Erde

Tagebuch 10.04.2010: Ich habe gut und tief geschlafen. Der Himmel ist blau. Die Vögel zwitschern. Der Hahn kräht. Das liebe ich und ich möchte jeden Morgen mit so einem Ausblick und mit diesen Geräuschen wach werden.(Dieser Satz ist und die nachfolgenden unterstrichenen Textzeilen sind auch in meinem Tagebuch unterstrichen).

Das morgendliche Yoga war schön und anstrengend. Ich habe gefrühstückt und sitze nun auf der Terrasse. Ich lächle. Ich bin glücklich und zufrieden.

Dann eine Überraschung. Ich bekomme ein Paket. Marion Bohn hat mir ihr Buch geschickt (Angstlöwen). Ich habe mich sehr darüber gefreut. Ich werde ihr eine Mail schreiben.

Tatsächlich hatte ich morgens etwas Angst, ob ich das ganze Vormittagsprogramm, ohne etwas zu essen, durchhalten werde. Ich bin um 7 Uhr aufgestanden, um 8 Uhr gingen die Übungen los, die dann bis mindestens 11 Uhr dauern. Das sind 4 Stunden und normalerweise würde mir da ohne Essen übel werden. Es hat aber alles gut geklappt.

Nach der Meditation (und ich habe tatsächlich OHM gesagt), sind wir mit unseren gestrigen Notizen zu den Gemüsebeeten gelaufen. Mit nackten Füßen haben wir unsere Intentionen einzeln wie Samenkörner gedanklich der Erde übergeben, damit sie dort Wurzeln schlagen können. Trauer und Tränen begleiteten mich. Warum?

Der Boden fühlte sich noch kalt und hart an, während wir für jedes notierte Wort einen geeigneten Platz suchten in der Hoffnung, dass alles irgendwann in Erfüllung gehen wird.

Mit den anschließenden Yoga-Übungen konzentrierten wir uns auf unsere Hände und Füße und somit auf unseren Stand auf der Erde sowie auf unseren Unterkörper und die Verbindung zur Erde. Bei den anschließenden Entspannungsübungen kam mir das Bild von meinem zukünftigen Haus in den Sinn. Steine. Wehende weiße Vorhänge. Viel Weiß und Blau. Ich sehne mich danach.  

Heute Nachmittag werden wir Fliegen. Ich bin gespannt.

Ich denke, inspiriert auch von Marion, über mein Leben nach. Ich definiere Ziele: Noch dieses Jahr kaufe ich mir ein Haus im Süden.

Wie ich gerne leben möchte: Ich möchte ein schönes Natursteinhaus haben. Einen großen Garten. In der Nähe gibt es einen Ort, wo man Kaffee trinken geht und nette Nachbarn trifft. Im Haus sind die Zimmer in freundlichen Farben eingerichtet. Einladend, warm und herzlich. Vögel zwitschern und nachmittags singen die Frösche. Ich schreibe oder male. Lasse alles raus, was in mir ist und trage es aufs Papier. Ich bin kreativ.

Ich habe einen Partner an meiner Seite. Jemanden, dem ich blind vertraue und mit dem ich alles teilen kann. Ich möchte keine Angst haben müssen, ihn zu verlieren. Ich möchte jeden Tag immer wieder spüren, dass er sein Leben mit mir verbringen möchte. Für ihn, wie für mich, soll die Zeit wertvoll sein. Streit ist unnötig. Blicke sagen mehr als Worte. Tiefe Verbundenheit und Dankbarkeit, dass der andere da ist.

Ein Ort, wo Besucher gerne hinkommen. Freunde und Bekannte. Auch meine Kinder fühlen sich dort geborgen und zu Hause.

Wenn das Haus groß genug ist, dann würde ich gerne anderen Menschen ein Zuhause geben. Vielleicht Frauen, Müttern die Angst haben zu verarmen. Die hart arbeiten müssen und sich nie ausruhen können. Hier sollen sie Ruhe und Frieden finden. An sich denken. Man könnte gemeinsame Projekte machen. Gesang. Nachhilfe. Malen. Kochen. Eigenes Obst und Gemüse anbauen. Olivenbäume. Der Blick auf das Meer. Freiheit. Durchatmen. Ruhe. Geborgenheit. Liebe. Glück. Gesundheit.

Ich könnte wieder singen. Wir könnten eine Gruppe bilden und musizieren. Ich könnte wieder malen und schreiben lernen. Yoga machen. Segeln lernen. Plötzlich sprudelt es nur so aus mir heraus. Bunte Sachen. Bunte Blumen. Immer fröhlich. Manchmal nachdenklich, melancholisch und weise. Ich liebe das Leben, jeden Tag.

19.30 Uhr. Was für ein Tag, was für ein Yoga. Heute bin ich geflogen. Partnerübungen. Wir fangen ganz langsam an. Ich bekomme langsam eine Ahnung, in was für einen Kurs ich hier geraten bin und was Acro-Yoga heißt. Stützen lernen. Fallen lassen. Das, was mir so schwer fällt. FALLEN LASSEN. KONTROLLE ABGEBEN! Es war sehr hart für mich. Abwechselnd waren wir mal der stützende Partner und mal der, der sich fallen lassen darf. Dann kam das Fliegen.

Diese Übungen haben mir Angst gemacht. Julia hat sofort gemerkt, dass ich mich nicht fallenlassen kann. Die Mutter, die immer tragen muss. Alle im Kurs haben sehr geholfen und Geduld gezeigt. Die meisten kannten diese Posen schon. Es ging absolut an meine Grenzen und am liebsten wäre ich davongelaufen. Julia musste mich motivieren und mir helfen, und das ist mir auch nicht leicht gefallen. Hilfe anzunehmen.

Zum Schluss bin ich geflogen. Getragen von Füßen und Beinen meiner lieben und geduldigen Partnerinnen. Mit dem Kopf nach unten hängend zwischen fremden Beinen. Schwebend. In einer Pose oben auf den Füßen balancierend. Die Hände an meinen Fesseln und nicht mehr frei zum Abstützen bei einem Sturz. Voller Vertrauen in meine Partner und Lehrerin. Ich hing in der Luft.

Mir wurde schwindlig. Ich hatte Angst. War total verspannt. Fliegen. Davor habe ich doch solche Angst. Schweben. Fallen lassen. Vertrauen.

Aber ich habe es geschafft. Als ich Sekunden später wieder am Boden war, musste ich weinen. Es war kein stilles Weinen. Es war ein tiefes Schluchtzen. Und das mir, die vor anderen nicht weinen mag. Da kam etwas in Bewegung und war nicht mehr zu halten. Die Frau, die mich trug weinte. Auch alle anderen hatten Tränen in den Augen. Julia hielt mich fest.

Diese Yoga-Übungen sind direkt an meine größten Ängste herangekommen. Es war unglaublich. Danach war ich erschöpft und glücklich.

Das Essen war wieder super lecker und ich hatte einen tierischen Hunger.

Gerade habe ich mit der Eigentümerin der wunderschönen Ferienanlage gesprochen und wollte wissen, ob sie hier glücklich und zufrieden ist. Mir ist aufgefallen, wieviel Arbeit in so einem Betrieb steckt und genau das hat sie auch bestätigt. Nach dem Gespräch war klar, dass dies wohl eher keine Alternative zu meinem derzeitigen Job ist. Lieber ist mir ein Haus, in dem ich mich zurückziehen kann, wenn ich meine Ruhe haben möchte.

Mein Partner muss einen Job finden, sonst bin ich nicht frei. 

Ich staune, wo der Satz plötzlich auftaucht.

Um 20.15 Uhr gehts weiter. Feuer-Licht-Meditation und Mantra im Freien. Anschließend noch ein Flug im Yoga-Haus und eine schöne Thai-Massage.

Wir sind alle müde und erschöpft.

Katrin kommt zu mir und umarmt mich, weil sie es so toll fand, dass ich geflogen bin. Sie sagt, alle hätten geweint.

An den Bildern könnt ihr erkennen, dass diese ersten Übungen keine wirklich großen Herausforderungen waren und es sich bei der “Flughöhe” um ca. 1 Meter oder etwas mehr handelt, je nachdem wie lang die Beine des Partners sind. Außerdem stehen neben den aktiven Partnern (der Base und dem Flyer) immer 2 weitere Teilnehmer daneben (Spotter), die sofort eingreifen, wenn die Angelegenheit ins Wackeln kommt.  Aber für Menschen die in Ihren Ängsten gefangen sind, ist es eine enorme Herausforderung, sich dem Yoga-Partner hinzugeben, ihm zu vertrauen und sich dann in der Pose fallen zu lassen. Als ich hier meine eigenen Grenzen überschreiten und meine Komfortzone verlassen musste, fühlte es sich so an, als hätte ich nicht eine Übung gemacht, die Kinder alle Tage ohne Mühe auf dem Spielplatz machen können, sondern als hätte ich den Mount Everest erklommen.

Ich hatte mir ein Yoga-Retreat ausgesucht, zu dem ich ohne Flugzeug gelangen konnte, weil ich Flugangst hatte und bin nun bei einem Kurs gelandet, in dem ich selber fliegen musste. Ist das nicht völlig verrückt?

In diesen Tagebuchaufzeichnungen taucht mein damaliger Lebenspartner auf und er erscheint dort in keinem guten Licht. Man darf dabei nicht vergessen, dass es ein Ausriss aus meinem Lebensabschnitt ist und wir genau zu diesem Zeitpunkt eine schwere Krise hatten. Auch wenn ich für manche Verhaltensweisen bis heute kein Verständnis aufbringen kann, war es neben dem Mobbing im Arbeitsbereich genau auch das, was mich wachsen lies, mich zum Yoga trieb und endlich frei machte.

Alles hat seine Zeit und wir hatten ein Jahr lang auch eine tiefe und schöne Bindung. Da war er mein Kelch aus dem ich trank und dafür bin ich ihm bis heute sehr dankbar. Ich bin mir sicher, wäre er damals nicht aufgetaucht, wäre ich sehr krank geworden.

In den Aufzeichnungen gibt es Sätze, die unterstrichen sind. Ich habe sie hier genauso wiedergegeben. Sie waren mir wahrscheinlich damals besonders wichtig. Wenn ich jetzt auf diese Zeilen blicke, sollte ich eigentlich erstaunt sein, aber inzwischen wundere ich mich über gar nichts mehr. Ich weiß, das Leben selbst ist ein Wunder. Und jeder, der mal aus seinem Hamsterrad heraustritt und den Mut hat, sich erst neben sich selbst zu stellen und zu schauen, was er da eigentlich macht und dann nach innen geht, um zu schauen, wer er ist, kann dieses Wunder sehen.

Ich konnte mir nach dieser Yoga-Reise natürlich nicht gleich ein Haus im Süden kaufen und dem Leben, das mir gar nicht mehr gefiel, den Rücken kehren, um anschließend nur noch glücklich auf dem berühmten Ponyhof zu leben. So funktioniert das nicht. Im Gegenteil, alles wurde noch viel viel schlimmer, nachdem ich Yoga in mein Leben ließ und Ja zur inneren Reise sagte. Man spricht von den Säulen des Lebens, die einen tragen, wie Gesundheit, Familie, Beruf, Finanzen usw. Ihr habt sicher schon davon gehört. Nun, bei mir sollten nun nach und nach alle Säulen wegbrechen. Und das war völlig in Ordnung.

Denn wenn ich heute morgens aufwache, höre ich die Vögel und der Hahn kräht. Der Himmel ist meistens blau und ich habe eine kilometerweite Aussicht auf immergrüne Hügel, die Olivenbäume tragen, und das blaue Meer. In der Ferne kann ich Flugzeuge starten und landen sehen.

Ich schaue aus Fenstern, die zu einem Haus mit einer wunderschönen Natursteinwand gehören, und das ich mit meinem jetzigen Mann zusammen gebaut habe. Ich nenne es das Wunderhaus, denn es konnte nur entstehen, weil so viele Hände geholfen haben.

Ich bin wieder kreativ und trage das, was ich im Herzen habe, aufs Papier.

Die Tränen, die damals auf dem noch kalten und trockenen Gemüsebeet fielen, ausgelöst von der Traurigkeit aus dem tiefen Wissen, dass nun etwas ganz Neues anfangen und es viele Abschiede geben wird, waren das Wasser für die Samen, die ich damals gedanklich in die Erde setzte.

 

Ich wünsche Euch einen schönen Sonntagabend und viele Wunder, Monika


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