wird ein Mensch geboren, dann enthält sein Gehirn all die Informationen, die alle Gehirne der Welt von heute enthalten, und mit dem Aufwachsen kommen immer wieder neue Informationen aus Familie und Umwelt und eigene Erfahrungen hinzu.
Ein Gehirn besteht aus Materie. Zellen sind Materie. Evolutionelle, genetische und selbst gemachte Erfahrungen werden im Gehirn in den Zellen als Materie im Form von Wissen gespeichert. Aus diesem Wissen entsteht das Denken. Denken ist der Vorgang, der aus dem Wissen kommt und somit ist Denken ebenfalls Materie.
Das halten wir fest: Wissen und Denken, welches immer dem Wissen entspringt, bestehen aus Materie.
Was ist nun Analyse?
Seit ewigen Zeiten wird unser Gehirn auf Analyse ausgerichtet. Zu Hause und in der Schule lernen wir, alles, was wir sehen und erleben, zu analysieren. Analyse basiert jedoch auch auf Wissen und ist damit ebenfalls Denken. Wissen, welches gerade in diesem Jahrhundert ansteht, gerade im eigenen Umfeld von Religion, Wissenschaft und Gesellschaft vorherrscht. So wie ich aufwachse und wo ich aufwachse, so denke ich und so analysiere ich alles um mich herum.
Wissen kann aber nie 100%ig vollständig sein. Wissen ist immer begrenzt und deshalb forschen die Wissenschaftler immer weiter, ohne je ans Ziel zu kommen. Kein denkendes Gehirn kann jemals alles Wissen in sich fassen.
Wenn Wissen Materie ist und Denken und Analyse ebenfalls dem Wissen entspringen und deshalb ebenfalls Materie sind, dann stellt sich die Frage:
Wie soll Materie jemals auf Materie befreiend wirken?
Wie soll also Analyse, was ja Denken mit beschränktem Wissen ist (Materie), jemals das Denken, welches auch alle Gefühle beinhaltet, wie Ängste, Wut, Freude usw. beherrschen oder verändern?
Wenn Dir jetzt hier schon langsam schwindelig wird beim Lesen, dann ist das gut. Denn genauso soll es sein. Was Krishnamurti beschreibt und was ich selbst erlebt habe, wirft alles, was ich je gedacht habe über den Haufen.
Wenn also Angst da ist und im Kopf die Gedankenkette losgeht, dass ich jetzt hier sterben könnte und das alles nicht will, dann füttern wir die Angst, die Materie ist, an dieser Stelle mit immer mehr Materie.
Auch wenn ich jetzt analysiere, wird aus einem kurzen Gedanken der Angst noch mehr Energie in die Angst gesteckt und die Angst wächst immer weiter, denn nun gibt es die Spaltung von Angst an sich und dem Denker, dem Analysten, der diese Angst nicht haben will.
Mit der Analyse werde ich auch zu einer Handlung getrieben, die mich ebenfalls weg von der Angst führen soll. Dieser ganze Widerstand bläht die Angst immer weiter auf, wie einen Ballon.
Selbst wenn wir hier 20 Jahre lang zum Psychologen gehen und über unsere Kindheit und unsere Beziehungen reden, wird all dieses Wissen, diese Fülle an Materie im Moment der Angst nicht helfen, sondern diese nur nähren.
Durch diese Spaltung von dem Zustand Angst und dem scheinbaren Denker, der diese Angst nicht haben möchte, wird die Angst nicht nur immer größer, sondern wir werden vollkommen aus dem HIER und JETZT gerissen.
Es entsteht im Denker die Idee, die Angst sollte jetzt nicht hier sein und alles sollte jetzt und hier anders sein. Diese Idee dominiert alles.
Die Tatsache ist “Angst”. Die Idee ist, “darf nicht sein” und “ich will von diesem Zustand weg”. Das Denken bewegt sich in die Zukunft, die uns aus dieser Misere bringen soll.
Mit der Spaltung von der Angst zum Denker formt das Gehirn die Idee, aus dieser Situation weg zu wollen und plötzlich ist die Angst ein Problem. Aber was ist wichtiger und richtiger? Die Idee oder die Tatsache?
Auf eine Idee (die ja Gedanke und somit Materie ist) kann ich nicht einwirken, egal, was ich mir da einrede oder analysiere, die Angst bleibt.
Aber auf eine Tatsache (nämlich dass hier einfach Angst ist) kann ich schon reagieren, indem ich diese einfach beobachte. Nicht analysiere und eine Meinung oder Behauptungen aufstelle, wie: das darf nicht sein, das ist schlecht, das ist nicht gefährlich, das hat seinen Grund aus der Kindheit, wegen des Ehemanns, der schlechten Lage, des Gestanks….).
Beobachten heißt, Gedanken, also Materie außen vor zu lassen und nichts verändern zu wollen, was man sieht. Nichts wegrationalisieren. Nichts begründen. Nichts überwinden wollen oder unterdrücken.
Und was dann passiert ist, dass es zwischen der Tatsache, daß Angst da ist und dem Beobachter, der das sieht, keinen Unterschied mehr gibt. Wir haben dann die Trennung vom Denken und dem Denkenden wieder überwunden. Angst ist da. Ich bin Angst.
Und danach kann sich die Angst ohne Widerstand und Spaltung einfach wieder auflösen.
Wenn wir erkennen können, dass Denken immer im Zusammenhang mit Zeit steht und uns Denken/Analysieren praktisch vom HIER und JETZT immer weiter in die Zeit mitnimmt und das Problem daher immer größer und zeitlich länger wird, dann ist das eventuell die einzige Möglichkeit endgültig aus der Angst auszusteigen.
Der analytische Prozess kann den Geist jedenfalls nicht von der Ursache der Angst befreien. Wenn ich jedoch beobachte, ohne gefühlsmäßige Reaktion, kann ich die Tatsachen sprechen lassen und nicht die Ideen.
Dann muss der Denker nicht mehr versuchen, die Gedanken zu beherrschen, was sowieso nicht möglich ist und es wird erkannt, dass der Denker das Gedachte ist.
Statt Wissen tritt Intelligenz auf. Eine Intelligenz, die nicht aus angesammeltem Wissen aus dem Gehirn besteht und nicht mir oder irgendjemandem gehört, sondern allen Menschen zur Verfügung steht.
Angst wird nicht mehr zum Problem, wenn man diese Intelligenz wenigstens einmal in seinem Leben erkennen konnte. Gleichzeitig befreit sie uns von der Zeit, denn Wissen, Denken und Zeit gehören zusammen.
Man erhält mit dieser Intelligenz eine Einsicht in das, was Analyse ist und das ist zugleich das Ende der Analyse.
Es ist ein ganz unverzerrtes Beobachten frei von angehäuftem unvollständigen Wissen.
Irgendwann ist es gut, wenn man an einen Punkt kommt, wo man bereit ist, aus der Analyse auszubrechen und einen neuen Weg zu gehen. Bei mir war es der Zeitpunkt, als ich mit der Todesangst vor einigen Jahren alleine zu Hause war. Da war bei mir der Zeitpunkt, wo ich ernsthaft alles beiseite lassen konnte, wo ich bereit war, das Analysieren zu lassen, nicht mehr mit der Angst zu diskutieren und zu schauen, was wirklich da ist, wenn Angst auftaucht.
Es war wohl das Unbegreiflichste, das Wunderbarste und Erstaunlichste, was ich je wahrgenommen habe. Wenn Denken aufhört, verschwindet der Denker und es bleibt nur Sein. Nichts ist so, wie wir es denken. Wir sehen nur Ideen.
Und die Angst ist ein Schlüssel zum Tor dieses Wunders.