Tiefpunkt vor dem Höhepunkt

So muss man wohl diesen neuen Beitrag über unsere Reise durch Australien betiteln. Ich könnte hier einen ganzen Roman nur mit den Erlebnissen der nächsten Tage mit unserem Reisebegleiter A. füllen, aber das würde meinen Nerven auch heute nicht gut tun. Denn nach all den Jahren kann ich auf diesen Teil der Reise noch immer nicht mit Humor blicken. Dafür war es einfach zu nervig und oft auch zu gefährlich.

Reifen des Campers aufpumpen, bis sie fast platzen, den Motor bis zum Anschlag mit Öl vollgießen, Gasflamme vom Herd im Camper anstellen und sich dann vom Ort entfernen, sind nur einige dieser wirren und gefährlichen Handlungen.

Er hätte auch an die Ostsee fahren können, statt um den ganzen Erdball zu fliegen“, denn meistens hatte er überhaupt keine Ahnung, wo wir uns gerade befanden. In diesem labilen Zustand darf man schon zur eigenen Sicherheit keine Fernreise antreten, und es war uns gegenüber auch nicht fair. Es gab keine Form der Kommunikation, da er entweder unter Medikamenteneinfluss oder Medikamentenentzug stand und für uns unerreichbar war. Ich hatte jetzt nur noch jeden Tag Kopfschmerzen.

Der letzte Eintrag vom 20.07.2012 lautet: „Er nimmt mir den Spaß und meine Energie.“ Und in der ersten Zeile vom 21.07.2012 steht: „Schlecht eingeschlafen, nachdem meine Tochter gestern meinte, dass dies der schrecklichste Tag des ganzen Urlaubs war.“

Ich motivierte meine Tochter trotzdem, das alles zu ignorieren und sich auf die Schönheit des Landes zu konzentrieren. Wir fuhren also weiter bis nach Cairns. Die Stadt liegt im oberen Nordosten Australiens und befindet sich somit in der Region Tropical North von Queensland. Nach dem langen Aufenthalt im Outback war diese wunderschöne grüne Landschaft eine willkommene Abwechslung. Das Meer hat tropische Temperaturen und das Great Barrier Reef ist in der Nähe. Es gibt außerdem Berge, Regenwald, Wasserfälle und sehr exotische Tiere. Wir fuhren mit dem Traditionszug hinauf nach Kuranda, und haben u.a. die Schmetterlingsfarm besucht.

 

Anschließend ging es mit der Skyrail hoch über dem Urwald wieder hinunter nach Cairns. Nur wenige Wochen zuvor hätte ich niemals in eine Gondel steigen können und plötzlich konnte es nicht abenteuerlich genug sein. Weil die Angst mir jedoch immer noch vertraut war, war die Fahrt mit der Seilbahn begleitet von Ausrufen der Freude und der Angst gleichzeitig. Aufregung pur. Ich schätze mal, ein dreijähriges Kind hätte sich genauso amüsiert, wie ich damals. Pure Lebensfreude.

Lebensfreude. Leicht und gelassen durch den Tag flattern, wie diese wunderschönen Schmetterlinge. Genießen. Auch die Aufregung. Etwas, was ich seit meinem 19. Lebensjahr nicht mehr kannte. Immer war die Angst dabei und herrschte über mich. Stets versuchte ich alles zu kontrollieren. Welch hoffnungsloser Wahnsinn!

Von Cairns aus ging es weiter nach Cape Tribulation. Hier stößt der Urwald direkt an einen wunderschönen Sandstrand. Wir mussten lange durch den Regenwald fahren, um zum Campingplatz zu kommen. Aber schon diese Autofahrt durch den Daintree Rainforest war unbeschreiblich schön. Es ist der älteste Regenwald der Welt mit über 430 Vogelarten und 3500 Pflanzenarten.  Schon 1988 wurde dieser Teil der Erde von der UNESCO zum World Heritage Park (Erbe der Menschheit) deklariert.

In Cape Tribulation entschieden wir uns wieder für das Buschcamping. Das bedeutet, dass es keinen Komfort gibt und nur sehr wenige Stellplätze mit großem Abstand vorhanden sind. Das bedeutet auch, dass man nachts lieber nicht mehr auf Toilette gehen sollte, da die sanitären Anlagen sich nicht in der Nähe befinden. Wenn man trotzdem raus muss, sollte man sich nicht zu weit vom Camper entfernen. Allein die Geräusche in der Nacht sind sehr aufregend und verwirrend. Auf jeden Fall ist so ein Buschcamping gut für ängstliche Menschen, denn irrationale Ängste werden hier von tatsächlichen Ängsten umgehend verdrängt. Unser Wagen stand isoliert irgendwo im Busch und gleichzeitig nur einige Schritte vom Meer entfernt.

Am nächsten Morgen stellten wir verwundert fest, dass es regnete. Das erste Mal, seitdem wir unterwegs waren. Die Bäume waren jedoch so hoch und das Blätterwerk so dicht, dass wir beim Spaziergang durch den Wald nicht nass wurden.

Zum Great Barrier Reef sind wir nicht mehr gekommen, da wir uns langsam wieder auf den Weg nach Brisbane machen mussten. Wir waren in einer Woche noch weit hinter Brisbane bei meiner Freundin verabredet. Wir fuhren daher wieder Richtung Süden und campten am 14 Kilometer langen Traumstrand von Mission Beach. Weit und breit nur Sand, Wasser und Palmen.

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Hier unter den Palmen kam ich anscheinend wieder ein wenig zu Ruhe, denn es gibt wieder andere Notizen in meinem Tagebuch, als die über A., den wir zu seiner und unserer Sicherheit nicht aus den Augen lassen konnten.

Tagebuch 24.07.2012:

„Ich darf über meine Reise nicht enttäuscht sein. Ich habe nicht gefunden, was ich wollte. Aber war es nicht auch so bei Paramahansa Yogananda? Ist er nicht auch immer wieder von zu Hause davongelaufen, weil er glaubte, am Himalaja wäre er Gott näher?

Ich wollte Ruhe, Einsamkeit, Natur, Geschichte, Traditionen und Spiritualität. Wollte die Nähe zu mir selbst und zu Gott. Stattdessen hatten wir da nicht zu viel Reiserei, zu viele verschiedene Wünsche, zu viele Touristen und Organisationen?

Was lerne ich daraus? Es ist egal, wo ich bin. Ich kann Gott auch in Istanbul unter 20 Mio. Menschen finden. Ich muss nicht in die Ferne und auch nicht nach Indien oder zum Himalaya. Das ist doch schon mal eine Erkenntnis. „

Diese Schlussfolgerung kam damals jedoch vom Verstand und sollte mich trösten, denn so langsam kam ich an meinen Tiefpunkt. Die Belastung mit A. war enorm und wir konnten uns, solange wir unterwegs waren, auch nicht aus dem Weg gehen. Wenn man ihn hätte irgendwo absetzen können, dann nur in Brisbane, denn dort wäre er sicher auch ohne Englisch klargekommen und von dort aus ging auch der Rückflug.

Ich entschied mich dazu, meinen Frust und meine Wut mit Hilfe von Yoga zu besänftigen. Es war jedoch viel zu windig und die Matte blieb nicht liegen. Als mir jetzt auch noch die Natur und die Matte nicht gehorchen wollten, brach es endlich aus mir heraus. Wie sehr mich das alles belastete, zeigt auch der Alptraum, der mich in dieser Nacht quälte.

 Tagebuch 25.07.2012:

„Ich laufe mit meiner Matte am Strand entlang und dann werde ich wütend. Dann traurig. Dann weine ich und ich weine und weine. Warum genau ich weine, weiß ich eigentlich nicht. Es läuft einfach aus mir heraus. Wut und Verzweiflung darüber, dass ich nicht mal Yoga machen kann, während A. mich so nervt. Ich habe einen riesengroßen Fehler gemacht.“

Tagebuch 26.07.2012:

 „Heute Nacht bin ich von einem Alptraum aufgewacht und habe auch M. (meine Tochter) mit meinen Schreien aufgeweckt. Es gibt drei Personen und eine davon packt mich. Sie tut mir etwas Schlimmes an. Ich bin so fassungslos und kann es nicht glauben. Ich leide und ich bekomme keine Luft mehr. Ich denke, ich muss sterben. Ich kann mich nicht daran erinnern, ob es Schläge waren oder ein Würgen. Es war einfach nur schlimm.

Dann bin ich wach und sehe mit halb geschlossenen Augen die Bilder. Ein Sofa. Eine Wärmflasche. Ein Kuscheltier liegt darauf. Ich denke, das hat doch etwas mit meiner Kindheit zu tun. Ich liege auf dem Sofa und jemand sitzt auf meinem Rücken und schlägt zu, bis ich keine Luft mehr bekomme.“

Woran ich mich heute noch erinnern kann ist, dass eine weitere Person an der Tür steht und schreit: hör auf, hör auf, du bringst sie um. Was damals tatsächlich geschehen ist, weiß ich nicht mehr, denn ich habe kaum Erinnerungen an meine Kindheit.

Wir fuhren weiter nach Bowen und als A. dort am nächsten Morgen völlig abwesend mit seinen Fingern ins Müsli ging, verging uns der Appetit. Deshalb verzichteten wir auf das Frühstück und beschlossen, uns eine Freude zu machen. Wir wollten Schnorcheln gehen. Hierfür liehen wir uns im Ort die nötigen Utensilien und stampften mutig und fröhlich auf den Ozean zu. Kaum waren wir jedoch im Wasser, wurde der Schnorchel meiner Tochter von einer heftigen Welle fortgerissen und vom Meer für immer verschluckt. Wir stellten außerdem fest, dass die meisten Schwimmer um uns herum wegen der Würfelquallen Ganzkörperanzüge trugen. Uns fiel auch auf, dass es überall an den Stränden Hinweisschilder mit Verhaltensregeln und Flaschen mit Essigkonzentrat gab, für die erste Notbehandlung. Das Toxin dieser Qualle ist eines der stärksten Gifte im Tierreich und die Berührung mit den Tentakeln ist lebensgefährlich.

Mit diesem Hintergrundwissen fiel es uns nicht schwer, den verlorenen Schnorchel als ein Zeichen von oben zu sehen, und gaben es schnell auf, in Australien im Ozean schwimmen zu wollen.

Nachdem erst das Frühstück und dann auch noch das Schwimmen ins Wasser fielen, hatten wir auf der Weiterfahrt nach Carmila etwas mehr Glück. Endlich sahen wir jede Menge Kängurus. Jetzt kann doch alles nur noch besser werden oder?

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Unser nächstes Ziel war Hervey Bay. Hier kann man von Ende Juli bis November Buckelwale beobachten. Das Gewässer in dieser Gegend ist besonders seicht und warm, so dass die Wale sich mit ihren Jungen dort aufhalten, bevor sie anschließend in die Antarktis weiterziehen.

Meine Freundin schickte mir eine Nachricht, dass man in Sydney schon die ersten Wale gesichtet hätte und wenn wir großes Glück haben, könnten wir tatsächlich schon zu dieser frühen Zeit auf Wale in Hervey Bay stoßen.

Und somit steuerten wir auf Hervey Bey und auf den Höhepunkt unserer Reise zu…


4 Gedanken zu “Tiefpunkt vor dem Höhepunkt

  1. Meine Hochachtung, liebe Monika, vor soviel Mut diesen A weiterhin mitzuschleppen. Den hätte ich ganz sicher niemals gehabt, und hätte ihn beim nächsten Auftanken rausgeschmissen bzw. ihn von vorne herein nicht mitgenommen.
    Doch es zeigt, dass Dein Ego bereits sehr klein und das natürlich ein sehr grosser Vorteil war.
    Ein schönes baldiges Wochenende ❤

    Gefällt 1 Person

      1. gesundheitlich leider nicht – jetzt spielt mein Blutdruck verrückt.
        Kann aber vieles erkennen, und unter welchem Druck ich mich setze.
        Und sagte mir heute, dass es nicht meine Aufgabe ist mein Leben zu erhalten, denn das kann ich nicht. Ich muss vertrauen können, dass alles was geschieht seine Richtigkeit hat, und dass ich ganz von selbst zum richtigen Zeitpunkt wissen werde, wann es soweit ist, dass ich einen Arzt zu Rate ziehen muss.
        Doch zwischen dem Erkennen und dem Loslassen der Angst liegt halt leider noch ein Weg.
        Doch zweifellos ists allemal leichter wenigstens mal das Richtige erkannt zu haben.
        Alles Liebe Dir ❤

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      2. Ich wünsche Dir gute Besserung und staune, über Deine Worte. Ich habe das Gefühl, dass der Weg gar nicht mehr so lang ist. Das Erkennen, wie Angst auftaucht und dass man eigentlich gar nichts machen kann, ist schon der wichtigste Schritt zur Hingabe. Danach löst sie sich auf.
        Gerade lese ich noch einmal das Buch von Yogananda, weil ich demnächst darüber schreiben möchte. Dort gibt es einen Absatz über seinen Lehrer Sri Yukteswar, über den ich schon seit Tagen immer wieder meditiere und der auf die Hingabe und das Vertrauen hinweist: Yogananda fragt seinen Lehrer, was er denn machen soll, wenn ihm niemand etwas zu essen gibt, dann würde er doch sterben. Und Yukteswar antwortet: „Dann stirb! Stirb, wenn es sein muss. Aber glaube nicht, dass du von Nahrung und nicht von der Kraft Gottes lebst… Bilde dir nicht ein, dass du von Reis ernährt wirst oder dass du von Geld und Menschen abhängig bist. Können sie dir etwa helfen, wenn Gott dein Leben zurückfordert? … Oder kannst du die Nahrung in deinem Magen aus eigener Kraft verdauen? Gebrauche das Schwert der Unterscheidungskraft! Sprenge die irdischen Fesseln und erkenne den Urgrund aller Dinge.“
        Und wenn ich darin versinke, wird mir ganz klar, dass wir nichts in der Hand haben und es bleibt nichts, als Hingabe und Vertrauen.
        „Herzen“

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