Feuer

Tagebuch 12.04.2010

 Heute ist Montag und somit hat leider schon die nächste Woche angefangen. Ich habe tief und fest geschlafen. Alles tut mir weh. Aber ist das nicht herrlich, erschöpft zu sein von körperlicher Anstrengung und nicht vom Stress? Ich kann mich auf den erholsamen Schlaf freuen und mich in ihn fallen lassen. Der Körper lässt mir gar keine andere Wahl.

Zu Hause gibt es Ärger zwischen M. und meiner Tochter. Schade, dass er nicht mit ihr reden kann. Er schreibt, ich müsse mehr Klarheit finden. Das wäre gut für alle! Ich ärgere mich wieder, denn es kann ja nicht nur von mir abhängen, dass zu Hause alles gut läuft. Wo ist eigentlich sein Beitrag? Wut steigt auf.

Da die Vormittagsstunden ausfallen, kann ich mich wieder meinen Panikattacken und folgenden Fragen zuwenden:

  • Was bereitet mir Spaß von den Dingen, die ich den ganzen Tag über mache?
    • Morgenspaziergang am Strand
    • Ein schönes gesundes Frühstück für meine Kinder zubereiten
    • Morgensex
    • Schifffahrt zum Büro

Das war es auch schon. Die Arbeit hat mir immer sehr viel Freude bereitet, aber davon ist aufgrund der Repressalien aus Deutschland nichts mehr übriggeblieben. Ich komme auch nicht mehr gerne nach Hause, da es dort keine Harmonie und keinen Frieden gibt.

  • Was bringt es mir, daran festzuhalten? Nichts!
  • Welchen Gefahren und Unannehmlichkeiten gehe ich aus dem Weg, wenn ich weiterhin daran festhalte?
    • Gefahr alleine zu sein?
    • Beziehung zu verlieren?
    • Vertrauen meiner Kinder zu verlieren?
    • Nicht geliebt zu werden?
  • Wen würde ich verletzten, wenn ich etwas ändere?
    • Meinen Partner?
    • Meine Kinder?
  • Was würde ich gerne anders machen?

An dieser Stelle möchte ich einfügen, dass ich nach Jahren das erste Mal alleine und in aller Ruhe darüber nachdenke, was ICH eigentlich möchte. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass ich als nächstes in meinem Tagebuch „Das ist eine sehr schwere Frage“ eintrage.

Heute schmunzle ich darüber. Wie kann man so weit weg von seinen eigenen Wünschen und Bedürfnissen leben? Dann notiere ich, wie schön es wäre, „wenn es zu Hause friedlicher wäre, wenn ich mehr Unterstützung hätte und nicht alles an mir hängen bleiben würde usw.“, um dann zu dem Ergebnis zu kommen, „dass ich am liebsten alle rausschmeißen würde und sie erst dann wiederkommen können, wenn sie bereit sind einen finanziellen und/oder körperlichen Einsatz zu zeigen.“

  • Gibt es Gründe dafür, dass es so gekommen ist?
    • Ich wollte es allen recht machen
    • Habe daher für mich viele Kompromisse geschlossen
    • In der Hoffnung, dass mich die anderen hierfür dann unterstützen
  • Was haben die anderen davon, dass ich mich so verhalten habe?
    • Sie haben ihren Willen bekommen (Umzug von einem schönen Haus am grünen Stadtrand in die Innenstadt und mit dreifach teurer Miete)
    • Sie haben es bequem

Nachdemich mir Gedanken über meine Situation gemacht und alles aufgeschrieben habe, wird mir klar, dass „ich ersticke“, dass „ich sterbe“und „dass es so auf keinen Fall weitergehen kann. Niemand fühlt sich zu Hause für irgendetwas verantwortlich. Wo ist mein Leben? Wann bin ich dran? Wer gibt sich so viel Mühe für mich? „

Und dann entsteht die Liste, die mit den mir so fremden Worten beginnt: ICH WILL:

  • Einen eigenen Raum nur für mich
  • Zeit nur für mich
  • Dass von meinem Gehalt auch mal etwas für mich übrig bleibt, vor allen Dingen für meine nicht abgesicherte Zukunft

Wenn man im Leben an den Punkt kommt, wo man nicht mehr weiß, wo man steht und wie es weitergehen soll und diesen wichtigen Fragen auf die Spur kommen möchte, dann ist es am Anfang sicherlich sehr hilfreich, wenn räumlicher Abstand und somit eine Distanz zum Alltag und den Menschen, die uns täglich begleiten, gegeben ist.

Ein Retreat mit Meditation und körperlichen Übungen war für mich perfekt. Schon nach so wenigen Tagen wurde der Geist durch die Übungen ruhiger und klarer. Der Körper und seine Bedürfnisse wurden wieder wahrgenommen. Es fühlte sich so an, als würde langsam alles wieder an seinen Platz gerückt oder als würde ich mich irgendwie wieder zentrieren und könnte mich daher wieder auf das Wesentliche konzentrieren.

Wenn man das einmal erlebt hat, dann möchte man sich nie wieder so verlieren. Deshalb sind später die täglichen Meditationsübungen so wichtig und auch die körperliche Fitness. Wenn man sich nicht spürt, weiß man nichts über sich und neigt dazu, sich wieder irgendwo im Alltag zwischen Vergangenheit und Zukunft und in den Bedürfnissen der anderen zu verirren.

19.00 Uhr. Die Übungen am Nachmittag waren wieder eine Steigerung, denn nun flogen wir auf dem Rücken. Hierfür werden Bauchmuskeln eingesetzt und somit wurde vorher der Bauch mit den entsprechenden Übungen trainiert. Das brennt, wie FEUER. Ich bin mutig und mache alles mit aber es kostet mich eine enorme Überwindung und Kraft. Angst ist immer da. Kalte Füße und kalte, feuchte Hände. Schwindel. 

Auch das Tragen auf den Beinen ist viel anstrengender, wenn die fliegende Person mit dem Rücken auf den Füßen liegt und keinen Blickkontakt nach unten und somit keine Kontrolle hat. Ich versuche locker zu sein und plötzlich dreht sich alles, so dass wieder Verspannung aufkommt. Trotzdem habe ich alles geschafft und ich war hinterher erschöpft aber auch erleichtert. Viel Schulterklopfen von den anderen, die schon seit Jahren fliegen und mich so stark motiviert haben. Sie fragen, wenn du das gewusst hättest, wärest du sicher nicht gekommen oder? Ich sage, ja das stimmt. Ich wäre niemals gekommen.

22.00 Uhr. Die Feuerzeremonie ging heute länger. Wir haben gesungen und die Zettel mit den aufgeführten Blockaden nach und nach ins Feuer geworfen. Ich konnte mich anschließend beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, was überhaupt auf diesen Zetteln stand.

Anschließend sind wir noch einmal geflogen. Diesmal wollte ich es selbst unbedingt. Unsere Lehrerin Julia ließ mich lange fliegen. Während ich mit meinen Oberschenkeln auf ihren Füßen hing, drehte sie mich nach links, nach rechts und zog mit ihren Händen meinen Körper regelrecht auseinander. Nach diesen Drehungen in Verbindung mit tiefen Atemübungen fing ich langsam an, mich zu entspannen und hing am Ende wie Pudding über ihr. Als ich die Position verlassen und zurück zum Boden wollte, hatte ich völlig die Orientierung verloren. Stehe ich schon auf der Erde? Nein, ich war noch in der Luft. Als ich dann wieder festen Boden unter meinen Füßen hatte, war ich erschöpft, erstaunt, glücklich und total stolz.

Nach jahrzehntelanger Flugangst und 20 Jahren der Weigerung in ein solches zu steigen, erlebe ich auch noch heute genau diese Gefühle, wenn ich mit einem Flugzeug unterwegs bin. Zwar gibt es keine panische Angst mehr, die mich schon Tage vor dem Flug nicht mehr schlafen lässt, aber es gibt eine gewisse Gewohnheit, die in jeder Zelle meines Körpers sitzt. Die spüre ich bei jedem Flug.

Wenn das Flugzeug aufsteigt, dann lasse ich mich voller Vertrauen in den Sitz fallen, so wie damals auf den Beinen meiner Yoga-Freunde. Ich atme tief ein und langsam und entspannt aus. Ich lenke mich nicht ab. Ich bin ganz in dem, was an Gefühlen in mir aufsteigt und ich sitze, wenn es geht, immer am Fenster, um zu sehen, was passiert. Ich will sehen, wie das Flugzeug abhebt, will sehen, wie unter mir die Häuser im kleiner werden und darüber staunen, dass ich fliege. Wenn die Hingabe da ist, an all das, was gerade geschieht und ich erkenne, wie hilflos ich bin, dann kommen oft die Tränen. Ich spüre mich so sehr und ein Urvertrauen steigt auf. Dann weiß ich, dass alles gut ist, auch wenn jetzt das Schlimmste passieren sollte. Es gibt keine Sicherheit und keine Garantie für ein langes Leben. Auch nicht in der Wohnung, auf der Straße oder im Verkehr. Nur da spüre ich es nicht so stark, wie beim Fliegen und dachte daher früher, ich hätte mein Leben unter Kontrolle.

Und doch, aus alter Gewohnheit, wenn das Flugzeug zur Landung ansetzt und ich endlich wieder scheinbar sicheren Boden unter den Füßen habe, bin ich glücklich, etwas erschöpft und noch immer ein wenig stolz, dass ich das wieder mal geschafft habe.

Ich wünsche euch ein wunderschönes Wochenende, Monika


2 Gedanken zu “Feuer

  1. Sehr beeindruckend wie und was Du hier schriebst.
    Flugangst hatte ich nie, doch sehr wohl bei allen Beziehungen/Freundschaften das Gefühl, dass mein Einsatz für das Wohlbefinden des anderen nie auch nur annähernd erwidert wurde.
    Und letztlich sogar die Erfahrung gemacht, dass je mehr ich mich bemühte, je weniger Einsatz vom anderen eintraf. Hmm – interessantes Phänomen. Ein wirkliches Bemühen um meine Person fand ich immer erst, wenn ich die Beziehung beenden wollte. Doch da war es meistens zu spät, weil ich kein Vertrauen mehr hatte, dass der Einsatz auch ehrlichen Herzens ist….seufz.

    ganz liebe Grüsse aus Wien und Gottes Segen
    Deebee

    PS: heute noch zusätzlich ein herzliches Schabbat Schalom

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