Yoga und Panikattacken

Die meisten Menschen im Westen denken, Yoga sei eine Sportart. Es ginge dabei darum, besonders gelenkig zu sein oder zu werden. Es ginge darum, den Kopfstand zu bewältigen oder Arme und Beine so zu verknoten, dass man sie kaum noch voneinander unterscheiden kann. Auf jeden Fall können die Yogaübungen, die man Asanas nennt, nur als sportliche Betätigung gesehen und betrieben werden. Es sind Übungen, die vor tausenden von Jahren in Asien entwickelt und seitdem angewendet werden und den Körper gesund halten. Aber wer wirklich wissen möchte, was hinter dem Begriff Yoga steht, der sollte sich von dieser sehr oberflächlichen Betrachtung des Yoga nicht blenden lassen und wird womöglich auf den größten Schatz seines Lebens stoßen.

Als ich mit Yoga anfing, war meine Motivation, innere Ruhe zu finden und die richtigen Übungen anzuwenden, weil ich solche Verspannungsschmerzen hatte, dass ich nicht mehr arbeiten konnte.  Was sich mir dann aber offenbarte, war eine Truhe, voll gefüllt mit unendlich viel Weisheit und Liebe, die mein ganzes Leben auf den Kopf stellte.

Plötzlich wurde mir klar, da ist ein Körper, der gut behandelt werden möchte. Da ist Atmung, die über den Brustbereich hinausgeht und den ganzen Körper mit Energie versorgt. Da sind eigene Wünsche und tiefe Bedürfnisse in mir, die beachtet werden möchten und nichts mit dem zu tun haben, was mir tagtäglich von außen angepriesen wird. Da gibt es einen Zusammenhang zwischen meinem Verhalten und dem anderer Menschen. Da gibt es tiefe Weisheit, die über allem steht. Und da gibt es Meditation.

Und da sind wir am Kernpunkt angelangt. Yoga ist Meditation.

Als ich als Yogalehrerin in Istanbul tätig war und das Yogastudio betrieb, hatte ich auch eine persönliche Website, die ich ins Türkische übersetzen ließ. Dort wollte ich u.a. schreiben, was Yoga alles ist und diesen Status wollte ich dann regelmäßig ändern, um die Besucher der Seite neugierig zu machen. Yoga ist Sport. Yoga ist Atmung. Yoga ist Besinnung u.s.w. Der Übersetzer meiner Seite weigerte sich jedoch, diesen Absatz so zu übersetzen. Er sagte, Yoga sei ausschließlich Meditation. Ich merkte, wie ich mich darüber ärgerte. Ich ließ es dann erst einmal weg und konnte jedoch diese Beharrlichkeit des Übersetzers nicht vergessen. Ich wusste, er hatte recht. Ich war nur noch nicht in der Lage, es zu akzeptieren. Ich war noch ganz am Anfang meiner Reise.

Lösen wir das Rätsel von hinten auf und fragen, warum machen wir die Yoga-Asanas und bezeichnen sie als Yoga, wenn doch tatsächlich Yoga = Meditation ist? Warum müssen wir Atemübungen machen? Warum sollen wir auf unsere Wünsche achten und andere Wesen respektieren? Warum sollen wir uns mit Philosphie oder Spiritualität befassen, wenn doch Yoga einfach nur Meditation ist? Dann können wir uns doch einfach hinsetzen, still sein und meditieren.

Wie wollt ihr in einem völlig verspannten oder gar kranken Körper lange still sitzen und meditieren? Schon nach einer Minute wird es irgendwo schmerzen und Ihr müsst die Stellung wechseln. (Deshalb macht ihr die Yoga-Übungen, die den Körper gesund und elastisch halten = Asanas)

Wenn ihr gestresst und verkrampft seid und Atmung nur im oberen Brustbereich stattfindet, wie wollt ihr dann dem Fluss des Atems folgen und ihn beobachten? Diese Atmung ist kurz und hektisch und führt niemals zur inneren Ruhe. (Deshalb macht ihr die Atemübungen = Pranayama)

Wenn ihr keine emotionale Stabilität habt, seid ihr dann in der Lage, in Frieden mit euch zu sitzen und zu meditieren? Werden euch da nicht vielmehr alle möglichen stets unterdrückten Gedanken und Emotionen überrollen, sobald ihr euch nicht mit einem Handeln ablenkt? Versucht einmal mit Schuldgefühlen, Trauer, Panikattacken, Wut oder Eifersucht still zu sitzen. (Ethische Disziplin und Prinzipien sorgen für emotionale Sicherheit = Yama und Niyama )

Wenn Ihr glaubt, dass es da draußen etwas zu finden gibt, was euch glücklich und zufrieden macht, wie wollt ihr dann in der Stille sitzen? Vielmehr werden euch die Gedanken von dem Hier und Jetzt fortführen, um eure Sinne zu befriedigen. (Zurückhalten und Kontrolle der Sinne = Prathyahara)

Wie wollt ihr, wenn all diese oben aufgezählten Hindernisse vorhanden sind, es bewältigen, nur 5 Minuten entspannt zu sitzen und euch auf eine einzige Sache, wie z.B. den Atem zu konzentrieren? (Konzentration, Sammlung = Dharana)

Wenn die höchste und gleichzeitig ganz entspannte Konzentration nicht stattfinden kann, wie wollt ihr dann in den Zustand der Meditation eintreten und erkennen, was dieser zu offenbaren hat?  (Meditation = Dhyana)

Ihr versteht jetzt vielleicht, dass Körper, Geist und Umfeld erst einmal ganz in Harmonie sein müssen, bevor Meditation möglich ist. Die körperlichen Übungen, die den Körper entspannen und die Atemübungen, die dann den Lebens-Atem durch den offenen Körper bis in die letzte Zelle führen können, die Beobachtung der Sinne, Gedanken und Emotionen, der innere Rückzug und die Konzentration sind alles nur Hilfsmittel, um den wahren Zweck des Yoga zu erreichen, nämlich die Meditation.

Für mich waren die Yoga-Sutras des Patanjali (ca. 500-200 v. Chr.)  der Brunnen, aus dem ich dieses Wissen schöpfen durfte. Yoga wird hier auf eine sehr verständnisvolle und effektive Art und Weise beschrieben. Es wird klar, “der Yoga ist eine Kunst, eine Wissenschaft und eine Philosophie und erstreckt sich auf alle Ebenen des Lebens: die körperliche, die mentale und die spirituelle.” (Vorbemerkung von B.K.S. Iyengar aus seinem Werk “Der Urquell des Yoga, die Yoga-Sutras des Patanjali”).

Yoga ist also Meditation und was ist Meditation?  Und was hat das mit Panikattacken zu tun?

Auch diese Fragen lassen sich ganz einfach beantworten. Wer lebt heute noch ein friedliches und zufriedenes Leben? Wer ist mit sich und anderen im Klaren und fühlt sich körperlich und psychisch in Balance? Wer weiß überhaupt noch, was für ihn gut und wichtig ist und was nicht? Wer steht morgens auf und freut sich auf den Tag und weiß, dass er genau das macht, was er schon immer machen wollte? Wer liebt und akzeptiert sich selbst?

Ich war nie ein spiritueller Mensch. Ich war Juristin, Geschäftsführerin und ich war und bin Mutter und stets ein rational handelnder Mensch. Aber ich sage euch, wir alle brauchen etwas Spiritualität, weil sie es ist, die uns zu unserer eigenen inneren Mitte führt und uns mit unserer Umwelt in Harmonie leben lässt. In dieser sich immer schneller drehenden Konsum-Welt verlieren wir aus den Augen, was wirklich zählt. Wir haben den Kontakt zu uns und der Natur verloren.

Kinder werden nicht zu liebenden Menschen, sondern zu Wesen geformt, die zielstrebig und erfolgreich sein sollen, um sich dann irgendwann – womöglich nach der ersten Scheidung, dem ersten Herzinfarkt oder, wenn sie Glück haben, nach den ersten Panikattacken – die Frage zu stellen, wozu sie das eigentlich machen und wem oder was sie da stets hinterherlaufen?

Viele Menschen haben vergessen oder nie gewusst, dass wir nicht auf diese wunderschöne Welt gekommen sind, um uns selber, andere Menschen oder die Natur auszubeuten.

Das Leben findet nur Hier und Jetzt statt und das zu erkennen, ist Meditation. Meditation öffnet uns die Tür zu uns selbst. Und was dahinter liegt, das müsst ihr schon selbst herausfinden. Es heißt, wer sich selbst findet, der findet Gott, die Liebe oder das universelle Bewusstsein. Es gibt viele Begriffe hierfür, die Menschen benutzen, um das Erlebte, Unbeschreibliche zu beschreiben. Die Bezeichnungen spielen keine Rolle. Entscheidend ist, was immer ihr da findet, es führt zu innerer Zufriedenheit und auf jeden Fall weit weg von den Panikattacken. Damit wären wir dann beim achtfachen Pfad des Patanjali und der inneren Freiheit angelangt.

Ich wünsche Euch einen wunderschönen und erholsamen Sonntag,  Monika


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