Ein steiniger Weg

Ich will ehrlich sein, immer wieder lege ich das Tagebuch weg und verschiebe den nächsten Beitrag. Das ging mir schon bei den letzten beiden Artikeln so. Es ist nicht angenehm, in seinen alten Notizen zu lesen, wie schlecht es einem damals ging. Es scheint so, als würden die Sorgen und die körperlichen Schmerzen beim Lesen wieder in mir lebendig werden. Auch tauchen immer wieder die Fragen auf, wen interessiert das schon und haben wir nicht alle unsere Probleme? Geht es anderen Menschen nicht viel schlechter? Und dann schiebe ich das Heft der Vergangenheit weit weg von mir, um mich wieder dem zu widmen, was hier und jetzt ist.

Und irgendwann schaffe ich es dann, diese dunklen Wolken der Vergangenheit als das zu erkennen, was sie wirklich sind, nämlich nur Gedanken, die hier gerade erscheinen. Ich habe wieder den richtigen Abstand, werde der Beobachter und erkenne, wie stark mein Körper auf all diese Geschichten reagiert. Und das ist es, worum es hier geht. Es gilt zu erkennen, dass wir uns mit den alten Geschichten, die in Form von Gedanken auftauchen, die Schmerzen immer wieder selber zufügen.

Egal, ob es sich hierbei um irreale Ängste oder um Traumata handelt. Wir tragen sie unbewusst als Konditionierung in unserem Gehirn und sicher auch zum Teil als Emotion in unserem Körper überall mit hin. Und jedesmal, wenn uns eine Situation nur annähernd an diese alten Geschichten erinnert, läuft immer das gleiche Muster ab, wie bei einem Roboter. Mit Vergangenheitsbewältigung kommt man da nicht weiter, da die Vergangenheit abgeschlossen ist. Meine Erfahrung ist, dass man einen Abstand nur gewinnt, wenn man endlich im Hier ankommt und erkennt, dass Gedanken Konditionierungen sind und man sich davon befreien kann. Wir sind nicht unsere Gedanken.

Und darum schreibe ich auf, was diese alten Notizen erzählen, damit erkannt wird, wie man da rauskommt. Denn ich weiß von mir selbst, dass es mich auch immer sehr interessiert hat, wie andere diese Befreiung erlebt haben. Wir wollen vergleichen und uns verstanden fühlen. Das hat auch mir damals sehr geholfen.

Zudem spüre ich, dass beim Schreiben der Ereignisse, die nie erzählt und geteilt wurden, so etwas wie Befreiung eintritt. Es findet dabei auch eine Heilung bei mir statt.

Meine Tagebucheintragungen beginnen also erst wieder, als der Mann, von dem ich mich drei Monate zuvor trennte, wieder in mein Leben trat. Er kam im September, mit einem neuen Job in Deutschland, großem Optimismus und vielen Versprechungen, und nun sollte alles besser werden. Aber schon kurze Zeit später traten wieder schlechte Träume und körperliche Unpässlichkeiten auf, und das war kein gutes Zeichen. Ich genoß die Aufmerksamkeit, wusste aber ganz genau, dass ich kein Vertrauen mehr zu ihm haben kann. Eine gemeinsame Zukunft gab es daher für mich nicht.

Zu dieser Zeit hatten wir den Umzug der Firma hinter uns, und nun ging es neben der normalen Alltagsroutine um die Vorbereitungen für das große Einweihungsfest. Hierfür wurden unsere Kunden, die sich mit ihren fast 1000 Firmen und Konzernen über das ganze Land verteilten, die Presse und sonstige Persönlichkeiten des öffentlichen Wirtschaftslebens, wie die Deutsch-Türkische Industrie und Handeslkammer und die Generalkonsulin eingeladen.

Während es also unserem Unternehmen immer besser ging, spitzte sich meine eigene berufliche Situation immer mehr zu. Von Deutschland aus wurde kräftig weiter an meinem Sessel in Istanbul gesägt, was nicht ganz so einfach war, weil wir eine der erfolgreichsten Außenstellen waren. Aber ich wusste, diese persönliche Intrige einer einzigen Person gegen mich würde irgendwann Erfolg haben, sobald sie jemanden gefunden haben, den sie wie eine von Deutschland gesteuerte Marionette in meinen Sessel pressen können. Von der Mutterfirma aus Deutschland kam neben dem Eigentümer die ganze männliche Chefetage zum Fest.

Ich kann mich noch sehr gut an die schöne Feier erinnern, die wir in den Garten des Hauses verlegten, da wir herrliches Wetter hatten. Ich bin wunderbaren Menschen begegnet, die mir heute noch wichtig sind, und wir hatten viel Spaß. Und doch war es auch sehr skurril. Während ich dort freundlich und höflich als Gastgeberin mit meinem langen, bunten Sommerkleid von Tisch zu Tisch schwebte und lächelnd Konversation betrieb, spürte ich die Blicke und Gespräche der Männerriege hinter meinem Rücken. Mein persönlicher Mobber hatte sogar die unverfrorene Freundlichkeit, Gäste mitzubringen, die eventuell die Nachfolge antreten sollten. Das blieb aber alles unerwähnt und doch war es so offensichtlich.

Nachdem ich, die Generalkonsulin und auch der Chef ihre Reden gehalten hatten, bekam ich noch ein offizielles Einweihungsgeschenk, persönlich von meinem Chef vor allen Gästen überreicht. Eine schöne Jura-Kaffeemaschine für mein Zimmer. Als ich das Geschenk annahm, wußte ich, dass ich nicht viel von dieser Maschine haben würde. Was für eine Farce dachte ich und lächelte. Ich schaute mir die Herren auch genauer an und sah, dass sie sich sehr gut amüsierten. Mit einigen von ihnen war ich befreundet. Kann es sein, dass ich mir das alles nur einbilde? Können Menschen so feige und fies sein? Und warum passiert das eigentlich alles?

Ich muss an ein vor längerer Zeit im Büro geführtes Telefonat mit dem Mobber denken. Ich teilte ihm eine Aussage eines Beamten des türkischen Finanzamtes mit. Da schrie mein ehemaliger Kollege und Freund ins Telefon, dass es eine Frechheit wäre, was diesem Kerl einfallen würde und dass er dafür sorgen würde, dass er seinen Job verliert. Er würde ihn vernichten. Ich hielt den Hörer weg von meinem Ohr und war völlig sprachlos über diesen Wutausbruch. So hatte ich ihn noch nie erlebt. Als ich aufstand, war mir das erste Mal im Büro schwindlig. Wie kann man so etwas persönlich nehmen und so voller Hass sein? Wie kann man daran interessiert sein, einen anderen Menschen zu vernichten? Der macht doch auch nur seine Arbeit – leben wir hier im Krieg, dass wir solche Worte benutzen? Damals dachte ich noch nicht daran, dass er es ernst meinen könnte und nun erlebte ich seinen Hass es am eigenen Leib.

Er hasste mich, weil ich ihm die Stirn bot und er betrieb einen Vernichtungskampf gegen mich. Aber woher nimmt ein Mensch soviel Wut und Hass? Heute weiß ich, Wut und auch Hass sind immer ein Ausdruck von Angst. Immer dann, wenn Menschen mit Minderwertigkeiten zu kämpfen haben, sind sie schnell verletzt und aus einer harmlosen Arbeitskollegin, alleinerziehenden Mutter und ehemaligen Freundin wird auf einmal der Feind, den es auszulöschen gilt. Er hatte große Angst, in der neuen Aufgabe als GF zu versagen, und anstatt mit mir zusammenzuarbeiten, ließ er sich lieber von seiner neuen Macht verführen und nutzte diese ungeniert auf eine ganz böse Art und Weise aus. Da er zuvor der IT Manager des Unternehmens war und in allen Firmen die IT aufbaute, hatte er auch die Kontrolle über alle Details in den Büros.

Ich bin mir sicher, dass er meine Mails und auch meine Gespräche im Büro kontrollierte. Für so einen professionellen ITler sind Manipulationen in diesem Bereich ein Kinderspiel, und dessen war ich mir auch immer bewusst. Ich habe es miterlebt, wie er durch seine Zugriffe im Intranet dafür sorgte, dass sein Vorgänger den Posten verlassen musste, und nun war eben ich an der Reihe.

Während ich eine Firma am Laufen halten und gleichzeitig Mutter und Vater für meine Kinder sein musste, hatten die Männer, die in meinem Leben gerade eine Rolle spielten, wieder nichts anderes zu tun, als sich mit ihrem eigenen Ego zu beschäftigen und mir das Leben damit schwer zu machen. Ich musste feststellen, dass es zwar nicht bei allen, aber bei den meisten meiner Kollegen und Partner, mit denen ich zusammenarbeitete oder lebte, immer nur um die eigene Person und nicht um die Sache an sich ging. Es ging nie um UNS oder um das TEAM, sondern stets nur darum, wie der Mann am Ende nach außen hin dasteht, und was die anderen über ihn denken.

Ich hatte überhaupt nie Zeit dafür, mir darüber Gedanken zu machen, wie man mich von außen wohl sieht. Ich war viel zu beschäftigt, und seit der Trennung vom Vater meiner Kinder hatte ich neben meinen irrealen Ängsten auch noch mit Existenzängsten für meine Kinder und mich zu kämpfen. In einem Land, in dem man jeden Augenblick von einem Erdbeben aus dem Schlaf gerissen werden oder die Währung von einem Tag auf den nächsten in den Keller gehen kann, sind auch reale Ängste ein ständiger Begleiter.

Wann sollte ich mir da Gedanken darüber machen, wie ich wohl aussehe oder was irgendwer wann und wo über mich denkt?

Tagebuch 05.10.2010:

“Gestern hatten wir abends um 9.00 Uhr ein Beben. Ich hatte schreckliche Angst und bin mit meiner Kleinen rausgerannt. Es hatte die Stärke von 4.4 auf der Richterskala. Noch immer habe ich solche Angst und frage mich, ob uns wohl eines Tages das Haus auf den Kopf fallen wird? Ich möchte weg. Kann aber nicht. “

Hierzu muss ich erwähnen, dass wir 1999 beim großen Erdbeben in der Türkei mit der Stärke von 7.9 auf der Richterskala nur einige Kilometer vom Epizentrum entfernt gewohnt und es daher sehr heftig miterlebt hatten. Aus diesem Grund wollte ich auch nie – was ich aber nun auf Wunsch von meinem damaligen Partner und meiner Kinder tat – in einem Appartment in Istanbul wohnen. Zum einen weiß man nie, wie die gebaut wurden und auf welchem Untergrund sie stehen (stabilem steinigen oder sandigem Boden), und zum anderen gibt es einfach keine Fluchtmöglichkeit in der Großstadt, wenn die einstürzenden Häuser um einen herum zur Gefahr werden.

Mit der großen Angst im Hinterkopf, dass in Istanbul in den nächsten Jahren ein großes Erdbeben von über 8 auf der Richterskala erwartet wird, bin ich daher nach diesem kleineren Beben von 4.4 ziemlich panisch gewesen. Die Angst schoß mir direkt in den Kopf und im gleichen Moment bekam ich Kopfschmerzen. Wir liefen zum Auto und ich wußte einfach nicht, wie ich je wieder ins Haus gehen sollte.

Tagebuch 06.12.2010:

“Nikolaus. Drei Tage, Freitag – Samstag – Sonntag streiten wir über Skype. Ich bin fix und fertig. Seine Art ist ätzend und er tötet mich damit und die Liebe. Ich sollte es beenden, bevor er mir noch Weihnachten versaut.”

Auch der Skorpion tauchte wieder in meinen Träumen auf: “Plötzlich läuft da ein Skorpion herum. Groß und schwarz. Ich kann ihn lebendig nicht fassen. Ich habe so etwas wie einen Stock. Damit packe ich das Tier und teile es mit Wut und Hass in mehrere Teile, bis es endlich tot ist.”

(Irgendwann hatte ich damit angefangen, meine wirren und intensiven Träume zu deuten und ins Tagebuch zu schreiben: ) “Der Skorpion steht für die männliche aggressive Kraft. Wird man im Traum von ihm gestochen, so wird man von einer heimlichen Feindschaft schwer geschädigt werden. Können sie ihn nicht töten, stehen gravierende Verluste bevor. Ich bin froh, dass ich ihn getötet habe, denn das bedeutet, dass ich einen Menschen solchen Schlages vernichten werde.”

Ich spürte im Traum die gleiche Angst, die gleiche Wut und den gleichen Hass, wie mein mich mobbender Kollege.

Ihr Lieben, das Wunderbarste aber ist, dass ich seit dem Yoga-Retreat immer wieder auf die Yoga-Matte ging. Ich wusste noch immer nichts über Yoga, aber ich spürte instinktiv, wie wichtig diese kurzen Auszeiten von diesem anstrengenden Alltagsleben für mich waren. Es war die Yoga-Matte, die mich immer wieder weg von meinen Gedanken und Sorgen über meinen Körper zum Hier und Jetzt brachte. Zu dieser Zeit gab es noch nicht sehr viele Yoga-Studios in der Türkei. In Istanbul gab es hauptsächlich auf der europäischen Seite einige Möglichkeiten. Auf der asiatischen Seite, wo ich wohnte und jetzt auch arbeitete, konnte man die Yoga-Studios an einer Hand abzählen. Aber ich hatte wieder mal Glück oder sollen wir es Zufall nennen, denn nur 10 Minuten von mir entfernt gab es drei Frauen, die zusammen Räume mieteten und Yoga anboten.

Ich weiß nicht, wie ich das sonst alles ertragen hätte.

Das Jahr 2010 neigte sich dem Ende zu, und auch Silvester verlief nicht ohne Beziehungsdrama. Ich brauchte wahrscheinlich wieder einen Tritt von außen, bevor ich hier einen Schlußstrich ziehen konnte. Und genau das passierte auch. Ich erhielt eine Einladung, die mich erst in den Himmel und dann in die Dunkelheit und Leere stoßen sollte.

Ich wünsche euch von ganzem Herzen einen schönen Sonntag und für alle Mütter einen schönen Muttertag, Monika


8 Gedanken zu “Ein steiniger Weg

  1. Welch ein unglaublicher Mut diesen beruflichen Weg nicht augenblicklich abzubrechen – zurück nach Deutschland zu gehen, um Dir da einen neuen Job zu suchen???
    Doch ich denke, dass es keineswegs Mut alleine war, sondern es muss ein unbezähmbares Verlangen gewesen sein, weiter zu machen.
    Welches es auch immer war, es war so mächtig, dass Dir alles, was Du durchmachen musstest geringer vorkam, als der Schmerz, dieses Verlangen nicht mehr erfüllen zu können.
    Diese Gedanken kamen mir als ich an eine Zeit in meinem Leben zurück dachte, da war ich etwa 30, wo das Bedürfnis etwas zu erleben so massiv war, dass ich bereit war jeden damit verbundenen Schmerz zu akzeptieren, als es zu lassen.

    Dir auch einen schönen Sonntag und Muttertag liebe Monika
    mit besten Grüssen
    D.B.

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    1. Vielen Dank für Deine Zeilen. Nach Deutschland konnte ich nicht mehr so einfach zurückkehren. Meine Kinder sind in der Türkei groß geworden und ich hätte sie aus ihrem Umfeld herausreißen müssen. Aber das ist eine lange Geschichte, die noch weit vor dieser Yoga-Geschichte beginnt :-). Vielleicht schreibe ich darüber auch mal. Liebe Grüße nach Wien

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  2. Ich finde es toll, liebe Monika, dass du deine Notizen aus dem Tagebuch wieder aufnahmst . Ich habe auch viele Erinnerungen die mir weh taten und ich lange nicht wusste, ob ich sie öffnen sollte. An manchen Tagen dachte ich, es sei besser diese Schubladen verschlossen zu halten. Aber wie du selbst schon schriebst, kann das ganze auch heilsam sein. Danke für deine Zeilen. Ich glaube, dass es gut tut, selbst zu wissen, wann man diese Erinerungsdose öffnet und das hast du gerade getan. Danke

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  3. Hallo Monika Tugutlu, vielen Dank, dass Du Dich für meine Seite interessierst. Ich selber fand Deine Artikel, gerade die Zeilen über die Konditionierung durch unsere eigen Gedanken so aufregend, sie haben mich tief berührt, dass ich mich einfach einklinken musste. Vielen Dank dafür. Alles Gute.

    Peter

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    1. Vielen Dank Peter und herzlich willkommen. Die Konditionierung unseres Gehirns ist so wichtig, dass man das eigentlich in der Schule lernen müsste :-). Gleichzeitig stellt es jedoch den freien Willen in Frage. Das war auch für mich eine so spannende und erst einmal unfassbare Erfahrung. Letztendlich war es für mich der Schlüssel zur Freiheit. Viele Grüße

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    1. Liebe Elisabeth, vielen Dank für Deinen schönen Kommentar. Ja, darum geht es mir. Ich möchte zeigen, dass wir alle frei sein können, egal was passiert. Egal, welche Ängste wir haben. Oder gerade, weil so viel Schmerz und Angst da ist, gibt es auch die Chance direkt in die Freiheit zu springen. Aber wem sage ich das 🙂 Liebe Grüße, Monika

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