Wenn ich diesen Yogaweg hier aufschreibe, bin ich mir heute nicht mehr sicher, ob das wirklich alles passiert ist oder ob diese Gedanken und Erlebnisse nicht hier und jetzt in meinem Gehirn konstruiert werden. Deshalb heißt es auch, ein „scheinbarer“ Yogaweg. Ich denke, dass ich alles anhand meiner Notizen im Tagebuch aufschreibe, und das ist doch der Beweis dafür, dass das irgendwann einmal stattgefunden haben muss, oder? Aber auch das Heft und die in ihm hinterlassenen Zeilen sehe ich gerade jetzt, in diesem Augenblick. Sind sie je geschrieben worden oder taucht immer alles nur in diesem Moment auf und ich mache eine Geschichte daraus?
Das sind die spannendsten Fragen, die man sich in seinem Leben stellen kann: Wie funktioniert unser Gehirn und was ist Zeit?
Gemeinsam möchte ich mit euch diesen Phänomenen weiter auf die Spur kommen, und daher bewege ich mich weiterhin in der Zeit und schenke meinem Tagebuch Glauben. Danach war ich auf jeden Fall zum Jahreswechsel 2010/2011 selbst noch ganz im Denken und in der Zeit verhaftet und somit immer in Angst und Stress.
Die einzige Zeit, die ich für mich hatte, waren die wenigen Yoga-Stunden. Zweimal in der Woche ging ich regelmäßig zum Yogastudio. Bevor ich für eine Woche zum Yoga-Retreat ging, hatte ich mir nicht einmal diese Zeit genommen, sondern funktionierte rund um die Uhr, ohne innezuhalten und aufzutanken. All das erschien mir jedoch völlig normal, so wie es für einen Hundehalter in der Türkei ganz selbstverständlich zu sein scheint, sein Tier 24 Stunden am Tag an einer Kette festzubinden.
Wenn ich mich umschaue, dann geht es den meisten Menschen so. Immer denken, schaffen und immer Stress. Das ist also gar nichts Besonderes. Es fällt nur niemandem auf.
Sobald ich morgens die Augen öffnete, war ich Gefangene einer nicht enden wollenden und anstrengenden Routine. Es gab niemanden, der mir mal etwas abnahm. Ich war Mutter und Vater all die Jahre, und ich war Juristin und Managerin.
In den ersten Jahren, als ich noch alles aufbauen musste, sowohl mein neues Zuhause für meine Kinder und mich als auch die Firma, verbrachte ich die Samstage entweder auf dem Sofa oder auf der Hollywoodschaukel auf der Terrasse. Ich trank morgens meinen Kaffee, um dann gleich danach wieder einzuschlafen. Ich konnte mich nicht bewegen. Erst am Sonntag war ich wieder ansprechbar. Dann musste ich mich um die Kinder, den Haushalt und um die Einkäufe kümmern.
Meinen ersten Urlaub von einer Woche verbrachte ich mit meiner Kleinen in einem schönen Hotel am Meer. Ich kann mich aber an nichts mehr erinnern, außer dass ich den ganzen Tag auf einer Liege lag und schlief. Das Buch, welches ich dabei hatte, lag auf meinem Schoß, und ich bin über die ersten Seiten nie hinausgekommen. Ich wurde immer wach, wenn die Kleine von der Animation zurückkam, und dann haben wir etwas gegessen. Ich glaube, ich war nicht einmal im Meer schwimmen.
Bei den eigenen Kindern scheint es bei einer Mutter so etwas wie eine innere Quelle zu geben, die niemals versiegt und die man selbstlose Liebe nennt. Eine Umarmung oder ein Kuss auf die Wange genügen und man weiß, dass man das immer wieder für seine Kinder tun würde. Anders ist es jedoch in Beziehungen und im Job, da wird man irgendwann müde und leer, wenn nichts zurückkommt. Dann heißt es, Abschied zu nehmen.
Wie schon in meinem letzten Beitrag angekündigt, flatterte mit dem Jahreswechsel eine Einladung für eine Abendveranstaltung ins Haus. Solche Einladungen erhielt man als GF eines deutschen Unternehmens regelmäßig. Es gab viele Veranstaltungen im Rahmen der Deutsch-Türkischen Wirtschaft. Dazu gehörten Einladungen zu Staatsbesuchen deutscher Spitzenpolitiker in der Türkei. Es gab aber auch Konzerte und Feste an deutschen Feiertagen in der Botschaft in Ankara oder dem Generalkonsulat oder dessen Sommerresidenz in Istanbul. Ich weiß gar nicht mehr wie es dazu kam, aber ich war neben vier weiteren Vertretern der deutschen-türkischen Wirtschaft im Verwaltungsrat einer deutsch-türkischen Kulturstiftung, und dies sorgte ebenfalls für weitere Verpflichtungen zu Sitzungen oder sonstigen Zusammenkünften.
Ich bin jemand, der sich gerne engagiert, aber ich bin gewiss niemand, der gerne Smalltalk betreibt und aus diesem Grund bin ich nur dann einer Einladung gefolgt, wenn es wichtig war. Mehr als alles andere sehnte ich mich nach Ruhe.
Das Merkwürdige an dieser Einladung war jedoch, dass telefonisch vom Veranstalter nachgefragt wurde, ob ich denn kommen würde. Das ließ mich schon aufhorchen, denn es handelte sich um eine Feier des Unternehmens, mit dessen Geschäftsführer ich drei Jahre zuvor für ein Jahr lang liiert war, bevor er in ein anderes Land versetzt wurde. Dabei handelte es sich um eine sehr dramatische und leidenschaftliche Liebesbeziehung, die, so schien es mir damals, nicht nur mich, sondern auch all unsere Bekannten in Istanbul in Atem hielt.
Sollte er etwa wieder in Istanbul sein? Nun, genau so war es und wir trafen mit voller Wucht wieder aufeinander. Sobald er mich sah, vergewisserte er sich erst einmal, ob ich noch sauer auf ihn sei, um dann sofort noch am gleichen Abend mit der erneuten Eroberung anzufangen. Er wollte mich zurück. Und zwar für immer, das waren seine Worte.
Ich hatte aber gerade wieder Kontakt zu meinem letzten Partner, der in Deutschland eine Anstellung hatte und sich ebenfalls ernsthaft um eine zweite Chance bemühte. Ich konnte spüren, dass er sich diesmal wirklich auf mich einließ, anstatt ständig nur darüber zu reden und zu streiten, was eine Beziehung ist. Er machte mir sogar einen Heiratsantrag. Ich fühlte den Ernst und die Liebe hinter allem und ich war ihm so nah, wie nie zuvor in den ganzen letzten Jahren. Gleichzeitig wusste ich, es gab von meiner Seite aus kein Vertrauen mehr.
Noch vor wenigen Monaten fühlte ich mich einsam, verlassen, traurig und hintergangen, und nun gab es da zwei Männer, die unbedingt ihr Leben mit mir verbringen wollten. Mir war ganz klar, dass ich mit dem einen wahrscheinlich keine Zukunft hatte und bei dem anderen war ich unsicher, weil ich so vieles nicht verstand, was damals vor mehr als drei Jahren geschehen ist. Als ich ihn darauf ansprach, gab es für mich keine befriedigenden Antworten und das machte mich stutzig. Was mich jedoch sehr anzog, war die Art, wie er sich bemühte. Es war ein ständiges Verführen, ein Verwöhnen und es dauerte nicht lange, dass ich diesem Rausch wieder verfallen war. Ich hatte da noch immer keine Ahnung, dass ich nun zum zweiten Mal dabei war, einen Menschen zu lieben, der selber ohne Gefühle war: einen Narzissten.
Beruflich war ich nun an einen Punkt angekommen, wo ich nicht mehr wusste, wie ich meine Arbeit unter diesen Umständen noch vernünftig weiterführen sollte. Hier vor Ort waren wir ein tolles Team und wir sind eng zusammengewachsen. Nie haben wir jemanden entlassen, und alle sind mit der größten Freude zur Arbeit gekommen. Eigentlich war alles gut, und doch gab es diese Kraft von außen, die das alles zerstören wollte, das war einfach nicht mehr zu übersehen. Die Intrigen und Unverfrorenheiten aus Deutschland wurden immer schlimmer und ich wusste, es war Zeit, sich dagegen zu wehren. Deshalb schrieb ich einen persönlichen Brief an meinen Chef und Firmeninhaber, appellierte an seine Fürsorgepflichtund bat um Unterstützung und Klarheit. Aber niemand von diesen gestandenen Männern, nicht einmal mein eigener Chef, konnte mir ins Gesicht sehen und sagen, was los ist. Das ist auch kein Wunder, denn tatsächlich konnte mir niemand etwas vorwerfen, da alles gut lief.
Da kommt statt einer vernünftigen Antwort oder einer klaren Ansage ein Mensch aus Deutschland, der als neuer GF für alle Auslandsbüros vom Mobber eingearbeitet werden sollte, der mich vorher noch nie gesehen hatte, der noch nie mit mir korrespondiert hatte und stellt mir allen Ernstes die Frage, was ich hier überhaupt den ganzen Tag mache?!
Wer so eine Frage stellt, der ist ja schon in Deutschland davon überzeugt worden, dass ich nichts tauge. Er hatte mir gegenüber ein so feindseliges und eiskaltes Auftreten, dass es mir sehr schwer fiel, weiterhin freundlich zu bleiben. Und doch bin ich von meiner sehr souveränen und professionellen Art nicht abgewichen.
Der Mobber hatte in Deutschland dafür gesorgt, dass jeder dort, selbst mein Chef, der stets total begeistert von unserer Arbeit war, ein negatives Bild von mir hatte. Es war ganz klar, da war nichts mehr zu machen.
Bei diesen ganzen persönlichen Angriffen im Job und dem Vertrauensverlust meines Chefs, was mich am meisten traf, wusste ich nicht mehr, wo ich noch die Kraft für meine Aufgabe hernehmen sollte. Obwohl ich von dieser Arbeit als Alleinerziehende finanziell vollkommen abhängig war und ich mich mit ihr und den Mitarbeitern sehr eng verbunden fühlte, spürte ich instinktiv, dass nun die Zeit gekommen war loszulassen. Es hatte keinen Sinn, hier Energie für einen Kampf aufzuwenden. Wogegen sollte ich denn kämpfen? Es gab keine konkrete Anklage, also konnte ich auch gar nichts widerlegen und mich nicht wehren oder verteidigen. Für mich war das alles völlig irre.
Mein Schlaf war in den ersten Monaten des neuen Jahres schlecht und wenn ich schlief, dann quälten mich meine Ängste, die wahrscheinlich aufgrund des Zeitmangels am Tage, in meinen Träumen auftauchten. Sorgen um das Wohlbefinden und die Gesundheit meiner Kinder, unsere finanzielle Sicherheit, Männer, die mich bedrängen, belügen und betrügen.
Hier nur mal die Träume von einer einzigen Nacht.
Tagebuch 10.03. 2011:
Traum: Meine Kleine hat eine Glatze im Kindergarten. Sie besteht darauf, die Haare immer wieder abzuschneiden. Sie findet es gut. Für mich fühlt sich das nicht gut an und ich versuche stets, ihren Kopf zu schützen.
Traum: Ein dunkler Wald mit hohen Bäumen. Wir schneiden die unteren Äste ab. Ich liege dort im Wald auf dem Sofa. Meine Freundin M. kommt von hinten und will mir mit der Rasierklinge die Kehle durchschneiden.
Traum: Ich sehe, wie einem jungen Kalb mit einem Messer die Kehle durchgeschnitten wird. Es verdreht die Augen. Ich bin traurig und wütend und fühle mich so hilflos.
Traum: Mein verstorbener Schwiegervater gibt mir Hausschuhe. Er will mit mir reden. Mein Exmann (der Vater meiner Kinder) kommt dazu. Ich lasse es nicht zu, dass er sich neben seinen Vater setzt und sage, dass sein Vater anders war als er. Er war besser. Er hat immer zu mir gehalten, im Gegensatz zu dir.
Traum: Zu Hause. Alle meine Mitarbeiter kommen mich besuchen. Sie bringen Kuchen mit. Ich erzähle ihnen vom Yogakurs.
Während die ersten Träume meine Ängste und die traumatischen Erlebnisse in meiner Vergangenheit widerspiegeln, kündigte der letzte Traum an, wohin ich mich innerlich schon wendete. Ich war weg von der Arbeit, so dass meine Mitarbeiter mich zu Hause besuchen mussten, denn ich war mit meinem Herzen beim Yoga.
Diese innere Abkehr von der Arbeit konnte geschehen, weil genau zu dieser Zeit in diesem kleinen Yogastudio, wo ich Woche für Woche hinging – und nennen wir es mal wieder „zufällig“ – ein Yoga-Lehrer-Training angeboten wurde.
Gerade, als sich die Tür zu meinem Job immer mehr verschloss, da kam eine Frau aus Amerika und öffnete praktisch um die Ecke das Tor zum Yoga. Das Wunderbare daran war, dass es eine amerikanische, schon sehr lang existierende und anspruchsvolle Form der Ausbildung war. Somit unterschied sie sich vom Stil der hiesigen Yoga-Lehrer, die meistens von ein- und derselben Schule auf dem europäischen Teil von Istanbul ausgebildet wurden.
Es gab nichts mehr zu überlegen. Ich meldete mich sofort an. Fragt mich nicht, wie ich das alles durchgehalten habe. Jede freie Minute von Familie und Arbeit widmete ich nun der neuen Ausbildung und dann alles noch auf Englisch. Mein Englisch war grottenschlecht, denn ich sprach sehr gut Türkisch und brauchte die Verständigung auf Englisch hier seit Jahren überhaupt nicht. Aber es ging irgendwie alles, denn diese Ausbildung forderte nicht nur geistig und körperlich sehr viel von mir, sondern sie gab mir auch Kraft und innere Balance. Hinzu kam, dass ich nun endlich auch auf die Philosophie des Yoga traf.
Und damit ihr Lieben eröffnete sich mir eine Schatztruhe, die keinen Boden hatte und somit nie ein Ende zu haben schien, denn in ihr ruhte die unerschöpfliche Weisheit. Mir wurde plötzlich klar, dass es genau das war, wonach ich schon mein ganzes Leben lang gesucht hatte. Gesucht in meinen Beziehungen, Freundschaften, gesucht in meinen Ausbildungen, im Beruf, in der Literatur und überhaupt in allem, was ich je getan hatte. Mir wurde klar, dass mein Leben eigentlich eine ständige Suche nach dem Sinn des Lebens war. Ich war rastlos und musste immer weiterlernen. War ich mit einer Sache durch, musste ich es wieder anzweifeln und hinterfragen, und nie konnte irgendjemand meinen Wissensdurst stillen oder meine Fragen beantworten. Ich las Geschichte. Ich las die Bibel. Ich las den Koran. Ich las die Philosophen, aber ich konnte einfach nichts finden, was meinen Geist, meine Seele und mein Herz gleichzeitig berührte und befriedigte. Entweder war alles zu kopflastig oder es war zu irrational.
Und hier offenbarte sich mir etwas, was mir erlaubte, ja sogar von mir forderte, zu zweifeln und zu hinterfragen. Es wurde nicht von mir verlangt, etwas zu glauben. Ganz im Gegenteil. Es war ein Forschen, und darauf konnte ich mich sofort einlassen.
Ich, die nie eine Verbindung zu irgendeiner Religion hatte, die nie getauft worden war, die alle Religionen als Volksverdummung und -verblendung ablehnte, wurde von dieser Jahrtausende alten tiefen Weisheit vollkommen in Bann gezogen.
Während mein äußeres Lebensrad nun anfing, sich immer schneller zu drehen, ja praktisch auf einen Wirbelsturm zusteuerte, brachte mich diese Ausbildung immer mehr in Kontakt zu mir selbst. Ich lernte, auf einer Yoga-Matte von knapp anderthalb Quadratmetern mit höchster Konzentration und Anstrengung in einer Pose zu verharren und trotzdem den Atem frei fließen zu lassen. Ein ständiges Hinausgehen über sich selbst wurde gefordert. Diese Matte wurde mein Übungsplatz für das Spiel des Lebens.
Mit jedem Tag, an dem ich ein tieferes Verständnis für die Yoga-Sutras des Patanjali, die man als den Urquell des Yoga bezeichnet, erhielt und meinen sich bewegenden Körper mit meinen Atem in Harmonie brachte, wurde meine innere Welt weiter, tiefer und gelassener.
Nun bewegte ich mich vom äußeren Rand des Sturms, der sich unkontrolliert und zerstörerisch schnell bewegt, auf das innere Auge zu, von wo aus ich auf alles ganz in Ruhe, mit entspanntem Atem schauen konnte. Ich atmete und schaute zu, wie der Mobber und seine Gefolgsleute alles zerstörten, was wir mühsam aufgebaut hatten und wie der Narzisst mich erst in den Himmel schoss, um mich dann, wo ich ihn am meisten gebraucht hätte, einfach wie eine heiße Kartoffel fallen zu lassen.
Ich wurde immer mehr der Beobachter. Was für eine bahnbrechende Erfahrung. Die ganze Perspektive auf das Leben fing wundersam an sich zu verschieben.
Wenn ich nun nach dem Schreiben dieses Artikels die Yoga-Sutras des Patanjali wieder in die Hand nehme und die Vorbemerkungen von B.K.S. Iyengar lese, fühle ich mich in dem, was ich erfahren habe vollkommen bestätigt und weiß auch, warum ich das hier alles mit euch teilen möchte :
„Der Yoga ist eine Kunst, eine Wissenschaft und eine Philosophie. Seine Wirkung erstreckt sich auf allen Ebenen des menschlichen Lebens: die körperliche, die mentale und die spirituelle. Yoga ist eine praktische Methode, durch die wir unserem Leben Richtung, Sinn und Würde geben können.
Wie Honig immer süß ist, gleich aus welchem Teil der Wabe er stammt, so ist es auch mit dem Yoga: Ganz gleich, von welchem Bereich der menschlichen Natur wir sprechen – er bringt jeden Teil von uns in Einklang mit unserem Wesenskern, dem bewussten „Seher“ in uns. Wer sich im Yoga übt, lernt die innere und äußere Welt wahrzunehmen und zu erleben. Er wird mit der göttlichen Freude der gesamten Schöpfung in Berührung kommen und diesen Nektar göttlichen Reichtums und Glücks dann mit anderen teilen können.“
Ich wünsch euch einen schönen Tag, Monika