Flugangst und Präsenz

Für D.

Sie fragt mich, warum habe ich plötzlich panische Flugangst, wo doch in meinem Leben gerade alles so gut läuft?

Ich frage, warum ist meine Flugangst wegfallen, als in meinem Leben gerade alles den Bach runterging?

Während bei mir die befreienden Gedanken auftauchten, dass jetzt sowieso schon alles egal ist und schlimmer kann es nicht mehr werden, herrscht bei dir der Glaube, du hättest etwas erreicht und könntest nun etwas verlieren.

Angst herrscht immer da, wo wir an etwas festhalten und Freiheit entsteht, wenn wir loslassen.

Ich dachte früher auch, ich würde mein Leben kontrollieren und deshalb versuchte ich, alles gut, richtig oder gar perfekt zu machen. Dann versuchte ich natürlich auch alles zu halten, was mir gefiel und wichtig war, die Menschen, die ich liebe, den Erfolg, die Gesundheit, das Geld usw.

Aber was passierte, wenn ich in ein Flugzeug steigen musste? Dort spürte ich, dass ich dem Piloten und der Technik völlig ausgeliefert war. Hier war nichts, was ich hätte kontrollieren können.  Die Frage ist jedoch, können wir das überhaupt jemals?

Habe ich die Kontrolle, wenn ich in ein Auto steige oder die Straße überquere? Wir denken, dass es so ist, da wir das Lenkrad in der Hand halten. Wir meinen, wir könnten reagieren. Wir glauben, wir könnten die Kontrolle über unser Leben ausüben, wenn wir laufen und darauf achten, wo wir den Fuß aufsetzen.

Ich dachte, wenn ich das Flugzeug selber steuern könnte, dann hätte ich auch keine Angst vor dem Fliegen. Die völlige Hingabe an das Leben und somit Vertrauen in eine dritte Person waren mir nicht möglich.

Alles hängt von so vielen Faktoren ab, die wir nicht im geringsten kontrollieren können, aber wir denken, wir könnten es. Wir glauben, wir haben die Kontrolle über all diese Dinge.

Dieses Phänomen haben viele Frauen dann, wenn sie schon in jungen Jahren sehr viel Verantwortung tragen mussten. Sie sind es nicht gewohnt, sich fallen zu lassen. Müssen um alles kämpfen und können daher nicht so leicht loslassen.

Die Sonne scheint oder sie wird von Wolken bedeckt., das können wir nicht beeinflussen.

Der Mond zeigt sein volles Antlitz oder nur einen Teil, das können wir nicht beeinflussen.

Die Erde bebt oder sie tut es nicht, das können wir nicht beeinflussen.

Die Währung fällt oder ist stabil, das können wir nicht beeinflussen.

Ob wir Morgen noch Erfolg haben, das können wir nicht beeinflussen.

Ob der Nachbar grüßt oder was er denkt, das können wir nicht beeinflussen.

Wie es den Eltern geht und wie alt sie werden, das können wir nicht beeinflussen.

Welche Gedanken gerade durch unser Gehirn ziehen und ob wir in einer Stunde noch atmen, können wir nicht wissen und nicht beeinflussen.

Atmung passiert. Herzschlag passiert. Gefühle und Gedanken passieren.

Du kannst alles lassen. Den Job. Die Beziehung. Die Wohnung. Die Freunde. Aber niemals solltest Du Deinen gewonnen Frieden ziehen lassen, Deine Balance. Diesen Kontakt zu Dir selbst solltest Du immer spüren. Er war da, als Du einmal alles aufgegeben hattest. Als Du Dich einfach hingegeben und selbst die Kontrolle über Dein Leben abgegeben hattest, da konnte endlich Heilung eintreten.

Nutze diese Erfahrung und halte jeden Tag nur ein paar Minuten inne, um diese Weisheit immer an Deiner Seite zu wissen. Ein wirkliches Wachsen gibt es nur nach innen. Im Außen herrscht das Denken und das damit verbundene Treiben in das Werden-Wollen und Etwas-Sein-Wollen, und das sollte nicht die Herrschaft über Dich erlangen. Es löst nur Sorgen und Ängste aus und das Verlangen, zu kontrollieren und zu halten.

Wenn wir das nicht nur mit dem Intellekt verstehen, sondern wirklich wissen, dann ist es völlig egal, wo man sich gerade aufhält. Im Flugzeug oder im Restaurant. Viel wichtiger wird dann, dass man da, wo man gerade ist, absolut präsent ist.

Wenn ich fliege, bedeutet das, dass ich dann eben auch ganz bei der Angst bin. Es ist Angst da. Und es ist in Ordnung. Es ist absolute Hilflosigkeit da. Das ist in Ordnung. Der Blick aus dem Fenster. Wunderschön. Die Wolken. Die Berge. Dörfer. Seen. Ein Gefühl von Freiheit. Leichtigkeit. Schlafende Reisende. Stille. Tränen, meistens beim Start, wenn ich mir sage, dass es jetzt losgeht und ich mich mit einer langen Ausatmung entspannt in den Sitz fallen lasse und bis zehn zähle, zu allem bereit. Tränen bei der Landung, wenn ich die Erleichterung und die Dankbarkeit spüre.

Kaum in einer anderen Situation kann ich mich so stark spüren und mir so nah sein, wie im Flugzeug oder bei einer Panikattacke. Da ist absolute Aufmerksamkeit und Bewusstheit darüber, dass ich lebe und es in jedem Augenblick vorbei sein kann.

Das ist eigentlich immer so, aber in diesen extremen Situationen spüren wir es durch diese Hilflosigkeit so deutlich. Es gibt auch eine starke Lebendigkeit im ganzen Körper und alles um uns herum nehmen wir sehr viel deutlicher wahr als sonst im Alltag. Die Sitznachbarn. Die Crew. Jede kleinste Bewegung des Flugzeugs. Wer sieht schon die Tropfen an der Fensterscheibe herunterrinnen oder das andere Flugzeug, das gerade an uns vorbeirast?

Wann sind wir jemals so aufmerksam, so sehr präsent? Hier werden wir zu Liebenden. Zu Schriftstellern. Zu Malern. Zu gottesfürchtigen Menschen, die verstehen, dass wir wirklich NICHTS sind und NICHTS in der Hand haben. DAS ist Freiheit.


6 Gedanken zu “Flugangst und Präsenz

  1. Liebe Monika, so mies wie es mir nachmittags ging, so klar und deutlich konnte ich nachts alles erkennen, was ich da jetzt alles lerne.
    Und nachdem ich zur Zeit nur bis maximal 04h morgens schlafen kann, habe ich diese Zeit dazu verwendet, um zu „spielen“. Mit Emotionen zu spielen.
    Ich habe mir meine Lieblingsängste heraus gesucht, und mir dann klar gemacht, dass ich diese nicht nur ganz bewusst jetzt erleben möchte, sondern habe versucht, sie als mich selbst zu sehen, was ich UNBEDINGT beibehalten möchte.
    Ich habe darauf bestanden, dass sie bleiben.
    Habe sie aufgefordert mir alles zu zeigen, was in ihnen steckt.
    Und was geschah?
    Ich war in meinem ganzen Leben noch niemals so dermassen lebendig gewesen – jedenfalls schien es mir so.
    Hätte mir das noch vor einigen Jahren jemand von sich erzählt, hätte ich ihn für einen Sadomasochisten gehalten 😆
    Allerdings war ich nach gut zwei Stunden völlig erschöpft, und konnte plötzlich wieder schlafen ….tief und fest 5 Stunden lang.
    Welch seltsame Geschöpfe wir doch sind 😆

    Hab einen schönen Abend und Segen Dir und Deinen Lieben. ❤

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    1. Liebe Doris Barbara, ich staune immer wieder darüber, was Du alles ausprobierst. Wenn ich das lese, dann denke ich immer, wie kann eine so mutige Frau überhaupt Angst haben :-). Liebe Grüße und eine gute Nacht wünsche ich Dir, Monika

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  2. Liebe Monika, hab vielen Dank für diesen Mut machenden und erklärenden Text. Ich habe große Flugangst. Die Geräusche der Turbinen, der Steilflug, die Tiefe unter mir… Ich habe es so verstanden, dass die Angst sein darf. Ich hatte Ansgt vor der Angst und war stets so dermaßen angeknipst, dass ich bei der Landung nur noch Erschöpfung fühlte. Die Atmung ist immer da, dass beruhigt. Mit den Kindern im Kindergarten habe ich oft die Kuscheltieratmung „durchgeführt“. Mit ihrem Lieblingskuscheltier auf dem Bauch konnten sie ihre Atmung selbst sehen und merken, dass sie , wie du schon so schön schriebst, – passiert. Das Kuscheltier ging hoch und runter, wie die Atmung. Mir geht es nun ein bisschen besser und dafür danke ich dir sehr. Liebste Grüße Steph ❤

    Gefällt 1 Person

    1. Liebe Steph, danke für deinen Kommentar. Ich verstehe, wovon du da schreibst 🙂 So ging es mir früher auch, bis ich dann 20 Jahre lang überhaupt nicht mehr ins Flugzeug gestiegen bin. Die Angst und die Angst vor der Angst waren einfach zu groß. Ich kann nicht sagen, dass ich das Fliegen heute liebe aber ich mache es und es ist ok. Es gibt etwas Aufregung. Aber nicht schon Tage vorher. Nur beim Start und bei der Landung, ein wenig. Tatsächlich fühle Ich mich jetzt auch im Flugzeug geborgen, auch wenn unter mir kein Boden ist. Bei uns bebt die Erde sehr oft und da kann man sich selbst auf diese nicht verlassen oder gar daran festhalten 🙂

      Die Kuscheltieratmung ist wirklich eine tolle Idee. Was ihr doch für schöne Sachen mit den Kindern macht. Erst als ich mich selbst auch mit Atemtechnik beschäftigte, merkte ich, dass meine Katze ebenfalls Bauchatmung macht. Heute habe ich gelesen, dass man das erste Mal die Atmung eines Wales aufgenommen hat. Er atmet wohl nur 2 mal pro Minute. Ich wette, er macht ganz entspannte Bauchatmung 🙂 Liebe Grüße und schlaf gut, Monika

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