Das ist eine sehr herausfordernde Frage, und doch müssen wir sie uns stellen. Denn wer über Jahre oder gar Jahrzehnte mit der Angst, der Depression oder dem Kummer lebt, der fängt irgendwann an, sich damit zu identifizieren. Ich bin ängstlich. Ich bin depressiv. Ich leide. Das ist auch ganz normal, da durch den sich immer wiederholenden Ablauf in unserem Gehirn die Konditionierung stattfindet. Es ist dann sozusagen in unserem Gehirn eingebrannt, wie eine Tätowierung.
Wenn uns das nicht bewusst ist, dann laufen wir wie blinde Hühner umher und merken gar nicht, dass alle unsere wichtigen Entscheidungen im Leben – mit wem wir zusammenleben, welche Arbeit wir machen und ob wir überhaupt arbeiten, mit welchen Menschen wir verkehren u.s.w., von unserer Angst, dem Kummer oder den depressiven Gedanken motiviert und gesteuert sind.
Es steht also nicht die Frage im Raum, was könnte man aus diesem Leben Wunderschönes machen, sondern vielmehr schauen wir täglich ängstlich auf und denken, was alles passieren könnte, wenn wir den Fuß vor die Tür setzen.
Dieses ängstliche Verhalten ist kein Leben, sondern die Flucht vor dem Leben. Und ist dies schon zur Gewohnheit geworden, dann halten wir daran fest und fangen an, es als normal und richtig zu empfinden. Ja, wir fangen sogar an, dieses Drama zu lieben. Wir können uns ein Leben ohne dieses Drama – die Angst, den Kummer oder die Depression – gar nicht mehr vorstellen.
Gibt es überhaupt noch den wahren und ernsthaften Wunsch, die Angst loswerden zu wollen? Wer sind wir, wenn wir keine Angst, Panik, Trauer oder Depression mehr haben? Womöglich fällt uns auf, dass wir zwar jammern, aber nichts ändern. Womöglich merken wir, dass wir uns in Beziehungen und Verhältnissen befinden, die uns nicht frei machen, sondern einengen. Wer das erkennt, muss sich auch die Frage stellen, ob er bereit ist, das zu ändern!
Will ich bei meinen Gewohnheiten bleiben und in dem gemachten Nest der Opferrolle bleiben oder möchte ich die Freiheit schmecken? Und was mache ich mit dieser Freiheit? Was mache ich mit all den faulen Kompromissen, die ich aus Angst in mein Leben gelassen habe, ja die mein ganzes Leben ausmachen?
Wenn wir plötzlich fliegen können, was machen wir dann? Was machen wir mit der Fülle von Freiheit, bei der uns praktisch das ganze Leben vor den Füßen liegt?
Dieses gewaltige Leben, welches sich einem plötzlich offenbart, kann wirklich schwindelig machen. Freudentaumel kann entstehen.
Deshalb empfehle ich, sich erst einmal in aller Ruhe zurückzuziehen und sich die Frage zu stellen, liebe ich mein Drama? Bin ich bereit für Veränderungen? Will ich wirklich frei von Ängsten werden? Wo stehe ich im Leben? Habe ich die Nase voll davon, mich bei Entscheidungen von der Angst leiten zu lassen oder von dem, was ich wirklich möchte?
Womöglich seid ihr schon so weit von Euch selbst entfernt, dass ihr gar nicht mehr genau wisst, was ihr möchtet. Alle Wünsche und Träume wurden vielleicht verdrängt oder als albern abgetan. Als hätten wir noch ein anderes Leben, in dem wir alles nachholen könnten.
Um die Angst ziehen zu lassen, brauchen wir nichts als den festen Willen. Kein Arzt und keine Tablette können uns die Angst wirklich nehmen. Das können nur wir selbst erledigen. Hier und jetzt sollte man die Ernsthaftigkeit seines Wunsches, die Angst loswerden zu wollen, untersuchen.
Wir haben immer die Wahl. Jeden Tag. Jede Stunde. Jede Sekunde. Hier und jetzt entscheiden wir, ob wir ein Leben mit der Angst oder in Freiheit führen möchten.
Beobachtet, ob ihr jetzt Argumente sammelt, warum diese Freiheit für euch nicht möglich sein kann. Wer viele Jahre oder gar Jahrzehnte mit Panikattacken (oder anderen Dramen) lebt, der kann zwar den Willen haben, sich davon lösen zu wollen, aber wenn man nicht erkennt, dass es schon eine Konditionierung geworden ist, dürfte es kaum möglich sein, aus diesem im Gehirn programmierten Programm auszusteigen.
Dafür bietet sich die Beobachtung in der Meditation und die begleitende Atmung und die den Körper belebende Bewegung an. Ich höre, ich will kein Yoga und ich will keine Meditation. Das ist nichts für mich. Wer einen anderen Weg weiß, der genau denselben Effekt hat, auch gut. Dann geht diesen Weg.
Hier geht es nicht um Yoga oder Meditation. Das sind nur Möglichkeiten, die uns aufzeigen, wo wir im Leben stehen, was die Angst uns sagen möchte und wie wir funktionieren.
Meditation und Yoga sind nur Worte. Im Prinzip geht es nur darum, gut zu sein zu seinem Körper. Seine Balance zu finden. Sich kennen zu lernen. Welche Mittel man hierfür einsetzt und wie sie heißen spielt keine Rolle. Yoga ist halt schon da und hat sich über Jahrtausende bewährt. Bei mir hat es wunderbar gewirkt. Warum nicht auch bei Euch?
Horcht doch mal in euch hinein und erkennt, ob ihr euer Drama liebt und den Widerstand gegen das Loslassen der Angst spürt und ob ihr wirklich frei sein wollt.
Ich wünsche Euch ein schönes Wochenende, Monika
Zitat: „Wir haben immer die Wahl. Jeden Tag. Jede Stunde. Jede Sekunde. Hier und jetzt entscheiden wir, ob wir ein Leben mit der Angst oder in Freiheit führen möchten.“
Die Schlichtheit dieses Gedankens ist ebenso schön wie unzutreffend. Der Mensch hat wie das Tier auch die Fähigkeit, zu empfinden. Deshalb sind auch negative Gefühle unvermeidbar. Trainieren kann er die Verdrängung. Und für diese Schutzmassnahme gibt es individuelle Grenzen. Spätestens dort endet die „Freiheit“.
Im übrigen entscheiden wir erst mal nichts. Ein Leben in Angst beschert uns das Leben selbst, und wir haben nur Verstand und Vernunft dagegen zu setzen. Das ist zu wenig für resp. gegen Phobien aller Art.
Das Thema auf eine idealisierte Ebene zu heben und dort oben salopp argumentieren – ich habe Zweifel, ob dies erfolgreich sein kann. Wenn ein Mensch mit Lebensangst umgehen muss, entscheidet er garnichts. Er kann nämlich nicht entscheiden. Er ist dort, wo die Musik spielt.
LikeGefällt 1 Person
Danke für den Besuch und den Kommentar lieber Roland. Gerne möchte ich darauf antworten. Wer Ängste hat, der neigt dazu, diese zu verdrängen. Das habe ich auch 30 Jahre lang getan. Hat aber nichts genützt. Sie sind immer wieder gekommen. Deshalb geht es hier auf meiner Seite gerade nicht um die Verdrängung der Emotionen, sondern um das Erkennen und Annehmen.
Tatsächlich sind also nicht die Emotionen (hier in diesem Fall die Angst) das Problem, sondern es ist der Verstand, der uns sagt, welche Emotionen gut für uns sind und welche negativ zu sein scheinen. Gerade die Menschen – so wie ich es früher auch war – die immer sehr kopflastig veranlagt sind, gehen davon aus, dass man alles mit dem Verstand lösen könnte, dabei ist es gerade dieser, der uns in die Irre führt.
Das Gehirn ist nur ein Organ, wie jedes andere Organ in unserem Körper und wenn Angst auftaucht – egal ob tatsächlich eine Gefahrensituation vorliegt oder nur eine konditionierte Angst vorhanden ist – wird diese erst einmal von einem Teil des Gehirns, der Amygdala ausgelöst. Der Körper läuft in diesem Moment auf Hochtouren, weil Adenalin ins Blut gepumpt wurde und anschließend erst setzt das Denken ein.
Hier ist also eine vom Denken völlig unabhängige Reaktion (Schweißausbruch, Herzrasen…) automatisch eingetreten. Erst einige Sekunden später setzt die Ratio ein und nun liegt es an uns, wie wir mit dieser Situation umgehen.
Jeder nicht angstbehaftete Mensch erkennt, dass keine Gefahr vorliegt und der Motor fährt wieder runter. So reagiert auch jedes Tier, weil Tiere nicht im Denken verhaftet sind. Menschen, die zu Ängsten neigen, reagieren hier jedoch völlig anders, denn es gibt schon eine Konditionierung und im Verstand läuft immer der gleiche Angst-Film oder ein Dialog ab. Der Motor fährt nicht runter, im Gegenteil. Diese Gedankengänge bringen unser Blut erst so richtig in Wallung, bis wir panisch werden.
Es sind also unsere eigenen Gedanken/der Verstand, der uns in diese Bedrängnis führt. Und die Frage lautet nun, wie gehen wir damit um:
Verdrängen? Davonlaufen? Panikattacke? Medikamente? Oder einfach nur Annehmen und Beobachten?
Und wann entscheiden wir das? Immer jetzt. Wenn ich jetzt nicht mehr davonlaufen möchte, nicht mehr verdrängen möchte und überhaupt nicht mehr vor jeder Reaktion der Amygdala davonlaufen möchte, dann kann ich das nur hier und jetzt entscheiden.
Ich kann mich entschließen, meine Gedankengänge zu beobachten, um zu erkennen, was läuft in meinem Körper und vor allen Dingen in meinem Verstand ab. Wie wäre es, wenn wir den üblichen Redefluss des Gehirns und die Emotionen im Moment der Angst einfach zulassen und beobachten? Uns also – in Worten ausgedrückt – als Beobachter über den Verstand stellen?
Und das ist es, was mich von meiner Angst befreite. Mein Problem war nicht die Konditionierung der Angst, sondern der Automatismus der Gedanken (also mein Verstand), der meine Angst immer weiter aufstachelte, bis aus der Angst Panik wurde. Dabei sah ich den eigenen Tod ständig in ziemlich dramatischer Art und Weise vor mir ablaufen.
Es war immer das gleiche und mein Körper reagierte mit immer mehr Angst, bis ich so viel Adrenalin im Körper hatte, dass ich nur noch davonrennen wollte. Aber wohin? Vor der Angst gibt es kein Entrinnen, wie sie selbst auch schreiben.
Wenn wir nun den Verstand einmal hier herausfordern und uns der Angst einfach hingeben, was passiert dann? Wenn wir sagen, es ist völlig in Ordnung, dass jetzt Angst da ist und ihr einfach gar nichts Negatives mehr anhaften, so wie der Verstand das eigentlich kennt, was wird dann geschehen? Wenn die übliche Gedankenkette kein Futter mehr bekommt, sondern alles hier sein darf, was gerade auftaucht, was wird geschehen?
Sowie Gedanken kommen und gehen, so wird auch die Angst verschwinden, genauso wie sie aufgetaucht ist. Für mich gab es kein schöneres Gefühl, als nach jahrelangen Panikattacken zu erleben, wie sich alles einfach in Rauch auflöste.
Ich entscheide tatsächlich nicht, ob Angst auftaucht oder nicht (das macht das Leben, wie sie auch sagen), wenn ich in ein Kaufhaus oder Kino gehe, sondern ich entscheide, wie ich mit dieser Angst umgehe. Und das kann man lernen. Und das ist es, was ich hier aufzeigen möchte. Viele Grüße, Monika
LikeGefällt 1 Person
Ich habe schon verstanden, liebe Monika. Du schilderst Deine Erfahrung mit einer phobischen Störung aus der Sicht der Betroffenen. Nun gibt es noch die Sichtweise der Psychologie: Analyse – Diagnose – Therapie. Ich denke, in den Händen eines guten Spezialisten ist man besser aufgehoben als in den eigenen. Siehe Musterfall Flugangst und Therapie.
Zugegeben: Das ist einfach. Mehrfach phobisch gestört ist ein Hammer.
Wie auch immer: Klasse, dass Du dich selbst aus der Falle befreien konntest. Das war eine stramme Leistung – die Phobiker in der Regel nicht schaffen.
LikeGefällt 1 Person