Wie immer findet vor jedem Beitrag zum Yogaweg ein Dialog in meinem Gehirn statt. Warum schreibst du das auf? Du weißt, dass “Nichts” existiert und könntest es ganz einfach bleiben lassen. Doch sobald es still wird, weiß ich, dass es gar nichts Schöneres geben kann, als davon zu erzählen und zu teilen. Von diesem “Nichts” und dieser Freude. Welchen Sinn hätte es sonst, morgens aufzustehen, und würde ich sonst nicht übersprudeln und daher schlaflos bleiben?
Deshalb geht es für die, die es möchten, weiter mit der Reise immer tiefer in die Wüste von Australien und in mich.
Wurde in Istanbul mein Blick schon beim Öffnen eines Fensters oder einer Tür auf die ein paar Meter entfernte Häuserwand begrenzt, so erfreute ich mich hier in Australien das erste Mal in meinem Leben an einer unbegrenzten Sicht in die Ferne. Die Landschaft wurde Richtung Alice Springs immer karger, es gab kaum noch Pflanzen, nur roten Sand überall. Und in der Nacht wurde der Sternenhimmel immer klarer und tiefer.
Diese Weite und diese Ruhe schlugen sich auch auf mein Gemüt nieder. Ich wurde immer stiller und gleichzeitig immer aufmerksamer. Es gab keine Ablenkung mehr. Während der Fahrt sahen wir über viele Stunden oder gar den ganzen Tag über kein Auto, keinen Menschen. Es gab kaum noch Tiere, denn alles, was lebendig war, verkroch sich vor dieser Hitze und wurde erst wieder in der Nacht aktiv.
Und doch war da noch kein Frieden in mir. Es waren nicht, wie ich ursprünglich als ängstlicher Mensch dachte, die Landschaft, das Wetter oder gar die gefährlichen Tiere in Australien, die mich an meine Grenzen brachten. Vielmehr war es die Vergangenheit, die mich ab und zu einholte und meine Mitmenschen, mit denen ich auf diesem engen Raum im Camper verbunden war und die sich selbst nicht unbedingt in der gleichen Situation befanden wie ich.
So wie der feine rote Sand, sich langsam immer tiefer in jede Ritze des Campers, in unserer Kleidung und gar in unserem Essen seinen Platz suchte, so wurde meine Ruhe und Geduld von meinen Mitreisenden immer mehr auf die Probe gestellt.
Aber alles der Reihe nach.
Auf einem Campingplatz, der mitten im Nirgendwo von Australien lag, bekam ich eine Mail vom Narzissten. Er schrieb, wann ich denn meine Sachen abholen würde?
Tagebuch 06.07.2012:
“Ich hatte solches Herzrasen und meine Knie schlotterten, als ich die Mail las. Welche Macht hat dieser Mensch noch über mich? Ich wünschte, ich hätte schon alles abholen können (aber wie soll das gehen, wenn man Dank dieses Irren jetzt ohne Wohnung dasteht?) Trotz meiner Wut habe ich versucht, ruhig auf diese Mail zu antworten. Warum eigentlich? Warum schreibe ich nicht, dass er ein Arsch ist? Weil meine Sachen noch dort sind?
Von Nitmiluk bis Daly Waers habe ich im Auto geweint. Ich will aber nicht, dass er so viel Trauer und Wut in mir auslöst und daher sagte ich zu S., sie solle das Auto mal anhalten. Ich stieg aus und schrie ins Outback, dass er aus meinem Leben verschwinden soll. Dass er mich endlich in Frieden lassen soll. Danach ging es mir besser. Die letzten Tränen suchten sich ihren Weg und dann war Ruhe.”
In Daly Waters landeten wir abends auf einem Campingplatz, der erstaunlicherweise einem normalen Parkplatz glich. In dem dazugehörigen alten Pub war die Hölle los. Voll von fröhlichen Menschen und voll von Dingen, die hier mal irgendwann über die Jahrzehnte von irgendjemandem vergessen wurden. Sie hingen oder klebten an jedem freien Fleck des Gebäudes oder der Einrichtung. Abends gab es Live-Musik, Bier und etwas zu essen.
Alle Reisende, denen wir auf den Campingplätzen begegneten, waren aufgeschlossen und nett. Meine Freundin, die seit 20 Jahren hier lebte, ging stets sehr offen auf alle Fremden zu und sprach sie an. Dadurch erfuhren wir viel über die Gegend und über die noch vor uns liegende Strecke. Sie war es auch, die immer dafür sorgte, dass genug Wasser und Verpflegung an Bord war, dass wir rechtzeitig vor dem Sonnenuntergang einen Campingplatz auftrieben und mit den nötigen Informationen für die Strecke versorgt wurden. Wir profitierten von ihrer Erfahrung in diesem Land und das war ein wirkliches Geschenk.
Ist es erst einmal dunkel, sollte man sich im Outback nicht mehr auf der Straße aufhalten. Und wenn ich von Dunkelheit spreche, dann meine ich, dass es in der Wüste stockdunkel ist. Etwas, was wir in Großstädten und womöglich in ganz Europa gar nicht mehr kennen. Keine Hinweisschilder sind mehr auszumachen und somit findet man auch keinen sicheren Rastplatz mehr. Die Dunkelheit birgt zu viele Gefahren. In den kühlen Nächten sind die Kängurus unterwegs. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie dir im Dunkeln vor das Auto springen, ist sehr groß. Morgens sahen wir daher leider immer tote Kängurus am Straßenrand. Meistens wurden sie von den australischen Trucks (Road Trains) erwischt, die ebenfalls vermehrt in der Nacht unterwegs sind. Diese Fahrzeuge preschen so lang, breit und schnell wie ein Zug durch die Prärie. Denen möchte man auf gar keinen Fall in die Quere kommen.
Inzwischen hat sich auch A. von Deutschland nach Australien Richtung Alice Springs auf den Weg gemacht. Ihn wollten wir dort in zwei Tagen vom Flugplatz abholen. Meine Freundin musste nämlich bald wieder nach Hause und A. wollte mit mir und meiner Tochter die Reise noch für ca. weitere drei Wochen fortsetzen. So konnten wir uns die Kosten für den Wagen und den Sprit wieder teilen und länger in Australien bleiben.
Auf dem Weg nach Alice Springs kamen wir zu den Devil’s Marbles. Wir erreichten sie gerade kurz vor dem Sonnenuntergang, und so leuchteten diese Riesenmurmeln wie rote Glutklumpen verstreut über ein riesengroßes Tal unter dem Abendhimmel. Karlu Karlu, wie sie von den Aborigines genannt wird, ist eine heilige Stätte und daher zum Teil für die Touristen gesperrt. Nach den Überlieferungen der Ureinwohner stellen diese Felsen die Eier der Regenbogenschlange (siehe meinen letzten Beitrag Nr. 18) aus der Traumzeit dar.
Tagebuch 08.07.2012:
“Heute Morgen war es so kalt, dass ich nicht aufstehen wollte. Zum Klo bin ich mit einer Wollmütze gegangen. Kaffee auf unseren Campingstühlen mit Blick auf den Sonnenaufgang. Frühstück bei den Devil’s Marbles. Weiterfahrt Richtung Alice.
Tanken in Barrow Creek. Das kann man nicht wirklich einen Ort nennen. 3 Häuser und eine Tankstelle. Ansonsten weit und breit nichts außer rotem Sand.
Ich fühle mich nicht frei genug. Am wenigsten noch engt mich meine Kleine ein, die super gut alleine klar kommt. Mal 1-2 Tage irgendwo bleiben und alle Eindrücke wirken lassen, das wäre schön. Ich habe das Gefühl, wir sind in letzter Zeit sehr gehetzt. Ich sehne mich nach Ruhe und Meditation.”
Ich spüre wieder die Anspannung bei meiner Freundin, und meine Tochter war mit mir sauer, weil ich nichts sagte. Und in dieser Stimmung holten wir A. in Alice Springs vom Flugplatz ab. Es konnte nur noch schlimmer werden.
A. war völlig durcheinander, als er aus dem Flugzeug stieg. Wahrscheinlich der Jetlag, dachte ich. Ich sollte mich jedoch irren, aber das wusste ich da noch nicht. Zu Viert machten wir uns weiter auf den Weg. Unser Ziel war nun der Uluru/Ayers Rock.
Tagebuch 10.07.2012:
“Heute Morgen taten mir von der Kälte im Bus der Kopf und die Füße weh. Auch der Rücken schmerzte. Auf dem Weg zur Toilette bin ich fast erfroren und das Wasser in der Flasche war zu Eis gefroren. A. bekam nachts Krämpfe von der Kälte und als ich mich im Bett strecken wollte bekam ich ebenfalls einen Krampf im Bein.”
Als wir am nächsten Tag endlich den sagenumwobenen Uluru erreichten, war ich überwältigt von seiner Schönheit und gleichzeitg völlig schockiert über diesen professionellen Ablauf im National Park. Eintritt zahlen und mit viel zu vielen anderen Menschen einen Platz am Zaun suchen, der die Grenze markierte.
Wenn man jedoch berücksichtigt, dass dieser 350 Meter hohe Inselberg in der Wüste das bekannteste Wahrzeichen von Australien darstellt und jedes Jahr Hunderttausende von Besuchern anzieht und er gleichzeitig von den dort ansässigen Aborigines als heiliger Berg verehrt wird, dann versteht man auch, dass es gilt, diesen als heiligen Ort zu schützen. Aus diesem Grund versucht man die Besichtigungen streng zu kontrollieren und zu verhindern, dass Touristen gesperrte Zonen direkt am Uluru betreten oder gar auf ihn klettern, was seit Oktober 2019 verboten ist.
Tagebuch 11.07.2012:
“Wir parken auf dem Uluru Resort und gestern haben wir den Sonnenuntergang am Uluru gesehen. Stühle raus, Tisch raus. Kaffee. Nudeln gekocht. Fotos gemacht. Das haben alle anderen auch getan. Viele Menschen, viele Autos, viele Fotoapparate. Die Stimmung war trotzdem gut. Und es gab einen wahnsinnig roten Uluru. Mir fehlt die spirituelle Stimmung und die Ruhe. Ein Schaulaufen für den Berg. Weiß er, was für einen Trubel die Menschen um ihn machen?
A. ist noch immer ganz wirr. Wuselt herum. Redet herum. Liegt es immer noch am Jetlag oder am Stress, den er in letzter Zeit hatte? Mal sehen, wann er wieder zur Ruhe kommt. Ich bin durch sein Verhalten auch schon etwas nervös geworden. Meine Kleine will mit Kamelen in die Wüste. Meine Freundin möchte um den Uluru herumlaufen. Ich will einfach nur meine Ruhe haben. Ich spüre, die Spiritualität kann von überall zu mir kommen, wenn ich denn mal bei mir sein kann. Hierfür brauche ich keinen Berg und auch keine Höhle. Das habe ich jetzt begriffen.
Am nächsten Tag bin ich mit meiner Freundin um den Uluru herumgelaufen. Einige Abschnitte waren jedoch für Touristen gesperrt und ausschließlich den Aborigines vorbehalten. Leider hielten sich nicht alle Besucher daran.
“Rot. Kalt. Unheimlich. Schön. Endlich konnten wir an einigen Stellen den Uluru direkt anfassen. Was habe ich mich darauf gefreut? Was habe ich mir davon erwartet? Energie? Spiritualität? Ideen? Magie? Aber stattdessen oh Wunder, das Wetter schlug um. Wir sahen zum ersten Mal seit der Reise Wolken am Himmel und dann wurde es sehr windig. Der rote Sand wirbelte nur so um uns und dem Uluru herum.”
Der Spaziergang sollte für mich gleichzeitig eine Gelegenheit sein, mich meiner Freundin wieder etwas zu nähern, bevor sie wieder abreist. So schenkte ich ihr meine ganze Aufmerksamkeit und meine Liebe und als ich merkte, dass sie sich noch immer nicht öffnen wollte oder konnte, umarmte ich sie. Aber auch damit erreichte ich sie nicht. Sie war ein viel kälterer und härterer Brocken, als der, um den wir gemeinsam herumliefen. Das war sehr bedauerlich.
Und dann notierte ich all die Enttäuschungen und Urteile über alles und jeden und habe da noch nicht begriffen, wie wunderbar der Wind und der heilige Berg schon an mir arbeiteten.
“Aber die Mystik fehlte. Wie überhaupt keine Spiritualität auf mich übergeht, seitdem ich hier in Australien bin. Woran liegt es? Und die Aborignies, die haben mich nur erschreckt. Schmutzig, betrunken und schwankend und ihren Gesichtern kann ich nichts entnehmen. Statt zu ihnen hingezogen fühlte ich mich von ihnen nur abgestoßen.”
Am nächsten Tag war ich krank. Vielleicht war es das Abendbrot, vielleicht aber auch der Berg, der hier wirkte. Während meine Kleine und A. mit den Kamelen in die Wüste zogen, hielt mich meine Freundin schweigend in den Armen, während ich meinen Magen, meine Galle und meine Seele auskotzte.
Ich begreife heute, dass es einem Reinigungsprozeß glich. Es erinnert mich an die Rituale beim Yogaretreat. Es gab diese Ruhe und diese Weite um mich herum und in mir und dann gab es diese persönlichen Konflikte, die mich gleichzeitig mürbe machten. Es gab die Erwartungen an meine Person, an Yoga und an Australien mit seinen heiligen Quellen. Alles in und von mir richtete sich nach außen. Wartete auf etwas. Und das Einzige was passierte war, dass ich enttäuscht war, um dann mitten in der heiligen Wüste all das rauszubringen und loszulassen. Nur so konnte ich verstehen und am nächsten Tag in mein Tagebuch schreiben, dass es nicht um das Äußere geht, sondern um das, was in uns geschieht.
Tagebuch 14.07.2012:
“Nun ich muss begreifen, dass es egal ist, wo ich mich befinde. Die Spiritualität ist in mir und somit überall.”
In meinem Tagebuch benutzte ich das Wort Spiritualität. Von Gott wusste ich nichts und von der Leerheit hatte ich bis dahin auch noch nichts gehört. Weisheit und Spiritualität, darunter konnte ich mir etwas vorstellen und so verwendete ich diese Begriffe in meinem Tagebuch, um diese sich langsam in mir entwickelnden Phänomene einen Namen zu geben.
Noch drei Tage zuvor schrieb ich, dass Spiritualität von überall zu mir kommen kann, wenn ich mal bei mir sein kann, um dann nach der Krankheit zu der Erkenntnis zu gelangen, dass diese in mir und somit überall ist.
Das war eine heilsame und wichtige Erfahrung auf dem Yogaweg, die dafür sorgte, dass ich nie wieder etwas außerhalb von mir suchte. Natürlich hatte ich Ähnliches auch schon in den Yoga-Sutras des Patanjali gelesen, aber begriffen habe ich es bis dahin nur mit dem Kopf.
Tatsächlich musste ich erst bis ans Ende der Welt reisen und dann zu dem Ort, der am weitesten entfernt ist von jeglicher Zivilisation, um zu verstehen, dass all das Äußere für den inneren Frieden keine Rolle spielt. Alles was wichtig ist, ist immer hier und ruht in uns.
*luftholherzensseufz* 🙂
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„Von diesem “Nichts” und dieser Freude. “
Bislang hatte ich mich vor nichts so sehr gefürchtet wie vor dem Nichts. Du machst mir Mut und nach dem werde ich jetzt mal Ausschau halten, Monika! ❤
Einen schönen Herbstbeginn wünsche ich Dir ❤
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Vielen lieben Dank 🙂 Wunderbar. Du hast es auf den Punkt gebracht. Diese Furcht zu erkennen ist der erste entscheidende Schritt. Ich freue mich so für Dich. Ich sehe in Deinen Beiträgen, wie es Dich mal hierhin und mal dorthin treibt. Ich erkenne Deine Zweifel und Deine Hoffnungen. Am Ende bleibt nichts mehr übrig, dann müssen wir bei uns und unserer Furcht bleiben und voller Vertrauen hineinspringen. Ich wünsche Dir auch eine schöne Zeit liebe Doris Barbara 🙂
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