Wer sich für Yoga interessiert, der wird wie ich erst einmal von der großen Auswahl an Literatur und den verschiedenen Yoga-Richtungen völlig verwirrt sein. Deshalb mein Rat, haltet euch am Anfang an die ältesten Schriften, bevor ihr euch mit der Sekundärliteratur beschäftigt. Alles, was man über Yoga wissen muss, ist in diesen Jahrtausende alten Schriften schon enthalten. Außerdem vermeidet ihr so, dass ihr womöglich an dem, was Yoga wirklich ist, vorbeizieht.
Die Yoga-Sutras des Patanjali
Eines der wichtigsten Werke ist “Die Yoga-Sutras des Patanjali”, das aus insgesamt 196 sehr kurzen Sutras (Aphorismen) besteht.
Man weiß heute nicht viel über Patanjali (er lebte ungefähr im Zeitraum zwischen 500 und 200 vor Beginn unserer Zeitrechnung), aber es ist bekannt, dass er noch zwei weitere wichtige Werke in dieser Zeit schuf. Das eine beschäftigt sich mit Ayurveda, also dem Körper und der Gesundheit, und das andere mit der Grammatik, der Kultivierung der Sprache. Sprache ist Denken und Denken ist der Geist (mind).
Wenn man sich etwas mehr mit Yoga befasst, dann weiß man, dass er damit die perfekten Grundvoraussetzungen für die Erschaffung dieses Meisterwerks, den Yoga-Sutras hatte, die die Kunst, die Wissenschaft und die Philosophie des Lebens betreffen.
In der 2. Sutra des ersten Kapitels definiert Patanjali, was Yoga ist:
“Yoga ist das Aufhören aller Bewegungen im Bewußtsein” (I.2)
Das hat also erst einmal überhaupt nichts mit dem zu tun, was wir die ganze Zeit im Yoga-Unterricht machen. Und was meint er mit Bewußtsein, und von welchen Bewegungen wird hier gesprochen?
Wer sich ständig mit Sorgen herumplagt, unter Traumata, Panikattacken und/oder Depressionen leidet, der weiß, was ein unruhiger Geist ist. Das ist das, was uns immer wieder daran erinnert, was wir erlebt oder wovor wir Angst haben und uns auch nachts nicht schlafen lässt. Aber wer oder was redet da und warum geschieht das? Kein Mensch kann mit diesen alten Geschichten im Kopf, die sich ständig wiederholen und die wir überall hin mitnehmen, glücklich und zufrieden sein.
Ich denke, die meisten von uns kennen das und wissen, was mit diesen Bewegungen gemeint ist. Es sind die unruhigen Gedanken, die ununterbrochen aktiv sind und uns nicht zur Ruhe kommen lassen. Die gilt es zu erforschen. Somit ist Yoga eigentlich die Wissenschaft des Geistes.
Wenn der Geist ruhig wird, dann “weilt der Seher in seinem eigenen wahren Zustand.” (I.3)
Ich würde diesen Zustand heute als Meditation oder Präsenz bezeichnen. Deshalb sagt man auch, Yoga ist Meditation. Es gibt viele Berichte darüber, wie dieser Zustand erlebt wird, auch ich werde später versuchen, darüber zu schreiben.
Wichtig ist hier nur, dass Patanjali das ganze damals zur Verfügung stehende Wissen über Yoga (Raja Yoga) in seinem Werk so zusammenfasste und darlegte, dass jeder in der Lage war und immer noch ist, es zu verstehen und anzuwenden.
Wir dürfen nicht vergessen, dass es sich damals um “heiliges Wissen” handelte, das ausschließlich den Brahmanen zugänglich war. Diese entstammten der obersten indischen Kaste, und nur sie hatten Zugang zur Priesterschaft. Das erinnert stark an die Reformation in Europa. Erst durch Luther wurde es möglich, dass jedermann die Bibel in deutscher Sprache lesen (wenn er es denn lernen durfte) und verstehen konnte.
Patanjali entwickelte in den Yoga-Sutras den achtfachen Yoga-Pfad (astanga-yoga). Wenn der Studierende sich in diesen Disziplinen übt, erlangt er dadurch körperliche, geistige und seelische Stabilität. Zu diesen acht Disziplinen gehört auch die körperliche Fitness und somit die Asana-Yogaübungen, die wir auf den Matten des Yoga-Studios üben. Sie sind aber nur einer von 8 Teilen des Pfades. Die anderen sieben sind knapp zusammengefasst: die Atmung (Pranayama), Moral, Ethik, also wie ich mich meiner Umwelt gegenüber verhalte (Yamas), Selbstdisziplin, wie ich mit mir selbst umgehe (Niyama), Geisteskontrolle, nach Innen ziehen der Sinne (Pratyahara), Konzentration (Dharana), Meditation (Dhyana), Zustand der inneren Freiheit, unteilbare Einheit des Seins, höchste Stufe der Meditation (Samadhi).
Es gibt natürlich sehr viele Auslegungen und Übersetzungen der Sutras. In der Ausbildung hatte ich eine englische Version von Sri Swami Satchidananda und später studierte ich dann noch in Deutsch die Auslegung von B.K.S. Iyengar, einem der größten und bekanntesten Hatha-Yoga-Lehrer des 20. Jahrhunderts.
Jeder wird auf die Version stoßen, die für ihn richtig ist, und jeder wird so viel von dieser über die Jahrtausende gesammelte Weisheit verstehen, wie er gerade in diesem Augenblick aufnehmen kann. Die Yoga-Sutras sind Lehrsätze, die einen das ganze Leben lang begleiten und zutiefst berühren und beeinflussen.
Wer ernsthaft Yoga betreibt und sich, andere Menschen, das Universum und wie alles zusammenhängt, verstehen möchte, der sollte die Yoga-Sutras unbedingt studieren.
Die erste Yoga-Sutra lautet: “Nun beginnt die Darlegung der Kunst des Yoga.”(I.1)
Das erste Wort in diesem Satz, das “nun” gab viel Stoff zu jeder Menge Interpretationen. Darauf will ich hier gar nicht eingehen. In mir hat dieses “nun” etwas ganz anderes ausgelöst. Beim Lesen verspürte ich ein Glücksgefühl und wusste instinktiv, dass ich “nun”, also jetzt in diesem Augenblick wirklich mit Yoga beginne.
„Jeder wird auf die Version stoßen, die für ihn richtig ist, und jeder wird so viel von dieser über die Jahrtausende gesammelte Weisheit verstehen, wie er gerade in diesem Augenblick aufnehmen kann.“ Das ist das beste Argument, dass man für Yoga vorbringen kann. Kein Zwang, keine starre Doktrin sondern Selbstentfaltung – und Ruhe. Danke fürs Teilen:)
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Liebe Laureen, es freut mich, wenn es so angekommen ist :-). Viele liebe Grüße, Monika
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