Das Yoga-Tagebuch (26)

Im August 2013 fange ich wieder an, ein Tagebuch zu führen. Im Mittelpunkt soll nicht mehr meine Person, sondern Yoga stehen. Deshalb nenne ich es Yoga-Tagebuch. Bis heute führe ich ein solches Tagebuch, wobei das ICH immer kleiner und die Notizen immer seltener werden.

Wenn ich hier veröffentliche, welche Bücher ich gelesen und welche Übungen ich gemacht habe, dann nicht, dass irgendjemand davon überzeugt werden soll, dass dies so richtig und der beste und einzige Weg ist. Vielmehr geht es darum aufzuzeigen, wie sehr wir konditioniert sind und wie stark der Verstand deshalb Widerstand leistet. Dies führt zum ständigen Wechsel zwischen Zweifeln und Vertrauen. Deutlich soll auch werden, wie wichtig Verzweiflung, Beharrlichkeit und Disziplin sind, bevor sich die Wahrheit endlich offenbaren kann.

Es folgen nun zwei sehr intensive Jahre des disziplinierten inneren Forschens und des unermüdlichen Einsatzes für das Yoga-Studio. Während ich vorher wenigstens für meinen Yoga-Unterricht bezahlt wurde, konnte ich mir als Partnerin des Yoga-Studios in den kommenden Monaten nicht einmal mehr dieses Geld auszahlen und musste außerdem ständig darum zittern, ob die Miete für das Studio in die Kasse kommt.

Schon nach drei Monaten, also Ende August tauchten daher wieder die ganzen alten Symptome, wie Kopfschmerzen und völliger Energieverlust auf, so sehr hatte mich das Studio da schon ausgelaugt. Diesen körperlichen und finanziellen Einsatz konnte ich mir nur leisten, weil nach Rücksprache mit meiner Familie meine große Tochter für die Miete unserer Wohnung aufkam. Sie verdiente inzwischen neben ihrem Studium Geld in der Fernseh- und Filmbranche.

Auch meine Kleine packte nach der Schule mit an und half mir beim Putzen und bei den Schreibtischarbeiten. Ohne die Unterstützung meiner Töchter und meines neuen Lebenspartners hätte ich es niemals zwei Jahre durchgehalten, denn das Engagement der meisten Lehrer ließ eher zu wünschen übrig. Mein Geschäftspartner jedoch tat alles, um mich bei meiner neuen Aufgabe als Geschäftsführerin zu unterstützen.

Ab dem 11.08.2013 notierte ich täglich jede Atemübung, die ich durchführte, jede Meditation und die Themen, die ich gerade in den mitgebrachten Büchern durcharbeitete. Ich schrieb meine Gedanken hierzu auf und meine Erlebnisse. Außerdem hielt ich meine körperlichen und psychischen Reaktionen und Verfassungen fest.

Ich erkenne anhand der Notizen, dass ich mit dem Buch von Iyengar, “Licht auf Pranayama” und dem Kundalini Tantra Buch anfing. Ich studierte die Anatomie des menschlichen Körpers und des Gehirns im Zusammenhang mit der Atmung. Ich erfuhr etwas über Energieströme, wie Ida, Pingala und Sushumna, was Kundalini bedeutet und wie die Chakren arbeiten.

Ich dachte früher sicher nicht darüber nach, welche Bedeutung der Atem eigentlich für uns hat. Wer macht das schon, wenn er nicht vielleicht Asthma oder Lungenkrebs hat? Der Atem scheint selbstverständlich zu fließen. Wir müssen uns nicht darum kümmern. Wir sind uns des Atems nicht einmal bewusst. Wir denken nicht darüber nach, atme ich jetzt ein oder atme ich aus? Atme ich mehr mit dem linken Nasenloch oder dem rechten? Atme ich flach in der Brust oder spüre ich den Atem tief und satt im Bauch?

Als ich mit den Atemübungen anfing, wurde ich mir meines Atems überhaupt erst einmal bewusst. Und bis heute ist der Atem mein Anker für das Hier und Jetzt.

Meine ersten Meditations- bzw. Konzentrationsübungen entnahm ich dem Kundalini-Tantra Buch. Mit der Konzentration auf den Blick (Trataka) übte ich den starren aber nicht verkrampften Blick auf einen sich nicht bewegenden Gegenstand.

Ob diese Übungen wichtig waren, weiß ich nicht. Sie kamen in Form eines Buches zu mir, weil kein Lehrer da war, der mir Mediation hätte beibringen können. Für mich war es einfach wichtig irgendwie zu üben, ohne körperliche und geistige Bewegung konzentriert bei einer Sache zu bleiben. Dabei tauchte immer ein roter Kreis vor meinen anschließend geschlossenen Augen auf, den ich so lange wie möglich zu halten versuchte. Er wollte immer nach oben ausweichen.

Allerdings kam ich aufgrund des Arbeitsaufwandes im Studio kaum dazu, für mich selbst Yoga-Asanas zu üben. Ich unterrichtete diese nur, was nicht das gleiche ist. Ich aß unregelmäßig, schlief schlecht oder kaum, weil es Tag und Nacht Bauarbeiten am gegenüberliegendem Hotel gab. Unsere Wohnung lag direkt an einer Hauptstraße und die Fenster waren nicht dicht.

Schon am 23.08. steht in meinem Tagebuch:

“Totalausfall. Kopfschmerzen. Mit Verdacht auf Nebenhöhlenentzündung im Krankenhaus. Nichts. Am Ende steckt man mich in die MRT-Röhre. Ich erhalte eine Spritze gegen die Kopfschmerzen, die eine Migräne sein soll. Dann Tränen. Dann Erleichterung. Menschen wie V. machen mich krank. Streit mit meinem Lebenspartner macht micht krank. Die Arbeitsweise meiner Sekretärin macht mich krank. Wieso müssen Menschen so oberflächlich und so laut sein? Ich suche Stille und Schönheit. Was suche ich eigentlich hier?”

Tagebuch 24.08.2013:

“Die Stadt tötet mich. Zu laut. Zu viel. Meine Kreativität erstickt. Mir fällt ein, als ich gestern in der Röhre lag und bewusst atmete, sah ich bei geschlossenen Augen nicht nur den üblichen roten Punkt, wie sonst bei den Meditationsübungen, sondern ein rotes Herz, mit gelben Stellen, die wie Feuer aufleuchteten und es war dunkel umrandet.”

Ich war mir schon damals nicht sicher, ob diese Wahrnehmung irgendeine spirituelle Bedeutung hatte. Auf jeden Fall gab sie mir Kraft und Trost und ich hatte das Gefühl, ich arbeite an mir und Yoga.

Ich lernte fleißig, welche Rolle die Wirbelsäule beim Yoga spielt, wie man sie gesund und elastisch hält und welche beruhigenden Auswirkungen die Atemübungen auf den Geist und das Nervensystem haben. Ich staunte nicht schlecht darüber zu erfahren, dass alles in Bewegung ist und seine eigenen Schwingungen hat, auch mein Körper, selbst die Gehirnaktivitäten, also die Gedanken und dass diese Schwingungen Wellen und Töne aussenden. Und dass das Gehirn in der Meditation auf einer anderen Frequenz schwingt als im Alltag.

All das las ich, machte jeden Tag morgens und abends meine Meditations- und Atemübungen (Anuloma, Shambari Mudra, Trataka) und versuchte mir einen Reim daraus zu machen. Oft kamen Zweifel auf und ich legte bestimmte Dinge zur Seite, weil sie mir ohne Lehrer auch zuviel Angst machten.

Ich las über den geschlossenen Kreislauf des Kundalini und dem Ziel der Erfahrung des Einssein und dass mich diese Erfahrungen, die ein Yogi da erlebt, an mein Erlebnis im letzten Jahr erinnern. Dabei gehe ich aber auf keine Einzelheiten ein, da mir diese anscheinend immer noch nicht bewusst sind.

Tagebuch 25.08.2013:

„…bei professionell Meditierenden entstehen auch Beta-Wellen… Sie sind größer und stärker… Das ganze Gehirn pulsiert synchron und rhythmisch. Der Yogi erlebt: Kälteschauer, Lachen, verschiedene Emotionen abwechselnd, erkennt frühere Leben, es kommt zur großen Energieaufnahme, der Wunsch Eins zu werden und Eins zu sein mit den Erfahrungen…

Das erinnert mich an meine eigenen Erfahrungen letztes Jahr, als wir in die Wohnung zogen.“

Tagebuch 26.08.2013:

 “Unruhiger Schlaf. Geträumt von vollgeschissenem und kaputtem Klo, auf das ich gehen musste. Schon wieder. Katzen, die ich nicht kontrollieren kann.

Ich frage mich wo meine Sonne geblieben ist. Als wenn ich noch immer in einer Depression bin. Warum? Wenn ich an das Studio denke, an die Sekretärin und all die Aufgaben, steigt Panik auf. Wie bin ich doch vor einem Jahr ins Studio gegangen und wie gehe ich heute dort hin? Der Schritt. Der Blick. Die Haltung. Ich vermisse meine neu errungene Freiheit und dieses Gefühl der Liebe und der Freude. Die gewonnene Zufriedenheit und Gelassenheit. Soll ich alles hinwerfen? Ich sehne mich nach Natur und Stille. Das ganze Leben kommt mir vor, wie ein vollgeschissenes dreckiges Scheißhaus und ich muss da mitmachen.

Heute habe ich das erste Mal im Yoga-Unterricht meine neuen Atemübungen vorgestellt und unterrichtet und dabei festgestellt, wie lang mein Atem inzwischen geworden ist.

Finanzielle Sorgen im Büro. Wieso arbeiten mein Partner und ich wie die Verrückten und andere geben so wenig? Sie sind berechnend. Im NN Yoga-Studio (eins der ersten, bekanntesten und größten Studios in Istanbul) müssen die Lehrer sogar Geld bezahlen, damit sie dort unterrichten dürfen. Ich bin fassungslos. Es geht überall nur ums Geld, Geld, Geld! “

Aus meinen Notizen wird mir klar, dass ich zu diesem Zeitpunkt intellektuell verstanden habe, dass die meisten Menschen begrenzt und festgelegt leben, weil sie Angst vor Veränderungen haben und dass dies zu Neurosen und Krankheiten führt, aber ich erkenne mein ganz eigenes Muster immer noch nicht. Ich erkenne die Wiederholungen in meinem Leben nicht.

Sitze ich da nicht wieder in einer Position und trage Verantwortung (wie immer mit Doppelbelastung als alleinerziehende Mutter, wobei jetzt auch schon Unterstützung von den Kids kommt)? Zwar scheint diese Aufgabe mit dem Yoga-Studio nun für mich persönlich sinnvoller zu sein, als die Zertifizierungen von Textilunternehmen, aber stimmt das überhaupt? Damals bekam ich wenigstens ein Gehalt auf mein Konto und hier waren es nur die Lehrer, die verdienten und die Schüler, die davon profitierten und was war mit mir?

Immer wieder beschäftige ich mich auch mit meinen Ängsten, die bei all dem Stress im Studio wieder auftauchen wollten, um mir zu zeigen, dass das nicht der richtige Weg ist.

Ich hatte die befreiende Erkenntnis in Australien, dass es egal ist, wo ich mich aufhalte, mein zu Hause und die Geborgenheit sind immer in mir. Es gab tiefes Vertrauen in mir in das Leben, obwohl damals alles weggefallen war. Ich hatte das Erlebnis nach dem letzten Retreat, dass ich mich absolut wohl fühlte in meinem Körper und der Mensch war, der ich schon immer sein wollte. Ich fühlte mich frei und unabhängig. Wie konnte das alles wieder verloren gehen?

Während ich fast 50 Jahre lang wie ein Floh unter einer Glasglocke immer an diese Glaswand sprang, blieb ich nun, nachdem die Glocke in Australien angehoben wurde, mit meinem Verstand immer noch innerhalb dieser alten Grenzen. Meine Ängste und Konditionierungen ließen mich wieder nur bis an diesen imaginären Rand springen und lösten die gleichen Kopfschmerzen aus, als würde ich gegen eine Glaswand donnern.

Ich wollte das Studio nicht und hab es trotzdem gemacht. Wieder eine Sekretärin, auf die ich mich nicht wirklich stützen konnte und die ich auch noch motivieren und jetzt aus eigener Tasche bezahlen musste. Das gleiche Leid. Die gleichen Kopfschmerzen. Immer der gleiche Konflikt.

Ich habe nicht auf meine innere Stimme gehört und ich musste noch immer viel lernen und leider noch viel Kopfschmerzen ertragen.

Ich wünsche euch ein wunderschönes Wochenende, Monika


4 Gedanken zu “Das Yoga-Tagebuch (26)

  1. Und bist Du dahinter gekommen, ob diese Zeit damals etwas wesentliches gezeigt hat?
    Denn genauso, wie in mir spürte, wenn Du über den Typen in Australien erzähltest, dass ich den längst ausgeworfen hätte, so spüre ich auch hier, dass ich mir so eine Sekretärin hätte niemals bieten lassen.
    Und was die Lehrer angeht, so wäre jeder sofort geflogen, wenn er versucht hätte sich vorm Saubermachen zu drücken.
    Denn irgendwie denke ich mir doch, dass es zu diesem Zeitpunkt ganz sicher kein Überangebot an Arbeit gab, und wenn ich einen rausschmeisse, dann habe ich ein paar Stunden später einen anderen, der sich freut einen Job zu bekommen.

    Doch nachdem ich meine Unfähigkeit zu Ausdauer und Geduld kenne, frage ich mich hihi…natürlich DICH, wurdest Du hier spirituell belohnt, dass Du das alles hast über Dich ergehen lassen?

    PS: Mir war schon als Kleinkind klar, dass man Geld braucht, um die Existenzangst zu besiegen, und dass es ohne Geld keine Zukunft gibt in dieser Welt – denn meine Eltern haben sich unentwegt gestritten, und es ging ausschliesslich nur um Geldsorgen. Also bin ich damit aufgewachsen, dass Geld einmal das Wichtigste überhaupt ist.
    Man erzählte mir, dass ich mit 3 Jahren vom Opa einen „Reiterschilling“ verlangte, als er mal sagte „gibst Du mir ein Bussi, Mausi“. Das war eine Münze mit einem Reiter und hatte den Wert von 5 Schillingen – 1 Schilling hatte mir also nicht gereicht, obwohl ich dafür damals 10 Bonbons bekommen hätte. 😳

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    1. Liebe Doris Barbara, vielen Dank für deinen Kommentar. Das genau ist es, was Du da erkennst. Ich immer gut und lieb, damit ich niemanden verletzte und mich alle mögen. Das gab mir Sicherheit. Und bei dir war es eben das Geld, was dir diese Sicherheit gab. Heute weiß ich jedoch, dass es so etwas wie Sicherheit gar nicht gibt und dass das Leben ja gerade deshalb so wunderbar ist. Aber dazu komme ich noch später. Ich musste erst noch meinen Weg weiter gehen. Selbsterforschung ist wohl die anstrengendste Reise, die man machen kann aber es lohnt sich auf jeden Fall. Man sagt auch, ein Weg auf Messers Schneide. Eigentlich geht es aber im Leben nur darum. Ganz viele liebe Grüße sende ich Dir und einen schönen 3. Advent, Monika

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