Auf der Spur bleiben

Nachdem ich meine Freundin zum Flugplatz gebracht hatte und sie zurück nach Brisbane geflogen ist, haben wir unsere neue Reiseroute geplant. Wir sind bisher ca. 3.700 Kilometer gefahren und wollten nun von Alice Springs, dem Nabel dieses wunderschönen Erdteils, an die Ostküste fahren. Hierfür mussten wir erst wieder ein Stück zurück in den Norden fahren, um dann bei Tennant Creek in den Osten abzubiegen. Anschließend ging es quer durch Queensland bis nach Townsville.

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Die Strecke durch Queensland war wenig abwechslungsreich. “Nur braune Wiesen und ab und zu Rinder”, steht in meinem Tagebuch. Auch wundere ich mich darüber, daß wir in den ganzen letzten Wochen noch kein einziges lebendes großes Känguru gesehen haben, nur tote am Straßenrand oder die kleineren (Wallabys). “Wahrscheinlich sind die schon längst ausgestorben und es wird verheimlicht ”.

Ansonsten wird mein Tagebuch beherrscht von Sätzen, die sich hauptsächlich um unseren neuen Reisegefährten A. drehen. Ich wußte, er nahm Medikamente und wahrscheinlich hatten diese starke Nebenwirkungen. Ich machte mir Sorgen, da sein Schwindel nicht besser und sein Verhalten immer auffälliger wurde. Er konnte keinem Gespräch folgen, wurde immer nervöser und ab und zu wurde er auch aggressiv. Er hat stets alles verloren oder vergessen und oft wußte ich nicht, wo er gerade hingelaufen ist und ich musste ihn suchen gehen.

Tagebuch 16.07.2012

“A. ist nie richtig bei einer Sache. Als wenn der Weg vom Ohr zum Gehirn unterbrochen ist. Bevor man einen Satz zu Ende gesprochen hat, springt er auf und tut etwas, was er meint, was er tun sollte, obwohl niemand etwas derartiges gesagt hatte. Er ist hippelig und er tut ständig irgendetwas. Knabbern. Trinken. Trommeln. Die Karte in die Hand nehmen. Wieder trinken. Brille rauf. Brille runter. Dann endlich ist er auf dem Stuhl eingeschlafen.

Ich versuche zu entspannen und konzentriere mich auf das Buch von Yogananda. Er ist gerade bei Gandhi. Gandhi hat jeden Montag geschwiegen und selbst, als Yogananda zu ihm kam sprach er an dem Tag nicht. Er gab ihm einen Zettel, auf dem er etwas schrieb. Am nächsten Tag haben sie sich unterhalten. Er führte dieses Schweigen ein, um seine Korresondenz bearbeiten zu können, sagte er. Später erkannte er, was für ein Segen dieses Schweigen sei, um zur Ruhe zu kommen und Ruhe zu haben.

Wunderbar, ich werde dieses Schweigen auch in mein Leben integrieren.”

Natürlich hatte ich Bücher mit auf meiner Reise. Zu dieser Zeit war gerade der Roman über den “Hundertjährigen, der aus dem Fenster stieg und verschwand” aktuell. Diesen Roman las ich abends im Camper laut vor und so konnten wir oft mit einem Lächeln einschlafen. Für meine innere Reise hatte ich die “Bhagavad Gita” mitgenommen und die “Autobiographie eines Yogi” von Paramahansa Yogananda, die ich vor meiner Reise geschenkt bekommen hatte.

Auf die letzten zwei Bücher werde ich noch gesondert in der Rubrik “Bücher” eingehen, da sie meiner Meinung nach wichtige Begleiter für Yogis sein können. Wer sich auf die Suche nach sich selbst begibt, bleibt – falls er sich nicht in eine Höhle zurückzieht – in der Regel weiterhin unter Menschen, aber innerlich macht er eine schwere und sehr einsame Zeit durch. Das möchte ich euch nicht verheimlichen.

Um uns herum bleibt erst einmal alles so, wie es immer war, die Familie und deren Gewohnheiten, der Arbeitsplatz, der Alltag und die ganze Umgebung, während wir uns jedoch durch das Vordringen in uns selbst und das Verstehen der alten Muster immer mehr verändern. Und irgendwann, wenn es soweit ist, beginnt sich das Umfeld auch zu wandeln, weil nichts mehr zusammenpasst. Das kann sehr schmerzhaft sein. Doch es gibt kein Zurück mehr. Denn das wäre so, als würde man sich die Augen verbinden, um nichts mehr sehen zu müssen.

Wird man selbst offener, friedlicher und aufmerksamer, ist es sehr gut möglich, dass sich Menschen, mit denen man über Jahre oder Jahrzehnte verbunden war, plötzlich von einem entfernen. Nach einem Streit, den man nicht ausgelöst hat, geht man trotzdem -schon wegen der langen Freundschaft und dem, was man gerade in der Bhagavad Gita gelesen oder in sich selbst erfahren hat – zwei Schritte auf den anderen zu, nimmt alle Schuld auf sich, gibt ihnen Raum und reicht ihnen die Hand. Aber anstatt diese zu nehmen, nutzen sie den Raum, um dort ihre eigene aufgestaute Wut und ihren Frust zu hinterlassen und wenden sich zornig ab. Verwundert bleibt man zurück und wartet darauf, dass nachgefragt wird, wie es sich denn aus der Sicht des anderen darstellt, aber diese Frage kommt nie. Dann gilt es zu erkennen, dass es Zeit wird, loszulassen, auch wenn es sehr weh tut.

Mit zwei Freundinnen habe ich genau das erlebt und es tut mir gut, hier einmal darüber zu schreiben, weil ich sonst den Schmerz und mein Erstaunen über diese Art der Kommunikation wohl mein ganzes Leben lang mit mir herumtragen werde. Nun kann ich es hier endlich in diesen Zeilen ablegen.

Mit der einen Freundin bin ich in Berlin aufgewachsen, und während wir nach so langer Trennung (sie in Australien und ich in Istanbul) zusammen in Australien waren, haben wir uns immer weiter von einander entfernt. Es gibt noch Kontakt, aber der ist sehr oberflächlich und Oberflächlichkeit ist nicht mein Ding.

Die andere Freundin, mit der ich ebenfalls über Jahrzehnte freundschaftlich verbunden war, redet heute kein Wort mehr mit mir. Das Skurrile ist jedoch, dass sie es war, die mir dieses wichtige Buch von Paramahansa Yogananda schenkte. Sie selbst hatte das Buch nicht gelesen, und ich hatte zuvor noch nie von diesem Yogi gehört. Das war auch gut, so hatte ich keine Erwartungen und überhaupt gar keine Vorstellungen, als ich es las. Damals sah ich das Bild auf dem Cover und dachte, es sei eine Frau. So weiche liebevolle Gesichtszüge und dieses lange lockige Haar.

Beim Lesen dieser Biographie des Paramahansa Yoganandas in Australien, war ich mir nicht bewusst, wie stark diese Zeilen mich berühren und langfristig verändern würden. Ich las es zwar mit offenem Herzen aber auch mit Verwunderung und einigen Zweifeln, weil ich vielen Erlebnissen, die dort beschrieben wurden, keinen Glauben schenken konnte.

Ich traue es mich fast gar nicht zu schreiben, aber dieses Buch hat etwas “Magisches”. Ich empfand beim Lesen eine tiefe Liebe für diesen Menschen, den ich nie gesehen habe, und die bis heute anhält. Deshalb habe ich auch Tränen in den Augen, während ich hier von ihm schreibe. Mit diesem Buch stand plötzlich “LIEBE” im Raum, ohne dass es dazu einen bestimmten Bezug gab. Ich weiß nicht, ob ihr euch das vorstellen könnt. Normalerweise verbinden wir ja immer etwas mit dem Begriff. LIEBE zu einer Person, zu den Kindern, den Tieren usw. Aber hier war einfach nur LIEBE da und die sollte mich von nun an immer begleiten. Mal war ich mir ihrer mehr bewusst und mal weniger, aber heute weiß ich, dass sie in mir – in uns allen – ruht. Immer. Und dass sie nichts mit dem zu tun hat, was wir normalerweise als Liebe bezeichnen. Dazu später mehr.

Mit Paramahansa Yogananda traten, ich will es mal ganz vorsichtig ausdrücken, die ersten “Yogischen Wunder” in mein Leben, die sich jedoch erst später in Istanbul zeigten und mit dem Verstand nicht mehr zu fassen waren.

Beide Freundinnen haben mir so sehr geholfen, ohne es vielleicht zu wissen. Egal, was auch danach geschah, ich bin ihnen dafür von ganzem Herzen dankbar.

Als die Sonne untergeht und es zu dunkel wird zum Schreiben, schaue ich mit Yogananda im Herzen in den australischen Sternenhimmel.

“Jetzt ist es dunkel, der wunderschöne Sonnenuntergang in Rosa-Lila-Blau ist vorbei. Ich möchte immerzu in den Sternenhimmel schauen, aber es ist draußen zu kalt. Die Sterne leuchten vom Horizont auf der einen Seite bis zur anderen. Sie berühren praktisch die Erde. Die Milchstraße ist ganz deutlich zu erkennen. Kann ich mir etwas von den Sternen wünschen?

  • Gesundheit für mich und meine Kinder
  • Einen geliebten Menschen an meiner Seite. Partner. Liebhaber. Freund.
  • Mein Buch erfolgreich beenden
  • Yogaschule aufbauen:
    • Viele Menschen damit erreichen
    • Menschen helfen, ihre Ängste zu überwinden
    • Wir öffnen Türen für Menschen nach draußen und zu Yoga
    • Wir öffnen Türen für Yogis aus aller Welt in Istanbul
    • Ich lerne mehr über Yoga und finde vielleicht einen Lehrer

Vielleicht wisst ihr es ja schon, wenn nicht, dann seid darauf hingewiesen, dass Wünsche sich erfüllen. All die Wünsche – bis auf das Buch – wurden innerhalb des gleichen Jahres noch wahr. Das Buch kam erst einige Jahre später und es ist mir ein Rätsel, wie ich damals so sicher schreiben konnte, dass ich “mein Buch” beenden möchte, wo ich doch nicht einmal eine Ahnung hatte, worüber ich schreiben würde. Das ist wirklich sehr merkwürdig oder?

Einige Lehrer habe ich getroffen, aber bis heute bin ich niemandem begegnet, der mir als spiritueller Lehrer zugesagt hätte. Immer blieben Zweifel. Geführt haben mich daher die wenigen Bücher, auf die ich “zufällig” gestoßen bin, meine eigene Angst und eine innere Stimme, die wir alle wahrnehmen können, wenn wir bereit sind, sie zu hören.

Im Prinzip bin ich heute zufrieden und wunschlos. Natürlich kann der erste Wunsch immer bestehen bleiben. Mögen wir und ihr alle lange gesund bleiben. Da ich die Panikattacken selbst überwunden habe, ist es und bleibt es jetzt mein größter Wunsch, Menschen dabei zu helfen, ihre Ängste ebenfalls hinter sich zu lassen. Es gibt ein Leben ohne Angst. Deshalb schreibe ich hier und habe solche Freude daran.

Aber gehen wir weiter auf die Reise. Als wir endlich völlig fix und fertig die Ostküste erreichten, hatten wir viele unangenehme Situationen hinter uns und sind nur knapp einem Verkehrsunfall entkommen, weil A. meinte, er müsse auf der Gegenfahrbahn fahren. Als ich ihm sagte, er solle das Auto zum Stehen bringen, damit ich übernehmen kann, blieb er mitten auf der Überholspur stehen und sprang aus dem Auto. Unsere Nerven lagen blank.

Danach ließ ich ihn nicht mehr ans Steuer und wollte ihn eigentlich in Townsville aussetzen, da meine Tochter schon die Reise beenden und nach Hause fliegen wollte. Er ließ sich aber nicht abschütteln und leider verschwand er auch nicht wie der Hundertjähige. Er benahm sich wie ein Kind, und ich machte mir große Sorgen, dass er womöglich doch noch irgendwo verloren geht. Wir nahmen ihn daher weiter mit und fuhren an der Küste Richtung Norden. Unser nächstes Ziel war Cairns.


5 Gedanken zu “Auf der Spur bleiben

  1. Wunderbar beschenkt mit deinem (wieder mal) einzigartigem Bericht und den atemberaubend schönen Fotos dazu starte ich nun ins Wochenende und kann es kaum erwarten, deinen nächsten Blogeintrag lesen zu können liebe Monika. du nimmst mich immer so sehr mit auf deine Reisen, dass mir anschließend ganz warm ums Herz wird. Danke ❤

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