Nähe zur Natur

Die Reise ins Landesinnere von Australien und ins eigene Wesen geht weiter. Vom Litchfield National Park fuhren wir weiter zum Kakadu National Park, der zu den artenreichsten Regionen des Landes gehört. Ich notierte Ereignisse, die mich besonders beeindruckten, aber ich schrieb auch auf, was ich während dieser Reise träumte. So kann ich heute mit euch die Zeilen teilen, an die ich mich selbst gar nicht mehr erinnern konnte. Als ich sie gerade meinem skeptischen Mann vorlege, muss auch er zugeben, dass das ziemlich ungewöhnlich ist. Er kannte mich damals noch nicht, aber die Entwicklung mit der Yoga-Schule hatte er später selbst miterlebt.

Tagebuch 30.06.2012:

„Traum: Ich habe eine ganz schlecht laufende und für die Kinder miserable Schule aufgebaut. Ich habe auch jemanden dazu überredet, dort die Verantwortung zu übernehmen. Dieser Traum erschien mir, nachdem ich mit dem Wunsch eingeschlafen bin, zu träumen, was ich in meinem Leben (beruflich) machen soll.“

Wer meine Geschichte mit dem Yoga-Studio kennt, der sieht hier, dass ich träumte, was ich später machte. Etwas, was zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch nicht vorhersehbar sein konnte. Es gab nicht einmal eine Wohnung oder eine Ahnung davon, wo die nächste Wohnung überhaupt sein würde. Yoga-Studios gab es zu dieser Zeit in der Türkei auch nur sehr wenige.

Jetzt fällt mir und meinem Mann auch wieder ein, wie sehr ich damals mit mir haderte und kämpfte, ob ich dieses Studio übernehmen soll oder nicht, da ich eigentlich nicht noch einmal Eigentum haben und eine so große Verantwortung tragen wollte. Aber eine innere Stimme sagte mir, ich solle es tun und helfen, damit noch mehr Menschen die Tür zum Yoga finden können. Ich habe mich praktisch selbst überredet.

Völlig ahnungslos schrieb ich diesen Traum auf, ohne den Sinn zu verstehen, so wie ich notierte, dass mich die vielen Mücken im Wagen kaum schlafen ließen, der Halbmond in der Nacht so hell leuchtete, dass er Schatten warf und das Rauschen der Wasserfälle zu hören war. Ich notierte meine Eindrücke über das herrlich kühle Klima im tropischen Wald, das laute Geschrei der großen Fledermäuse, die hoch oben in den Bäumen über uns herumzappelten.

Wir überquerten den South Alligator River und ich sah unten im Schlamm am Flussufer das erst Mal in meinem Leben ein freilebendes Krokodil. Während die Aufregung über diese wilde Natur stieg, sank gleichzeitig die Stimmung unter uns im Bus.

Wenn man Menschen nach vielen Jahren wieder trifft und mit ihnen auf engstem Raum Zeit verbringt, kommt es natürlich auch zu Spannungen. Während ich innerlich während der Reise immer ruhiger und ausgewogener wurde und absolut glücklich war, wurde meine Freundin immer unzufriedener und lauter. Sie warf mir völlig unerwartet vor, ich wäre unhöflich und grob, was mich total erstaunte, da das meine eigene Stimmung überhaupt nicht wiedergab. Ich meditierte, versuchte entspannt zu bleiben und zu verstehen, was da gerade passierte.

Wer Yoga macht und meditiert, verändert sich und Veränderung passiert auch um uns herum. Ob man Recht hat oder nicht, spielt keine Rolle mehr. Man pocht nicht mehr darauf und anstatt zu reagieren, wird man zum Beobachter und bleibt bei sich, in seinem Zentrum und somit in seiner Ruhe. Ich hatte zu viele dramatische Ereignisse hinter mir, so dass ich mich über ein Wort oder über einen verpassten Sonnenaufgang nicht mehr aufregen konnte. Vielleicht war es ja diese Ruhe, die sie noch mehr aus dem Konzept brachte. Ich hatte keine Ahnung, fand es nur sehr schade, dass wir unsere alte Nähe nicht wiederfinden konnten. Gerne hätte ich mehr über ihr Leben auf diesem Kontinent erfahren und gerne hätte ich von mir erzählt, aber es ist leider trotz dieser Nähe in diesem kleinen Bus nie dazu gekommen.

Am East Alligator River wanderten wir auf dem „Frauenweg“ durch den Regenwald. Dieser Pfad ist ausschließlich den Frauen vorbehalten und für Männer verboten. Ziel und Zentrum dieses Weges ist ein riesengroßer Banyan-Baum, der auf einem Stein wächst. „ The Old Lady Sits“ ist ein spiritueller Ort, an dem sich noch heute Frauen der Aborigines treffen, um ihre Geschichten zu teilen.

Um die heiligen Orte der Aborigines besser verstehen zu können, muss man wissen, dass der Hintergrund ihres „Glaubens“ die Legenden von der „Traumzeit“ sind. Dies ist eine raum- und zeitlose Welt, aus der die reale Gegenwart in einem unablässigen Schöpfungsprozess hervorgeht, um gleichzeitig die Traumwelt wiederum mit neuen geschichtlichen Vorgängen zu füllen.

Teil dieser Mythologie ist die Regenbogenschlange, die in ihrer Erscheinung als weiblicher Erdgeist auf der Erde Berge, Täler, Quellen und andere Naturerscheinungen formt, welche genau die Kennzeichen dieser Traumwelt sind. In ihrer männlichen Erscheinung, als Sonne, schafft sie den Regenbogen. Ihr könnt diese Regenbogenschlange fast in allen alten und modernen Zeichnungen der Ureinwohner finden.

Die Regenbogenschlange hat sich nach einer langen Schaffenszeit und Reise als alte Frau während ihrer Menstruationsperiode an diesem Banyan-Baum niedergelassen und ausgeruht, bevor sie Richtung East Alligator River weiterzog. Seitdem sitzen die jungen Frauen im Schatten dieses Baumes, um die Geschichte dieser alten Frau und somit ihrer eigenen Schöpfungsgeschichte zu teilen.

Als alle weiterzogen, bin ich noch für einige Zeit zurückgeblieben und habe an diesem Ort meditiert. Auch wenn ich damals nicht viel über die Kultur und Mythologie der Ureinwohner wusste, war ich ganz offen für neue Erfahrungen und bin mir sicher, dass ich auf meiner Reise sehr viel von diesem alten Wissen unbewusst in mir aufnehmen konnte.

Später konnten wir am Ubirr Rock 20.000 Jahre alte Felsmalereien betrachten, und von oben hatten wir anschließend einen wunderschönen Rundblick über die herrliche Landschaft.

Unser nächster Campingplatz lag diesmal direkt im Busch und die Geräuschkulisse war umwerfend. Vogelgesang und auch Schreie kamen aus dem Urwald. Schreie aus dem Camper gab es nur von mir, weil ich die ganze Nacht wieder von den Mücken gequält wurde, während die beiden anderen verschont blieben und gut schliefen. Als ich nachts aus dem Fenster schaute, sah ich ein sehr großes Tier über den Platz schleichen. Ich konnte leider nur die Umrisse erkennen und meine Recherchen haben später ergeben, dass es sich wahrscheinlich um einen australischen Wildhund (Dingo) handelte.

Wir fuhren weiter nach Nourlangie und Cooinda. Auf dem Yellow River machten wir morgens um 5.30 Uhr eine Schifffahrt und ließen uns im Wasser treiben zwischen Krokodilen, Schlangen, Wasserläufern, Enten und Schweinen, während über uns die Seeadler tanzten.

Weiter ging es Richtung Katherine zum Nitmiluk National Park, und während wir auf die Edith Falls schauten, las meine Freundin aus der Zeitung vor und ich notierte später im Tagebuch.

Tagebuch 04.07.2012:

„Der Mörder wurde nach zwei Wochen gefasst. Er hatte seiner Nachbarin tatsächlich den Kopf abgeschnitten und war mit uns zur gleichen Zeit im Litchfield National Park. Außerdem hatte er sich auch in Berry Springs aufgehalten, als wir gerade dort in den warmen Quellen badeten. Echt gruselig.“

Die Nächte wurden immer kühler; am Tage jedoch war es sehr heiß. Morgens saßen wir noch in eine Decke eingewickelt, mit Jacke, Schuhen und Mütze beim Kaffee vor dem Camper, und eine Stunde später rissen wir uns, genötigt von der heißen Sonne, alles wieder runter. Übrigens schliefen wir jetzt auch voll bekleidet und mit Mütze.

Nach einem Zwischenstopp in Mataranka, wo wir in heißen Quellen badeten, zogen wir weiter und in Daly Waters fanden wir einen Campingplatz. Weil es nun kaum noch Zivilisation gab, offenbarte sich uns hier ein Sternenhimmel, wie ich ihn zuvor noch nie gesehen hatte.

War der Auslöser meiner ersten Panikattacke mit 19 Jahren ein Ausdruck meines Gefühls, der Welt und dem ganzen Geschehen hilflos ausgeliefert zu sein, so wurde mir hier klar, dass kein Mensch Angst vor dem Tod haben kann, wenn er in diesen Himmel schaut. Die Weite des Universum wurde mir offenbart, und das hatte zum einen zur Folge, dass ich mich ganz klein, ja winzig und unbedeutend fühlte. Zum anderen jedoch spürte ich Nähe und Geborgenheit. Ich wusste, ich bin nicht allein. Diese Fülle und dieses Leuchten strahlten einen solchen Frieden aus. Vor Ehrfurcht fehlten mir die Worte.

Dieses Gefühl zur Natur konnte ich nicht entwickeln, als ich in jungen Jahren in einer 1-Zimmer-Wohnung lebte, in einem Hochbett schlief, wo die Zimmerdecke über mir nur einige Zentimeter von meiner Nasenspitze entfernt war. Großstadt. Es gab keinen Kontakt zu mir und dem Leben. Es gab nur Enge und Angst.

Je tiefer ich in dieses Land vordrang und je mehr ich mich von der Zivilisation entfernte, desto mehr konnte ich diese Nähe zur Natur spüren. Dies veränderte meine Sicht auf alles. Aborigines, die über Jahrtausende unter diesem göttlichen Sternenhimmel einschliefen, können in geschlossenen Häusern keine Geborgenheit finden.

Ich ahnte es damals schon, dass es zwischen den Lehren der alten Yogis und der Weisheit der Ureinwohner von Australien keinen Unterschied gab.

Das Ziel ist immer das Gleiche, nämlich zu verstehen, woher wir kommen, wer wir sind und dass wir mit allem um uns herum in Liebe eng verbunden sind. Wir alle tragen dieses Wissen in uns, nur hat es sich vor dieser lauten und hektischen Welt verborgen und wurde vergessen.

Ich wünsche Euch ein wunderschönes Wochenende, Monika


4 Gedanken zu “Nähe zur Natur

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